Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 13.09.2004
Warschau, 11.9.2004, Polityka, poln.,
Fast die ganze polnische Opposition forderte im Sejm einen Beschluss, der die polnische Regierung verpflichten soll, sich an die deutsche Regierung mit Entschädigungsforderungen für den Zweiten Weltkrieg zu wenden.
Die Forderung nach Reparationen kann uns leicht überzeugen, weil wir mit recht meinen, dass Polen während dieses Krieges enorm große Verluste erleiden musste, die viel höher sind als in anderen Ländern und, dass diese Verluste durch Entschädigungen bisher nicht wiedergutgemacht wurden. Übrigens, sowohl dem Staat Polen als auch den Bewohnern der damaligen Ostgebiete Polens wurde seitens der ehemaligen UdSSR ebenfalls ein großes Unrecht angetan. Dieses Unrecht wurde aber bis heute nicht entschädigt.
Die Tatsache, dass die Rechnungen des Unrechts gerade heute präsentiert werden, d. h. 60 Jahre nach dem Krieg, muss für Verwunderung im vereinten und friedlichen Europa sorgen, in dem es in dieser Zeit manche Revolutionen und manche Mauerfälle gab und in dem Worte der Versöhnung ausgesprochen wurden.
Als erstes muss man sich der Tatsache bewusst werden, dass niemand auf der Welt oder in Europa die polnischen Forderungen unterstützen wird. Der Zweite Weltkrieg ist ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Es wird nicht gelingen, polnische Rechnungen aus den Verhältnissen zu isolieren, die in der Nachkriegszeit entstanden sind und sich auf 60 oder sogar auf mehr Staaten bezogen, weil man den Lauf der Geschichte nicht umkehren kann.
Die Befürworter der Reparationen versuchen mit dem Argument zu überzeugen, dass "die Deutschen selbst damit angefangen haben (durch Aktivitäten der Landsmannschaften und der "Preußischen Treuhand GmbH") und dass "wir dadurch gezwungen wurden, darauf zu reagieren, weil man gegenüber der deutschen Unverschämtheit nicht nachgeben darf, weil sie dann noch größer wird".
Wir selbst in der Redaktion haben diese Zunahme an deutschen Forderungen bemerkt und unsere Bestürzung darüber in dem Artikel »Wie soll man die Preußische Säure trinken« geäußert. Viele Personen, darunter auch bekannte Persönlichkeiten wie z. B. Professor Wladyslaw Bartoszewski, haben sich ebenfalls zu diesem Thema geäußert. Viele Städte, darunter auch Warschau, haben an ihre Zerstörung während des Zweiten Weltkrieges erinnert. Und das reicht vollkommen. Es hat keinen Sinn, den Sejm dazu zu benutzen. Eine weitere Aufhetzung der Stimmung ist absolut nicht notwendig.
Die Deutschen überzeugen uns, dass es sich bei diesen Entschädigungsforderungen um eine Randerscheinung handelt, die bei der offiziellen politischen Vertretung des deutschen Volkes keine Unterstützung findet. Der deutsche Bundeskanzler, Gerhard Schröder, sagte der Öffentlichkeit in Warschau, dass er keine Klagen unterstützt und dass sich die deutsche Regierung diesen Klagen widersetzten wird.
Deutschland ist ein guter Nachbar Polens, der viel für eine friedliche Erziehung des eigenen Volkes unternahm. Man muss dabei auch die richtige Proportionen beibehalten: Was würde nämlich passieren, wenn der deutsche Bundestag auf Entgleisungen einzelner polnischer Staatsbürger (wie z. B. auf die Äußerungen des Priesters Jankowski) oder auch einer Gruppe von Polen mit einer mehrstündigen Debatte reagieren und dann z. B. noch die Wiederherstellung der Freien Stadt Danzig verlangen würde?
Die Atmosphäre, die von den polnischen »Hurrarechten« geschaffen wurde und bei der jede Stimme der Vernunft (...) als Schwäche oder Hochverrat angesehen wird, ist unerträglich.
Können polnische Politiker und besonders die, die einen schnellen Beifall ernten wollen, sich von den antideutschen Dämonen befreien? Ist es nicht besser, in der Umgebung, d. h. in Deutschland wie auch in Russland, in Litauen und in der Ukraine nach Partnern, guten Nachbarn und Geschäftspartnern zu suchen, anstatt ständig eigene Überempfindlichkeit, Zorn und Beleidigung zu zeigen?
(...) Sowohl die polnischen als auch die europäischen Gerichte sind eng an das geltende Recht gebunden und haben bis jetzt noch nie das Prinzip »Ratione Temporis« verletzt, d. h. sie haben sich nicht mit der Geschichte befasst. Mehr noch: Das deutsche Verfassungsgericht hat entschieden, dass Klagen der eigenen Staatsbürger, die sich auf Entscheidungen beziehen, die von den Siegermächten getroffen wurden, überhaupt nicht verhandelt werden.
Vielleicht wäre es wirklich besser, wie die deutschen Regierungskreise suggerieren, dem Herrn Pawelka von der Preußischen Treuhand GmbH die Möglichkeit zu geben, den einen oder anderen Prozess zu führen. In zehn oder fünfzehn Jahren – so viele sind leider sowohl in dem polnischen als auch in dem europäischen Gerichtsystem notwendig - wird er dann verlieren und später wird auch das Thema endlich endgültig beendet sein. (...)
Im Allgemeinen müssen wir auf das polnisch–deutsche Bündnis im erweiterten Europa bauen. Und auf Deutschland als unserem wichtigsten Wirtschaftspartner. Wir dürfen die zigtausenden Partnerschaften der Schulen, Wissenschaftseinrichtungen, Städte und Diözesen nicht vergessen sowie die zahlreichen lokalen und europäischen Initiativen in der Woiwodschaft Olsztyn (Allenstein), Slaskie (Schlesien) und in der Region Szczecin (Stettin).
Ich kann mir nicht vollstellen, inwieweit eine offizielle und von Anfang an aussichtlose Forderung nach Kriegsreparationen sowie die Rhetorik des kalten Krieges und im Endeffekt eine Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland den polnischen nationalen Interessen dienen sollte. (sta)
- »Leere Rhetorik»«
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