Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 08.12.2004
Budapest, 6.12.2004, Budapester Zeitung, deutsch
Die stärkste Oppositionspartei, der Fidesz (Bund Junger Demokraten), musste bei dem von ihr angeregten Referendum am letzten Sonntag eine Niederlage einstecken. Die Partei hatte ihre Sympathisanten dazu aufgerufen, für einen Stopp der Privatisierung der Krankenhäuser und für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn zu stimmen. Nur 19 Prozent der Wahlberechtigten votierten schließlich für den Doppelpass. Für einen positiven Entscheid in dieser Frage wären 25 Prozent notwendig gewesen. Die Krankenhausfrage verfehlte bei rund 24 Prozent mit nur etwa 100.000 Stimmen die kritische Marke. Die Wahlbeteiligung lag trotz strahlendem Sonnenscheins nur bei 37 Prozent. Premier Gyurcsány wertete das Referendum als »gescheitert«. Fidesz-Vorsitzender Orbán sprach von einem »moralischen und politischen Sieg«.
Der mit 37 Prozent nur verhältnismäßig geringe Zuspruch, den das Referendum bei den ungarischen Wahlberechtigten gefunden hat, mag verwundern. Immerhin wurden sie in den Wochen zuvor kräftig mit nationalen Losungen und mit viel Pathos bearbeitet. Von einer »Schicksalsfrage für das ungarische Volk« war die Rede, der Wahlsonntag selbst wurde schon vorab als »historisches« Datum verklärt.
Der Fidesz schien sich bei so viel verbaler Artillerievorbereitung seiner Sache so sicher, dass sein Parteichef, Viktor Orbán, vor einigen Wochen für den Fall eines negativen Ausgangs des Referendums leichtsinnig »persönliche Konsequenzen« angekündigt hatte. Umso schwerer fiel es ihm am Wahlabend, seine Niederlage einzugestehen. In einer ersten Reaktion feierte er daher das Wahlergebnis lieber als »moralischen und politischen Sieg«.
In gewissem Sinne lag er damit auch richtig, schließlich konnte der Standpunkt seiner Partei bei beiden Fragen einen Sieg verbuchen: beim Doppelpass mit 51 Prozent und beim Privatisierungsstopp mit 66 Prozent. Da in beiden Fällen jedoch weniger als 25 Prozent der Wahlberechtigten hinter dem Votum standen, haben die positiven Antworten keine verbindlichen Auswirkungen auf die Arbeit der Legislative.
Ungeachtet dessen unterstrich Orbán jedoch, dass das mehrheitliche »Igeln« der Wähler durchaus zähle. »Das Parlament und die Regierung müssen sich jetzt der Schaffung eines Gesetzes enthalten, das zur Privatisierung der Krankenhäuser führen würde«, hoffte der Politiker. Mit Blick auf die doppelte Staatsbürgerschaft regte er an, die Ständige Konferenz der Ungarn zusammenzurufen, wo man eine Kommission aufstellen sollte, die sich mit der Vorbereitung eines Gesetzesentwurfs über die doppelte Staatsbürgerschaft befassen soll.
Von einem Sieg sprach in einer ersten Reaktion auch MSZP (Sozialistische Partei – MD)-Fraktionsvorsitzende Ildikó Lendvai, allerdings von »einem Sieg des gesunden Menschenverstandes«. Damit lag sie ungewollt auf einer Welle mit dem rumänischen Premier Adrian Nastase. Dieser hatte in der Vorwoche die Idee, Auslandsungarn mit einem ungarischen Pass auszustatten, als eine »Verrücktheit« bezeichnet, die eher ins 19. Jahrhundert passe. (fp)
Das vernichtende Urteil von Premier Ferenc Gyurcsány lautete: »Das Referendum ist gescheitert. Seine Initiatoren mussten eine Niederlage einstecken.« Das Land wünsche in Hinsicht auf die ungarische Nation eine neue Politik, »mit mehr Verantwortung und mehr Möglichkeiten«, schlussfolgerte der Premier. Die Regierung werde bei der Formulierung dieser neuen Politik die Initiative übernehmen. Nochmals unterstrich Gyurcsány, dass er im Bewusstsein der Verantwortung für 15 Millionen Ungarn regiere.
SZDSZ-Vorsitzender Gábor Kuncze erklärte die geringe Wahlbeteiligung damit, dass die Wähler nicht zu »schlecht gestellten und in ihren Konsequenzen nicht ermessbaren Fragen« Stellung nehmen wollten. (fp)
- Niederlage für Fidesz bei Referendum in Ungarn
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