Ein Bilderband mit Essays
Dezsô Szabó
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Gaudlitz, Frank: Warten auf Europa. Begegnungen an der Donau. Deutsch-englischer Fotoband, mit Essays von Karl Schlögel, Jule Reuter und Günter Schödl. Zahlr. farb. u. S.-W.-Fotos und 1 Karte. 195 S., gebunden. € [D] 19,80 / SFr 34,80. ISBN 3-936168

Rezension des Bandes »Warten auf Europa« von Frank Gaudlitz • Neue Zeitung 35/2006

Die Donau, »die Hauptstraße Europas«, legt 2778 Kilometer von der Quelle in Deutschland bis zur Mündung ins Schwarze Meer zurück. Dabei durchfließt sie zehn Staaten mit unterschiedlichem wirtschaftlichen Entwicklungsstand, verschiedener Kultur und Mentalität sowie politischen Begebenheiten und historischen Traditionen und verweist so auf das gesamte Spektrum an Schwierigkeiten im europäischen Einigungsprozeß.

Den Fotografen interessierten vor allem die Lebensumstände der Menschen in der Ukraine, in Moldawien, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn und in der Slowakei. Es waren vor allem die Fragen, wie die kulturelle Identität im Alltag der neuen Europäer gelebt und reflektiert wird, welche Wünsche gegenwärtig im sich neu formierenden Europa keimen, welche Vorstellungen von Glück in der (ungewissen) europäischen Zukunft in verschiedenen Generationen vorhanden sind, auf die er Antworten suchte. Die Reise begann an der Mündung der Donau ins Schwarze Meer und folgte ihr dann stromaufwärts. Dabei kam es zu Begegnungen mit Menschen unterschiedlichen Milieus und Alters in diesen Ländern, es wurde ihnen zugehört und sie wurden fotografiert. »Die Aufnahmen, die Frank Gaudlitz von seinen Reisen entlang der Donau mitgebracht hat, zeugen von Vertrautheit mit der Umwelt und den Menschen, denen er begegnete. Es ist ein Blick, der auf andere sieht, wie man selbst auch gesehen werden möchte: nicht exotisch, nicht spektakulär, nicht enthüllend oder demaskierend, eine fotografische Version von teilnehmender Beobachtung« – so Karl Schlögel im Vorwort zu dem Band. Und tatsächlich ergreift den Leser eine Art Dejà-vu-Gefühl, wenn er sich bei der Betrachtung der Fotos beim Stöbern nach persönlichen Erinnerungen von Reisen, Besuchen ertappt. Es soll aber hier auch den Texten – eigentlich selbständige Essays – kurz Aufmerksamkeit gewidmet werden. Karl Schlögel begleitet in seinem Vorwort die neueste Geschichte der Europäischen Union, vom »E-Day« (1. Mai 2004), von dem großen Enthusiasmus bis zur Ernüchterung. Er verweist aber auch darauf, daß die Einigung von Europa nach der Aufnahme von mittel- und osteuropäischen Ländern noch nicht abgeschlossen ist. Das neue Europa ist ein neuer Lebens- und Erfahrungszusammenhang, so lautet sein Fazit, und es ist enorm wichtig, dabei zu sein, wenn die Welt neu vermessen wird. Europa darf sich nicht noch einmal erlauben, unvorbereitet – wie etwa im Jahr 1989 – auf die Änderungen zu sein. Jule Reuters Essay zu den Fotografien von Gaudlitz sowie eine knappe, dennoch präzise Zusammenfassung von Günther Schödl über die Nationalitäten an der Donau runden den anschaulichen, schön gestalteten Band ab. Lob gebührt auch dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, das sich als Vermittler zwischen Ost und West, zwischen Institutionen und Personen, zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit versteht, und dieser Mission nach unserer Ansicht auch mit der Herausgabe dieses Bandes gerecht wurde.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zeitung)

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