Guido Hitze

Frankfurter Allgemeine Zeitung – Bilder und Zeiten • 21.05.2011

Im Jahr 1921 stand Europa am Rand eines neuen Kriegs. Nach der Volksabstimmung in Oberschlesien beanspruchten Polen und Deutschland jeweils große Teile des umstrittenen Gebiets für sich. Doch erst die Interessenpolitik der Großmächte schürte den Konflikt richtig an.

Die Krise um Oberschlesien, die vor neunzig Jahren in den Kämpfen um den Annaberg ihren gleichermaßen dramatischen wie traurigen Höhepunkt erlebte, ist in der deutschen Historiographie und Publizistik nahezu völlig aus dem Blickfeld geraten. Sie mutierte zu einem Randphänomen ohne größere Relevanz, zu einer Spielweise für Osteuropa-Experten, oder, schlimmer noch, für deutschtümelnde Revisionisten, zu der aus Gründen eines bequemen Desinteresses oder der political correctness von der übrigen Historikerzunft ein gebührender Abstand gehalten wurde. Dabei war das Schicksal Oberschlesiens für die Weimarer Republik im negativen Sinne genauso konstitutiv wie für die polnische Republik im positiven. […]