Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 09.07.2004
Bonn, 9.7.2004, DW-RADIO
Der erste Abiturjahrgang des deutsch-tschechischen Gymnasiums in Pirna hat seine Zeugnisse erhalten. Der binationale und bilinguale Zweig wurde 1998 als Pilotprojekt eingerichtet und führt ab Klassenstufe 7 die Schüler beider Länder gemeinsam zum Abitur. Jetzt haben es die ersten 9 deutschen und 13 tschechischen Schüler geschafft. Als zusätzliches Leistungsfach war für alle Schüler Tschechisch verpflichtend, das auch im Abitur geprüft wurde. Die aus dem Nachbarland stammenden Schüler erhielten neben dem sächsischen Reifezeugnis einen auch in ihrer Heimat anerkannten Abschluss. Derzeit lernen am binationalen Zweig des Gymnasiums etwa 180 tschechische und deutsche Schüler. Hanno Griess hat die Schule in Pirna besucht.
Nur von außen sieht es aus wie eine ganz normale Schule. Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna ist ein hoher, neobarocker Sandsteinbau von 1899, hellgrün gestrichen und mit großen Fenstern. Erst beim Hineingehen fällt auf: alle Hinweistafeln sind zweisprachig. Wegweiser durch die Schule heißt hier: orientacni plan.
Die 9. Klasse hat gerade Kunstunterricht bei Dagmar Jäger. Ihre Schüler sollen heute das Renaissance-Portal des Internats zeichnen. Und das liegt etwa 300 Meter in der Innenstadt, direkt am Pirnaer Marktplatz. Unterrichtet wird grundsätzlich von Muttersprachlern, Kunsterziehung zum Beispiel auf Tschechisch, Sport und Musik auf Deutsch. Und da sollen beide Seiten noch verstehen, worum es gerade im Unterricht noch geht? »Es gibt schon ein paar Komplikationen, aber es geht, man kann sich so verständigen. Dann noch ein bisschen Zeichensprache und dann geht das. Ich denke mal, viele können viel besser Tschechisch verstehen. Oder manchmal helfen die Deutschen, dann geht das. Wenn wir etwas nicht verstehen, dann fragen wir die Deutschen und sie übersetzen es uns oder irgendwie erklären.«
Seit fünf Jahren wohnen die tschechischen Schüler jetzt mit einigen wenigen deutschen Schülern im Internat und fahren nur an den Wochenenden nach Hause. Nach einigem Zögern erzählt Jana Metkova wie die Familie die Entscheidung getroffen hat: »Für mich ist das eigentlich kein Problem. Aber meine Mutter war ein bisschen traurig als ich hierher kam, weil sie mich nicht zu Hause hatte. Erst hatte ich gesagt, dass ich nicht nach Deutschland will, weil ich Angst hatte, dass ich nichts verstehe. Aber dann haben meine Eltern gesagt, dass es gut wäre. Dann habe ich es überlegt und dann habe ich Ja gesagt.«
Treibende Kraft hinter der bisher einmaligen Schule ist Rektor Bernd Wenzel, ein Typ, der gerne tief stapelt. So nah an der deutsch-tschechischen Grenze habe sich seine Schule praktisch zwangsläufig so entwickelt. Trotzdem, ein bisschen stolz ist er schon: »Internatsunterbringung, binationaler Unterricht, das ist jedes Mal eine neue Dimension. Und diese Dimensionen kamen im Prinzip alle zwei Jahre zu den Lehrern. Und das ist für eine Schule ein immenses Pensum an Arbeit, wo man schon sagen muss, das ist eine extrem kurze Zeit.«
Seit 1998 hat jeder Jahrgang eine Klasse mit 15 deutschen und 15 tschechischen Schülern. Die junge tschechische Lehrerin Petra Patevera kommt aus Olomouc, dem früheren Olmütz, und ist seit zwei Jahren hier. Sie kam vor allem aus Idealismus; anders als ihre Schüler. Etwas enttäuscht sagt sie, die meisten seien nur gekommen, um ihre Jobaussichten zu Hause zu erhöhen. Sie sähen ihr Gymnasium in Pirna nicht als etwas besonders, und schon gar nicht als einen Wert an sich: »Sie nehmen das hier auf wie ein Gymnasium, wo sie ein Abitur ablegen müssen. Aber sie können noch nicht schätzen, dass sie hier in Deutschland sind, und dass sie für sich selbst viel mehr gewinnen können als in Tschechien. Sie gehen nicht aus dem Internat raus, sie suchen nicht bewusst neue Kontakte, und sie lernen auch nicht bewusst. Die meisten nehmen das als das notwendige Übel.« (fp)
- Binationaler Unterricht
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