Der Standard • 25.06.2004
[…] Ich hatte mit 16, kaum in der Stadt, Gedichte von Paul Celan gelesen, ich habe sie fast nicht ausgehalten. Hier ging es um mehr als um Gedichte, denn ich mußte mir beim Lesen sagen, daß ich in eine banatschwäbische Welt geboren bin, mit einem Vater, mit Onkeln und Nachbarn, die Hitler dienten, als er Celans Eltern ermorden ließ. Celans Flucht aus Rumänien ist somit auch die Angst vor meinem Vater. Und Celans Selbstmord ist das Ende dieser Flucht. Ich genierte mich vor den Gedichten, wollte mich für diesen Vater entschuldigenden. Nur, wie kann man sich bei Gedichten entschuldigen und wie im Namen einer deutschen Minderheit, wenn diese 1960 und 1970 und die Jahre danach immer noch singt: »Jetzt fahren wir nach Engeland.« Wenn dieser Vater sich auf den Hochzeiten in den frühen Morgen säuft, wenn ihm der SS-Soldat auf dem Panzer im Suff durch den Schädel schwimmt: Ein Widergänger mit glasigen Augen und schunkelnden Knien, der am Männertisch einer Hochzeit zwischen Flaschen und Blasmusik noch einmal unterwegs auf Eroberung ist. […]
Die Anwendung der dünnen Straßen
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