Silesia Newsletter № 91 • Januar 2011
»Wer sich für das Kulturerbe Schlesiens interessiert, kennt den Zeichner Friedrich Bernhard Werner. Als Sohn kleiner Leute 1690 in einem Dorf des Zisterzienserstifts Kamenz geboren, erhielt er seine Ausbildung auf dem Jesuitenkolleg in Neisse. Ein unstetes Wanderleben führte ihn mehrfach durch das Königreich Böhmen einschließlich Schlesien, aber auch durch das ganze Reich, ins Baltikum, nach Frankreich, durch die Niederlande und Italien. Für verschiedene Auftraggeber – Augsburger Verleger, Ordenskongregationen, den Bischof von Breslau, die preußische Regierung – fertigte er ausschließlich Ansichten von Städten und Gebäuden bzw. Gebäudekomplexen an. Viele von ihnen dienten als Vorlagen für Stiche. Werner wurde zu einem der populärsten Zeichner europäischer Städteansichten seiner Zeit. Sein über 5000 Stücke zählendes Gesamtwerk ist eine unschätzbare Quelle für die Stadt- und Architekturgeschichte. Besonders vollständig und dicht sind seine Aufnahmen Schlesiens, seiner Städte und katholischen Stifte, sowie insbesondere der Friedens- und Gnadenkirchen und der nach 1740 entstandenen evangelischen Bethäuser.
Nach ihrem 1995 erschienenen Werkporträt des Ansichtenzeichners legt die Verfasserin nun einen nach Maßgabe der heutigen Möglichkeiten vollständigen Katalog aller noch nachzuweisenden oder aufzuspürenden Arbeiten Werners vor. Das Werner-Corpus ragt selbst unter den zahlreichen wertvollen Arbeiten der Verfasserin – für ihre außerordentlichen Verdienste um die Sammlung, Beschreibung und Erschließung der Ansichtengrafik wurde sie mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet – hinsichtlich seiner Vollständigkeit und Akribie heraus. Angelika Marsch dokumentiert Hunderte bisweilen sehr schwer zugängliche Veduten.
Das Werk beginnt mit einem fast hundertseitigen Kapitel über die Person des Zeichners, das seine Selbstbiographie anderen erhaltenen Zeugnissen, insbesondere seinem 418 Zeichnungen umfassenden, in Linz aufbewahrten Skizzenbuch gegenüberstellt und die zahlreichen Widersprüche nachweist. Auf dieser Grundlage ist ein Itinerar von Werners Reisen entstanden; die Entwicklung des Werks kann auf der Grundlage von Marschs Forschungen nun im Wesentlichen in den Lebenslauf des Zeichners eingeschrieben werden. Im Anschluss werden die einzelnen Korpora gedruckter Ansichten vorgestellt; zunächst jene für Augsburger Verleger (J. Wolff und Erben, J.F. und J.C. Leopold, M. Engelbrecht; J. G. Merz, M. G. Crophius, J. G. Böck; G. B. Probst; J. M. Steidlin), für weitere Verleger (Hoffmanns Erben, G. P. Biusch, J. D. Schleuen, B. und J. B. Strahowsky), weiterhin die im Eigenverlag erschienenen Ansichten der Bethöuser und Zisterzienserstifte.
Ein weiteres großes und wegen der Zugänglichmachung kaum bekannter Bestände besonders verdienstvolles Kapitel ist den illustrierten Manuskripten des Zeichners gewidmet, seinem Makulaturbuch für J. B. Fasserle, den Peregrinationes mit 318 Kirchenansichten, der Topographie Böhmens und Mährens und den Topographien Schlesiens und der Grafschaft Glatz gewidmet. Die Verfasserin trägt der zentralen Rolle, die Schlesien im Werk Werners einnimmt, durch ein kumuliertes Gesamtverzeichnis der schlesischen Ansichten Rechnung. 746 schlesische Orte sind erfasst, 1470 verschiedene Ansichten; durch Kopien (Werner war, so Marsch, ein »eifriger Vervielfältiger der eigenen Werke«) wird eine Zahl von rund 3000 Ansichten erreicht. Ein Literaturverzeichnis, eine Ortsnamenkonkordanz und ein Ortsregister zu den Ansichten schließen den schön gestalteten Band ab.
Angelika Marschs Buch ist die Frucht einer bis in die siebziger Jahre zurückreichenden Recherche. Erschlossen wurden Bestände in Archiven, Bibliotheken und Museen in Deutschland, Österreich, Tschechien und Polen. Insgesamt sind Werke Werners in 68 Sammlungen erfasst, die Städte und Gebäude in heute 14 europäischen Ländern zeigen. Außerhalb des schlesischen Kerns von Werners Arbeit geben 574 Ansichten das Aussehen von 305 Städten und Orten in Deutschland wieder, 1596 Ansichten von 754 Städten in den zwölf weiteren Ländern. Alle ermittelten Ansichten sind in diesem Band mit ihren Standorten verzeichnet, dabei gibt das reich illustrierte Werk einen Einblick in die verschiedenen Kupferstichserien, Reisemanuskripte und Illustrationen zu den Topographien. Das Ergebnis ist ein unersetzliches Hilfsmittel für alle Studien zur Ansichtengrafik des 18. Jahrhunderts und von größtem Wert für die Rekonstruktion von Bauten und Stadtbildern.«
(Quelle: silesia newsletter)
Rezension: Angelika Marsch: Friedrich Bernhard Werner 1690–1776
Der gesamte Artikel auch in der Online-Ausgabe der silesia newsletter auf den Internet-Seiten des Schlesischen Museums zu Görlitz