Buchbesprechnung der Neuen Zeitung
Das Buch entstand im Zeichen eines dreifachen Jubiläums. Vor über 30 Jahren, 1972, wurde die Literarische Sektion im damaligen Verband der Ungarndeutschen gegründet und beendete damit auch amtlich das jahrzehntelang andauernde literarische Schweigen der Nachkriegszeit. Vor 15 Jahren gründeten die Sektionsmitglieder dann den Verband Ungarndeutscher Autoren, der zwei Jahre später durch dem Beitritt von bildenden Künstlern erweitert wurde (VUdAK). Die Literatursektion organisierte seit 1977 jährlich stattfindende Werkstattgespräche, die nicht nur zum Treffen der im Land zerstreut lebenden Autoren, sondern ebenso auch als Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragen des literarischen Schaffens und sogar mit das Leben der Ungarndeutschen betreffenden Ereignissen dienten. Grund genug, um zu gedenken, Anlass genug, um neu nachzudenken, Bilanz zu ziehen und eine neue Perspektive aufzustellen – und Möglichkeit, um zu dokumentieren. Letzteres tat man mit der Herausgabe der Tagungsbeiträge vom 10. und 11. Mai 2002 in Fünfkirchen.
Es handelt sich hierbei hauptsächlich um Aspekte der Literaturvermittlung, sei es in der Schule, in der Bibliothek, in der Vereinsarbeit und in den Medien. András F. Baloghs einführende Studie gibt einen historischen Rückblick über die deutschsprachige Literatur Ungarns von den Anfängen bis zur Gegenwart, wobei das 19. Jahrhundert schwerpunktmäßig behandelt wird. Baloghs Fragestellungen zielen dabei auch auf die Auswirkungen des Kontinuitätsbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg ab.
Sándor Komáromi schreibt in seinem Beitrag über den Stellenwert der ungarndeutschen Literatur in den ungarischen Bibliotheken und geht zwei Aspekten nach: der Ausformung von literarischen Beständen sowie der Führung des Lesers. Der Autor nennt auch zwei positive Beispiele: die Bibliothek des Hauses der Ungarndeutschen in der Budapester Lendvay-Str. bzw. die Organisierung von literarischen Leselagern. Ungarndeutsche Literatur wird in erster Linie von Menschen gelesen, die diese auch als Teil ihrer Identität auffassen.
Zsuzsa Gerners Studie untersucht die Identitäskonzeptionen der Ungarndeutschen. Ihr Ausgangspunkt ist hier, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg das Ausleben der Identität bei den meisten Ungarndeutschen auf den privaten Bereich verlagert hat und parallel dazu auch ein Bedeutungswandel der ethnischen Identität festzustellen ist. Schließlich ist sie der Meinung, dass in der Entwicklung der ethnischen Identität die Sozialisation des Individuums die wichtigste Rolle spielt, allerdings sind hier neben der Familie die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen und Instanzen (Schule, Medien, Vereine usw.) von wachsender Bedeutung.
Margit Daczi-Szabó, Agnes Klein, Andrea Zrínyi, Adele Büki, Ibolya Hock-Englender und Alfred Manz fassen in ihren Beiträgen ihre Erfahrungen bei der Vermittlung literarischer Inhalte im Unterricht zusammen. Das Lehrbuch Lies mit, denk mit! wird dabei auch ausführlicher vorgestellt.
Johann Habel spricht über die Bemühungen des Kulturvereins Nikolaus Lenau in Fünfkirchen für die ungarndeutschen Besucher, deren unterschiedliche Sprachkenntnisse eben eine entsprechende Flexibilität bei der Programmgestaltung des Vereins erfordern.
Katalin Sebôk gibt als Vertreterin der Jugend eine Zusammenfassung über das Verhältnis Sprache und Identität bei den Jugendlichen.
Klaus J. Loderers Referat befasst sich mit den Vertriebenen und ihrer Identität anhand von literarischen Texten in der in Deutschland erscheinenden ungarndeutschen Zeitung Unsere Post, wobei er zu dem bitteren Schluss kommt, dass die Identität der Großeltern, die ja stark von der Vertreibung geprägt war, für die Jugendlichen keine Identitätsbasis mehr darstellt.
Monika Ambach nimmt schließlich das Medium Fernsehen bzw. die ungarndeutschen Sendungen unter die Lupe. Das von der Autorin gebotene Bild ist leider Gottes weder neu noch stimmt es positiv.
Dem Rezensenten fehlten ein bisschen ein Statusbericht über die ungarndeutschen Zeitungen, bzw. ihre Rolle in den Leitaspekten der Tagung, und über die Tätigkeit anderer Vereine (St. Gerhards-Werk, Jakob-Bleyer-Gemeinschaft), wodurch das Gesamtbild erst gewährleistet gewesen wäre. Aber auch so kann sich der Leser eines Resümees erfreuen, das zugleich nachdenklich stimmt und anregt.
Zuerst erschienen in der Neuen Zeitung Nr. 16/2005. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zeitung
. Johann Schuth (Hg.): Literatur. Literaturvermittlung. Identität (= Vudak-BÜcher, Reihe Literatur, Bd. 10). 143 S. Budapest : VUdAK, 2004. € [D] 8,00/ HUF 950,00. ISBN 963-8333-12-X