Heuer häufen sich verständlicherweise die Publikationen im Zusammenhang mit der Vertreibung der Deutschen aus Ungarn. Sechzig Jahre sind seit diesem Ereignis vergangen, doch gibt es immer noch ungeklärte oder nicht ganz klare Fragen. Die Statistik, die kühlen Zahlen und Angaben können dabei – richtig und aufrichtig ausgewertet! - behilflich sein, das fragmentarische Bild zu vervollständigen. Deswegen ist es von großer Wichtigkeit, daß möglichst alle Quellen in ihren Zusammenhängen untersucht und ausgewertet werden. Manchmal ist es unerläßlich, verschiedene Quellen miteinander vergleichend vorzustellen, vor allem dann, wenn zwischen diesen ein organischer Zusammenhang festzustellen ist. So ist es im Fall der verhängnisvollen Volkszählung vom Jahre 1941. Die Ergebnisse dieser Volkszählung bzw. die dort gemachten Angaben dienten bekanntlich als demographische Grundlage zur Abwicklung der Vertreibung, und mehr als das: Die negativen Erfahrungen der Angabe der nationalen Zugehörigkeit prägten sich dermaßen tief ins kollektive Bewußtsein der Ungarndeutschen ein, daß die Auswirkungen anläßlich der letzten Volkszählung 2001 noch zu spüren waren.
Das Buch berücksichtigte diese emotionalen Faktoren ebenso wie die seit der politischen Wende in Ungarn eingetretenen Veränderungen im Rechtssystem und im Bereich der statistischen Wissenschaften. Die Arbeit gliedert sich in zwei eigenständige Studien. In der ersten Studie wurden die Ergebnisse der Forschung von Ervin Heinz und Miklós Lakatos zusammengefaßt und die wichtigsten dazugehörenden Dokumente als Anhang veröffentlicht. Eingehend wurde dabei die Rolle des Zentralen Statistischen Amtes bei der Vertreibung der Ungarndeutschen untersucht und die Vorbereitung, Organisation und Abwicklung der Volkszählung von 1941 vorgestellt. In ähnlicher Weise wird der Prozeß der Vertreibung dargelegt. Hier sind sogar die Kopien der Formulare zu finden, die man bei der Abwicklung verwendete. Freilich dürfen die »klassischen« Texte, wie etwa die Meinung von István Bibó, die Weisung des Innenministers oder die Gesetzestexte der Vertreibung nicht fehlen, die dem Leser zwar schon seit langem bekannt sind, doch in diesem Kontext dazugehören.
In der zweiten Studie des Buches ab Seite 237 unternimmt Zoltán Czibulka den Versuch, aufgrund der beinahe lückenlos vorhandenen Namenslisten die Zusammenhänge der Volkszählung von 1941 und der Vertreibung aufzudecken. Ausführlich werden dabei die wichtigsten demographischen Faktoren vorgestellt und die möglichen Motive der Auflistung untersucht. Anschaulich wird vom Autor angeführt, welche Auswirkungen die Vertreibung auf die Entwicklung der Zahl der Landesbevölkerung hatte. Die Namenslisten bringen die Angaben je nach Gemeinde, Jahr (1941 bzw. 1949), Nationalität und Sprache und nach den Kriterien der Auflistung (Angabe der Muttersprache und Nationalität, Volksbundmitgliedschaft, Wehrmachts- oder Waffen-SS-Dienst usw. Das Buch wurde mit dem vollständigen Verzeichnis der Gemeinden und mit einer weiterführenden Literaturliste ergänzt. Mit ihm wurde unser Puzzle über die Ereignisse in den 1940er Jahren um weitere wichtige Teile ergänzt, und es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, daß das ursprüngliche Bild langsam aber sicher voll sichtbar wird.
Zuerst erschienen in der Neuen Zeitung Nr. 29/2005. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zeitung.