Regierung Online • Presseamt der Bundesregierung • 10.11.2004

Die Völkerrechtsprofessoren Jochen A. Frowein aus Heidelberg und Jan Barcz aus Warschau haben ein Gutachten vorgelegt, das für Ansprüche Deutscher aus Enteignungen und Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Rechtsgrundlage sieht: weder vor polnischen, noch vor deutschen oder amerikanischen Gerichten.

Das »Gutachten zu Ansprüchen aus Deutschland gegen Polen« war von den Regierungen beider Staaten in Auftrag gegeben worden. Die beiden Juristen Frowein und Barcz kommen in ihrer Expertise zu dem Ergebnis, dass Individualansprüche deutscher Staatsangehöriger wegen der Enteignungen in den polnischen West- und Nordgebieten weder nach deutschem oder polnischen noch nach geltendem Völkerrecht bestehen. Zwischenstaatliche Ansprüche werden ebenfalls ausgeschlossen und als »rechtsgrundlos« bezeichnet.
Dazu ziehen die Völkerrechtsexperten neben Äußerungen beider Regierungen insbesondere den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, den Deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990, den Deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 sowie den Warschauer Vertrag von 1970 heran.
Im Potsdamer Abkommen hatten die alliierten Siegermächte im August 1945 die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den früher deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße gebilligt. Bereits seit dem Überleitungsvertrag mit den drei Westmächten von 1954 war es Deutschland verwehrt, Maßnahmen gegen die damit verbundenen Enteignungen zu ergreifen.
Bundeskanzler Schröder und der polnische Ministerpräsident Marek Belka hatten das ihnen in der vergangenen Woche übermittelte Gutachten bereits am 4. November bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Krakau begrüßt.

Bindende Erklärung des Bundeskanzlers

Die Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1. August dieses Jahres in Warschau, die individuellen oder staatlichen Ansprüchen gegen Polen eine Absage erteilt, werten die Gutachter als eine für Deutschland abgegebene bindende völkerrechtliche Erklärung.
Diese Erklärung gilt unabhängig davon, dass Deutschland anders als Polen weiterhin von der Völkerrechtswidrigkeit der Vertreibungen und Enteignungen ausgeht.
Schröder hatte seinerzeit auf der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes erklärt, für Restitutionsansprüche gleich welcher Art gebe es keinen Raum mehr: »Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide Regierungen kein Thema mehr in den deutsch-polnischen Beziehungen«, so der Kanzler.
Die polnische Regierung hat ihrerseits in verschiedenen Stellungnahmen erklärt, dass sie die Frage der Reparationen für von Deutschland verursachte Kriegsschäden als abgeschlossen betrachtet.

Vor keinem Gericht der Welt Aussicht auf Erfolg

Frowein und Barcz unterstreichen in ihrem Gutachten, dass Klagen auch nicht nach der Europäischen Menschenrechtskonvention in Frage kommen, da diese nicht etwaige Ansprüche schütze, die vor dem Inkrafttreten der Konvention entstanden sind. Nach eingehender Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auch eine Verfassungsbeschwerde aus Artikel 14 (Schutz des Eigentums) nicht erfolgversprechend, sagte Professor Frowein.
Auch vor amerikanischen Gerichten seien keine anderen Urteile zu erwarten, so die Völkerrechtler.
Das Gutachten unterstreicht, dass die Bundesregierung und die polnische Regierung ihre Rechtsauffassung in Verfahren, die ihnen von den Gerichten zugestellt werden, deutlich machen können.
Eigentums- und Entschädigungsprobleme, die mit der späteren Migration aus Polen zusammenhängen, werden in dem Gutachten nur am Rande behandelt. Die Behandlung der Reparationsfrage gehörte nicht zum Auftrag der Rechtsexperten.