… oder (K)eine Liebe in Königsberg?
Peter Wunsch
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Andrzej Mencwel: Kaliningrad, mon amour. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Mit einem Vorwort von Basil Kerski. 96 S., Broschur, Preisgesenkte Restexemplare € [D] 1,– |  ISBN 978-3-936168-36-5
Von links: Basil Kerski, Klaus Harer, Andrzej Mencwel, Agnieszka Grzybkowska und Olaf Kühl Alle Fotos auf dieser Seite:

Der polnische Kulturwissenschaftler Andrzej Mencwel stellte sein im Verlag des Deutschen Kulturforums auf deutsch erschienenes Buch vor

Veranstaltungen zum Thema Kaliningrad erfreuen sich üblicherweise eines großen Interesses, denn als früher deutsches Königsberg ist die Stadt am Pregel offenbar immer noch ein schwer in Worte zu fassender Mythos.

Der polnische Kulturwissenschaftler Andrzej Mencwel hat es dennoch versucht und fügt mit seinem Essay kaliningrad, mon amour eine besondere Sichtweise hinzu. Erstmalig 2001 in Polen erschienen ist das Büchlein dank der Initiative des Deutschen Kulturforum östliches Europa nun auch in einer deutschen Übersetzung zu lesen.

Der Abend im voll besetzten Literaturforum des Brecht-Hauses in der Chausseestraße begann mit einer Begrüßung durch die Programmleiterin des Hauses, Anette Handke, sowie einer kurzen Einführung durch den Moderator und stellvertretenden Direktor des Kulturforums, Klaus Harer. Andrzej Mencwel las anschließend einen kleinen Auszug aus der polnischen Originalfassung, bevor er an Olaf Kühl übergab, der einige Passagen aus der von ihm sehr ausgefeilt übersetzten und vom Verlag des Kulturforums um hilfreiche Anmerkungen ergänzten deutschen Fassung präsentierte.

An der weiteren Diskussion nahm auf dem Podium Basil Kerski teil, Chefredakteur des Deutsch-Polnischen Magazins dialog, der auch das lesenswerte Vorwort für kaliningrad, mon amour geschrieben hat. Andrzej Mencwel wurde, wo nötig, von Agnieszka Grzybkowska perfekt gedolmetscht.

So konnte man von Mencwel erfahren, dass sein Essay ursprünglich als Brief an seinen Freund Jerzy Giedroyc gedacht war, der bis zu seinem Tod im Jahr 2000 in Paris die polnische Exilzeitschrift Kultura herausgab, was den sehr persönlichen und vertraulichen Grundtenor erklärt. Kerski ergänzte zur Entstehung, dass es sich eigentlich um ein literarisches Diptychon handelt, da dem Text über Kaliningrad ursprünglich noch eine Schilderung des Warschauer Vorortes Targówek gegenübergestellt war.

Der Erkenntniszugewinn über das heutige Kaliningrad selbst hielt sich jedoch in Grenzen. In den (etwa) zehn Jahren seit Mencwels Besuch hat sich die Stadt enorm entwickelt und verändert, wobei der Umgang der russischen Stadt mit ihrer deutschen Vergangenheit zunehmend unverkrampfter wird. Darüber hinaus wächst die Wirtschaft im Kaliningrader Gebiet – bei allen dort noch bestehenden Disparitäten – mess- und spürbar. Hierauf hätte in der Diskussion stärker eingegangen werden können. Doch auch wenn verschiedene Passagen des Essays daher heute so nicht mehr zutreffend sind, als zeitgeschichtliche Impressionen sind sie von bleibendem Wert.

