Die slowenischen Dichter Tomaž Šalamun und Aleš Šteger über den Kulturbetrieb ihres Landes
Annette Brüggemann

Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 08.07.2004

Bonn, 08.07.2004, DW-RADIO

»Die führende Industrie in Slowenien ist bestimmt die Kultur« – meinte 1934 Louis Adamic, ein US-Autor slowenischer Herkunft. Das zwei Millionen Einwohner zählende Land hat eine reiche Literatur hervorgebracht. Die Mehrzahl der Gassen tragen Namen von Schriftstellern, und wenn Studenten einen Ausflug unternehmen, sind ihre Ziele die Gräber und Geburtsorte von Dichtern. Zwei lebende slowenische Schriftsteller waren beim diesjährigen europäischen Lyrik-Festival »Atlas der neuen Poesie« in Köln zu Gast. Annette Brüggemann hat mit Tomaž Šalamun und Aleš Šteger gesprochen.

»Slowenien, schon geografisch gesehen und kulturell, lag immer an einer Schnittstelle. Es ist das westlichste slawische Land, es liegt wirklich zwischen verschiedenen Sprachräumen, zwischen den slawischen Sprachen, den germanischen, romanischen, den ugro-finnischen mit Ungarn im Osten. Man fährt 150 km von Ljubljana aus in eine Richtung und man ist schon außerhalb des Gebiets, wo man noch deine Sprache spricht. Und das entwickelt ein ganz anderes Sprachbewusstsein, glaub ich, als bei denen, die eine Sprache, die von vielen gesprochen wird, sprechen.« Der polyglotte 30-jährige Aleš Šteger ist ein reisefreudiger Mensch. Viel Zeit verbrachte er in Südamerika und Indien. Für seinen Gedichtband Kašmir erhielt er vor 6 Jahren den Veronika-Preis für das beste slowenische Lyrikwerk des Jahres, in rund 20 Sprachen wurden seine Gedichte übersetzt. Šteger lebt und arbeitet in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana – mit 280.000 Einwohnern das kulturelle Zentrum des Landes.

»Noch immer ist natürlich Ljubljana der Ort, wo vor allem jetzt unter Literatur-Schaffenden fast alles geschieht, leider. Ich würde es als sehr beruhigend empfinden, wenn es wenigstens noch einen Gegenpol, einen anderen Ort, der gleich stark wäre in Slowenien, gäbe, aber es ist nicht so.« Steger ist bemüht um einen Ausgleich. Jedes Jahr im August veranstaltet er in Medana, einem kleinen Ort an der Grenze zu Italien, ein Lyrik-Festival mit internationalen jungen Gästen. Bis zu 1.000 Besucher – Literaturliebhaber und Weinbauer der Region – werden jährlich bei den »Days of Poetry and Wine« erwartet. »Das Interesse an slowenischer Literatur wächst enorm. Jetzt nicht nur mit dem Beitritt zur EU, sondern es ist eigentlich eine der am wenigsten präsenten mitteleuropäischen Literaturen, international gesehen, die aber ein paar absolut hochkarätige Weltliteratur-Autoren produziert hat.«

Darunter auch Tomaž Šalamun: Der Dichter und Bildhauer gilt als radikaler Erneuerer der slowenischen Lyrik. Mit 23 Jahren, 1964, wurde er Redakteur einer Literaturzeitschrift und lehnte sich gegen die Doktrinen der jugoslawischen Kulturpolitik auf. »In dieser Zeit habe ich auch ein Gedicht geschrieben mit einer »toten Katze«. Und diese Katze – Macek – war der Innenminister. Er nahm es persönlich. Sie haben mich ins Gefängnis geworfen, mich angebrüllt, ich würde zwölf Jahre bekommen. Doch dann waren die Reaktionen der »New York Times« und der »Le Monde« so stark, dass sie mich raus ließen – nach fünf Tagen. Ich wurde zum Kulturheld mit Nichts, mit 20 Gedichten, die ich in meinem Leben geschrieben hatte. Das war der Hauptgrund, warum ich dachte, ich müsse all meine Kraft fortan in die Poesie legen.«

34 Bücher in 32 Sprachen hat Šalamun bisher veröffentlicht. Von 1996 bis 1999 war er Kulturattaché in New York. Heute lebt er in Ljubljana und reist noch immer in die USA, um regelmäßig »Creative Writing« an amerikanischen Universitäten zu unterrichten. Šalamun ist stolz auf die heutige Entwicklung Sloweniens und auf Aleš Šteger, der nebenbei Mitarbeiter des jungen slowenischen »Belletrina«-Verlags ist. »Aleš Šteger ist ein komplett neuer Fall. Weil er eine sehr starke Gruppe hat: die ›Belletrina‹-Leute sind vernetzt, sehr ehrgeizig, sehr gebildet. Das macht die intellektuelle Kraft nach 1991 deutlich. Denn Slowenien blüht – verglichen mit dem, was vorher war. Denn wir hatten keinen direkten Zugang, mehr oder weniger ging alles durch Belgrad, sie entschieden wer übersetzt werden kann und wer nicht, es hing alles davon ab, wie sie jemanden vermarkteten.«

1991 wurde Slowenien selbständig, seitdem hat das Verlagswesen einen regelrechten Boom erlebt: Über 800 slowenische Verleger sind heute registriert, pro Jahr werden an die 5.000 Bücher publiziert. Der einstige Rebell Tomaž Šalamun fördert Aleš Šteger – und Šteger hat Šalamun zu seinem Vorbild erkoren. So schließt sich der Kreis unter Sloweniens Dichtern, die frischen Wind in die Weltliteratur bringen. (fp)

Das diesjährige Lyrik-Festival »Days of Poetry and Wine« findet vom 26. bis 31. August in Medana statt.