Das »Festival des Dialogs der vier Kulturen« in Lodz vom 28. September bis 6. Oktober 2002
Thomas Schulz

Das »Festival des Dialoges der vier Kulturen« wird die erstmalige Präsentation jener vier Kulturen sein, die die Stadt Lodz im Laufe der zwei letzten Jahrhunderte geprägt haben. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges koexistierten dort vier Kulturen: die polnische, deutsche, jüdische und russische, die Kulturen der Nationen, die aus einem provinziellen Städtchen eine wirtschaftliche Metropole machten, die östliche Hauptstadt der Finanzwelt, des Handels und der Textilindustrie.

Vom 28. September bis zum 6. Oktober 2002 werden diverse Künstler aus Polen, Russland und Deutschland in Konzerten, Theateraufführungen, Shows, Ausstellungen und Vorträgen den Beitrag ihrer Nationen zur Entwicklung Lodzs und damit des vereinten Europas präsentieren. Somit wird das Festival nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine politisch-wirtschaftliche Bedeutung haben und in seiner Ausführung einmalig in der Geschichte der Stadt sein.

Lodz ist heute die zweitgrößte Stadt Polens und das Zentrum der polnischen Filmindustrie mit seiner Filmhochschule, an der internationale Größen wie Roman Polanski und Andrzej Wajda studierten oder lehrten. Daher wird es eine Reihe mit jüdischen Filmen der Vorkriegszeit und eine Ausstellung über Marlene Dietrich im Museum der Kinematographie geben. Renommierte Musiker und Sänger wie Maciej Zębaty, Justyna Steczkowska, Edyta Geppert (Polen), Jazzbands wie Oleg Kireyev Quartett (Russland) und das Jarek Śmietana Trio (Polen), Theater- und Tanztruppen wie das russische Boris Ejfman Ensemble und das Dramatische Theater aus St. Petersburg sowie zahlreiche andere Künstler werden zum ersten Mal der multikulturellen Tradition der Stadt Lodz Tribut zollen, deren aussergewöhnliche Bedeutung wieder ins Bewusstsein gerufen werden soll.

Knychalski, der Vorsitzende des Aufsichtsrates des Polnischen Fernsehens und Mitorganisator der Kulturtage, über das Festival: „Wir haben gegenüber all den Nationen, die Lodz geprägt haben, die Verpflichtung, ihren Beitrag in Erinnerung und Ehren zu halten – und zwar nicht lediglich eine Woche lang. Es wird eine Kulturwoche von europäischem Format werden, die kreative Persönlichkeiten aller vier Nationen verbinden soll. Auf diese Weise wollen wir ein Fundament für feste gutnachbarschaftliche Beziehungen errichten“.

Obwohl Lodz bereits 1423 das Stadtrecht erhalten hat, war es lange Zeit eine unbedeutende Ortschaft mit 400 Einwohnern, einem Rathaus, einer Kirche und einem Teich. Erst seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts siedelten sich Handwerker aus dem Textilbereich in Lodz an; 1823 entstand südlich der Altstadt das erste Stadtviertel der Tuchmacher, die Neustadt genannt. Die nach und nach in die Stadt strömenden Arbeiter spezialisierten sich auf die Verarbeitung von Flachs und Baumwolle.

Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts verlor Lodz seinen provinziellen Charakter und wurde immer mehr zu einer Industrie- und Handelsmetropole. Die Stadt wurde immer reicher und stach schon bald durch ihre vielfältige Architektur hervor: Es dominierten Paläste der Industriellen, Bürgerhäuser, Villen, Hotels, Theatergebäude und schließlich Gotteshäuser der verschiedenen Religionen der Bewohner. Nach 1900 entstanden in Lodz jährlich über 400 neue Bauten, allen voran Fabriken und Arbeitersiedlungen. Zu jener Zeit lag die Stadt im russischen Zarenreich, wurde allerdings das „deutsche Manchester“ genannt. Hier wurden deutsche Industrielle mit ihren Textilmanufakturen und -fabriken zu Millionären. Ein starker Aufschwung der Lodzer Textilindustrie, die den gesamten russischen Markt versorgte, fand nach 1823 statt. Im Jahre 1825 hatte die Stadt 1.000 Einwohner, 1900 waren es 31.500 (38% Deutsche), und 1939 672.000, darunter 30% Juden und 8% Deutsche. Lodz war wie eine Insel mitten im russischen Teil Polens, wo der Großteil der Bevölkerung, vor allem die Oberschicht, Deutsch sprach. Nach dem Ersten Weltkrieg wanderte ein Großteil der Deutschen ab, 1945 ging ihre Geschichte in dieser Stadt zu Ende. Von der jüdischen Gemeinde überlebten etwa 250 Personen.

Die ehemaligen Textilfabriken und prunkvollen Fabrikantenpaläste prägen bis heute das Bild der Stadt. Zu ihnen gehören die ehemaligen Wohnhäuser des Bankiers Maksymilian Goldfeder, des Verlegers Jan Petersilge und des Fabrikanten Julisz Heinzel in der Piotrkowskastraße. In der gleichen Straße befindet sich das „Grand Hotel“, das Anfang des 20. Jahrhunderts zu den größten und modernsten in Europa zählte. Am Ende der Piotrkowska-Straße, am Plac Niepodległości steht die „Weiße Fabrik“, heute zentrales Museum für die Geschichte der Textilindustrie. Die Villa von Leopold Rudolf Kindermann in der ul. Wólczańska 31 gilt als eines der schönsten Werke der Jugendstil-Architektur in Polen. Im ehemaligen Palast der Familie Poznański in der ul. Więckowskiego 36 findet sich das berühmte Muzeum Sztuki mit einer der besten Sammlungen moderner Kunst. Der zweite Palast des Fabrikanten Izrael Poznański in der ul. Ogrodowa 15 beherbergt das Museum für Stadtgeschichte. In den Seitenflügeln ist eine Dauerausstellung über den in Lodz geborenen Komponisten Arthur Rubinstein zu sehen.

Die Residenz Księżyn Młyn ist ein eindrucksvolles Beispiel für die rasante Entwicklung von Lodz im 19. Jahrhundert. Dort ließ der Fabrikant Herbst einen großen Komplex mit Fabriken, Wohnhäusern und seinem Palast errichten. Der aufwendig sanierte Palast in der ul. Przędzalniana 72 wird heute als Museum genutzt und gibt einen guten Einblick in das Leben der Fabrikanten im Lodz des 19. Jahrhunderts. In der ul. Bracka 40 findet sich einer der größten Jüdischen Friedhöfe Europas mit mehr als 180.000 Grabstätten.

Ein Denkmal setzte dieser deutsch-jüdisch-russisch-polnischen Stadt der polnische Schriftsteller und Nobelpreisträger Władysław Reymont in seinem Roman Das gelobte Land, der von dem berühmten Regisseur Andrzej Wajda verfilmt wurde.