Ohnehin trügt der Titel, sofern er denn ernst gemeint ist, in zweifacher Hinsicht. kaliningrad, mon amour ist kein Buch über Kaliningrad, eher noch über Königsberg, nennt Mencwel doch Kant als eine seiner wesentlichen Einflussgrößen. Und man muss schon sehr aufmerksam lesen, um eine Zuneigung des Autors gegenüber dem vermeintlichen Objekt seiner Begierde zu spüren. Vielmehr nutzt Mencwel Kaliningrad vornehmlich als Projektionsfläche für sein individuelles Bild Russlands und der russischen Kultur zu Zeiten der Sowjetunion und entwirft ein durchaus kritisches Bild der russischen Gesellschaft sowie des nationalen Selbstverständnisses. Dies ist nicht minder interessant, ließ jedoch einige der Zuhörer spürbar irritiert zurück.

Somit war auch eine der wenigen zugelassenen Fragen aus dem Plenum schnell beantwortet, wie man denn nach einem nur eintägigen Aufenthalt ein Buch über eine Stadt schreiben kann? Mencwel lag mitnichten daran, einen Kaliningrad-Reiseführer zu schreiben. Und selbst wenn – hat nicht schon Kant Geographie-Vorlesungen an der Albertina gehalten, ohne je Königsberg nennenswert verlassen zu haben?

Mencwels Projektionsflächen-Ansatz wurde vom Moderator aufgenommen, so dass von der Rolle der Intelligenzija in Osteuropa über das polnisch-russisch-deutsche Verhältnis bis hin zu den derzeit wohl unvermeidlichen Themen »Menschenrechte« und »Postputinsches Russland« ein abwechslungsreicher Bogen gespannt werden konnte.

Der Veranstaltung hätte allerdings eine Öffnung zum zweifelsohne interessierten Plenum gut getan. Diverse Fragen blieben daher offen oder unbeantwortet: Wie ist beispielsweise das polnische Verhältnis zu Königsberg, Kaliningrad und Królewiec? Spielt das, wie Mencwel in Erinnerung ruft, »alte polnische Lehen« in der Erinnerung Polens heute noch eine Rolle? Warum ist der Autor nur ein Mal – dann nur einen Tag und erst über zehn Jahre nach Öffnung des Gebietes – in Kaliningrad gewesen, wo es sich doch bei dieser Reise, wie er in seinem ersten Satz schreibt, um einen Lebenstraum gehandelt hatte? Plant er eine Wiederkehr, um womöglich sogar das ja bereits ins Russische übersetzte Büchlein am Pregel vorzustellen? Das in Kaliningrad befindliche Generalkonsulat der Republik Polen wäre sicher für eine derartige Veranstaltung zu gewinnen. Oder blieb Mencwels schwierige Liebe am Ende gar unerwidert?

Das wäre nicht verwunderlich: Königsberg und Kaliningrad entziehen sich einer gemeinsamen, eindeutigen Betrachtung. Sie sind nicht »La belle et la bête«, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. K ist und bleibt, schon gar als vermeintliche Einheit, schwer fassbar und stets überlagert von nur schwer in Einklang zu bringenden Emotionen, Erinnerungen, Eindrücken und Erfahrungen. Gespräche zum Thema lassen daher ebenso wie Besuche in der Stadt mehr Fragen als Antworten und den potentiell Liebenden oftmals scheinbar ebenso verwirrt wie verschmäht zurück.

Dies macht die Stadt am Pregel zu einer nicht immer schönen und erst recht nicht einfachen, doch stets interessanten und manchmal sogar schmerzhaften Geliebten – für viele vielleicht erst eine Liebe auf den zweiten Blick.

Peter Wunsch ist Osteuropa-Experte und langjähriger Kenner von Vergangenheit und Gegenwart der Pregel-Stadt. Von 2002 bis 2007 leitete er im Auftrag der Bundesregierung das Deutsch-Russische Haus Kaliningrad.

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Andrzej Mencwel: Kaliningrad, mon amour
Buchpräsentation: Erinnerungen eines polnischen Essayisten und Kulturwissenschaftlers – Neuerscheinung im Verlag des Deutschen Kulturforums