Litauen verspricht sich von Polen Hilfe bei Klärung der Entschädigungsfrage mit Russland

Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 02.09.2004

Warschau, 02.09.2004, PAP, poln.

Bei den Gesprächen über eine Entschädigung für die Zeit, da Litauen Teil der UdSSR war, wird die Regierung in Vilnius nicht nur den Standpunkt Lettlands und Estlands berücksichtigen, sondern auch den anderer Länder Mittelosteuropas, insbesondere Polens, erklärte der litauische Außenminister Antanas Valionis.
Russland ist entschieden gegen die Zahlung von Entschädigung und lehnt die Beteiligung an Gesprächen über dieses Thema ab. Das russische Außenministerium bezeichnete am Freitag (27.8.) die Entschädigungsforderungen als unbegründet und wies warnend darauf hin, dass »die Versuche, so genannte historische Forderungen zu stellen«, den internationalen Beziehungen, »auch im globalen Kontext«, ernsthaft schaden.

Valionis sagte am Donnerstag der Nachrichtenagentur BNS, dass im September eventuell die Verhandlungen über Entschädigungen und über ein gemeinsames Vorgehen in dieser Sache mit den beiden übrigen baltischen Republiken, die der UdSSR angehörten, beginnen könnten – mit Lettland und Estland. Der Standpunkt der Länder des ehemaligen kommunistischen Blocks, insbesondere Polens, sei für Litauen ebenfalls von großer Bedeutung, fügte er hinzu. »Wir werden die Haltung dieser Länder sehr aufmerksam studieren«, so Valionis.

Der Sprecher des polnischen Außenministeriums Boguslaw Majewski sagte am Freitagmorgen (27.08.) der Nachrichtenagentur PAP, er könne dazu nichts sagen, solange diese Information durch diplomatische Kanäle nicht bestätigt worden sei. Dem Außenministerium lägen zu diesem Thema keinerlei Informationen vor und er selbst habe von Valionis' Äußerungen von der [Zeitung] Rzeczpospolita erfahren, die ihn am Donnerstag danach befragt habe.
Valionis wollte in seinem Gespräch mit BNS zum Datum des Gesprächsbeginns mit Russland nichts sagen. Ob die Seiten sich noch in diesem Jahr an den Tisch setzen werden, hänge von Moskau ab.
Litauens Präsident Valdas Adamkus gab in dieser Woche der russischen Tageszeitung Nesawissimaja gaseta ein Interview, in dem er unter anderem erklärte, Litauen habe das moralische Recht, eine Entschädigung für die Verluste zu fordern, die es aufgrund der fünfzigjährigen sowjetischen Herrschaft erlitten habe. Der Präsident sagte, er verlange nicht, dass die Entschädigung sofort gezahlt wird und habe nicht vor, die Angelegenheit vor internationale Gremien zu bringen. Nach seiner Meinung geht es hier um »die Reife und den politischen Willen Russlands«.

Im Jahre 2000 hatte das litauische Parlament die Regierung zu Gesprächen mit Russland über Entschädigungen verpflichtet, deren Höhe sich schätzungsweise – so BNS – auf 80 Milliarden Litas, also über 23 Milliarden Euro, belaufen sollte. Russland hatte damals die Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes als unfreundschaftlichen Schritt bezeichnet.
Das russische Außenministerium hat als Reaktion auf das Interview von Adamkus erklärt, es gebe »keinerlei Grund, der Russischen Föderation irgendwelche Entschädigungsforderungen zu stellen«. »Bekannt ist auch der Standpunkt der internationalen Gemeinschaft zu den Versuchen, so genannte historische Forderungen zu stellen, die den internationalen Beziehungen, auch im globalen Kontext, ernsthaft schaden könnten«, wurde gewarnt.
Das Ministerium zitierte Adamkus' Worte, Litauen habe »das gleiche Recht auf Entschädigung wie die europäischen Länder, die durch Hitlerdeutschland gelitten haben.« »Das sind Versuche, ein Gleichheitszeichen zu setzen zwischen dem deutschen Nazi-Regime, der in Europa einen Krieg entfacht hat und der Sowjetunion, die die Welt von der ›braunen Pest‹ befreit hat. In unserem Land werden sie als Verhöhnung betrachtet«, ist in der Erklärung des russischen Außenministeriums zu lesen. Betont wird darin auch, dass »die Bewertung der Ereignisse vom Juni 1940 durch Russland wohl bekannt ist und unverändert bleibt«.

Majewski erklärte, das polnische Außenministerium unternehme Schritte, »um Wiedergutmachung zu erhalten für vieles, das ein Relikt aus sowjetischen Zeiten darstellt«. »Da gibt es die Frage Katyn, die Frage der Wiedergutmachung für die Sibirjaken [nach Sibirien deportierte Polen], die Frage der Anerkennung der Polen als Volk, das Repressalien ausgesetzt war«, erläuterte er. Diese Angelegenheiten seien »Gegenstand schwieriger und seit sehr langer Zeit andauernder Diskussionen mit der russischen Seite«.
Diese Themen seien während des Besuchs Wladimir Putins in Polen angesprochen worden und seien derzeit Arbeitsgegenstand der Arbeitsgruppe für schwierige Angelegenheiten, die nach diesem Besuch gegründet worden sei, fügte Majewski hinzu. »Wir stellen mit Bedauern fest, dass nicht in all diesen Fragen ein Fortschritt zu verzeichnen ist, unsere Schritte sind aber organisiert, entschlossen«, betonte er. »Vor kurzem hat der polnische Außenminister seine erste Begegnung mit dem Außenminister Russlands mit diesem Thema eingeleitet und erklärt, dass einem dynamischen Ausbau der bilateralen Beziehungen immer noch ungelöste, schwierige Fragen im Wege stehen. Darunter auch Fragen, die die Wiedergutmachung für Menschen betreffen, die in die Tiefe der Sowjetunion zwangsdeportiert wurden«, sagte er. (TS)