Das Land ist zerstört, geschrumpft und geteilt, als sich die deutschen Zoodirektoren 1947 erstmals nach dem Krieg wiedersehen. Rund zwanzig Jahre zuvor haben sie sich noch mit europäischen Kol-legen im Zoo Breslau getroffen. Nun liegt er, wie die Tiergärten von Königsberg und Posen, jenseits der Grenze. Unter den Gästen sind jedoch einige Männer – und eine Frau – aus Ostpreußen und Schlesien, die in den folgenden Jahren die deutschen Zoos prägen werden: In West-Berlin kämpft damals die gebürtige Breslauerin Katharina Heinroth, Deutschlands erste Zoodirektorin, gegen die Schließung des verwüsteten Berliner Zoos. Bernhard Grzimek, geboren im oberschlesischen Neiße/Nysa, setzt seine Karriere im Frankfurter Zoo fort. Dass er Mitglied der NSDAP war, verschweigt er zeitlebens. Hans-Georg Thienemann hat im Duisburger Zoo eine neue Stelle ge-funden. Bis 1945 war der Sohn des Begründers der Vogelwarte Rositten/Rybatschi, Johannes Thienemann, letzter deutscher Direktor des Königsberger Tiergartens. Und im nahen Wuppertal leitet seit kurzem Martin Schlott, zuletzt Direktor in Breslau, den Zoo.
In Breslau nahm auch rund achtzig Jahre zuvor die Geschichte der Zoologischen Gärten im deutschen Osten ihren Anfang. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte ein regelrechter Zoo-Boom ein. Getragen vom aufstrebenden Bürgertum, entstanden vielerorts öffentliche Tierparks zur Volksbildung und Erholung. Im Juli 1865 wurde der Breslauer Zoo als achter deutscher Zoo eröffnet. Gewerbetreibende und Gutsbesitzer schenkten ihm seine ersten Bewohner, vor allem heimische Tiere – einen Braunbären, einen Dachs, mehrere Rehe und Vögel – sowie einen Kakadu. 1873 kam Peter, ein Asiatischer Elefant aus London, hinzu. In Breslau sollte er Theodor heißen und als Reittier dienen, was der erwachsene Elefantenbulle allerdings nicht mitmachte. Theodor überstand sogar den Brand seines Stalls, bevor er 1888 mit 27 Jahren starb. Die Rolle des Publikumslieblings übernahm Pussi, der erste Gorilla des Zoos. Sieben Jahre überlebte das Weibchen, was als großer Erfolg galt, aber wohl mehr über ihre Widerstandskraft aussagt als über die Qualität der Haltungsbedingungen. Erfolgreicher waren da schon die schwarz-weißen Schabrackentapire aus Südostasien, die zum ersten Mal in einem Zoo der Welt Nachwuchs bekamen.
Die Postkarte vom Königsberger Zoo aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zeigt den alten Haupteingang an der einstigen Hufenallee. © Archiv Mohnhaupt
Breslau entwickelte sich zu einem der bedeutendsten zoologischen Gärten der Jahrhundertwende, in dem es nicht nur »wilde Tiere« zu sehen gab, sondern auch »fremde Menschen«. Dem chauvinistischen Zeitgeist des jungen Kaiserreichs entsprechend, zeigte der Zoo »Völkerschauen«. So konnten die Breslauerinnen und Breslauer von Zeit zu Zeit neben Elefanten, Tapiren und Affen auch Nubier, »Indianer« und Samojeden begaffen. Für den Zoo ging es ums Geld und die Gunst des Publikums. Das Wohl der »Fremden«, die von Tierhändlern wie Carl Hagebeck mit falschen Versprechungen angeworben worden waren, spielte keine Rolle. 1887 beschloss der Aufsichtsrat des Zoos, die Völkerschauen vorerst einzustellen – sie lockten nicht mehr genug Schaulustige an.
Auch in anderen Städten im Osten entstanden damals Tiergärten. In Posen dauerte es bis 1874, bis auf einem alten Bahnhofsgelände am Stadtrand der »Traum vom Zoo« wahr wurde. In Königsberg gab es zuvor bereits ähnliche Pläne, doch erst 1896 öffnete der Tiergarten im bürgerlichen Stadtteil Hufen seine Pforten.
Um die Jahrhundertwende bereiste der britische Großwildjäger und Autor Charles Victor Ale-xander Peel die Zoos von Breslau, Königsberg und Posen. In seinem 1903 erschienenen Werk The Zoological Gardens of Europe lobt er deren Anlagen und Tierbestände, schimpft aber auf die Angestellten, die ihn allzu oft am Fotografieren hinderten: »Je weiter man in Europa nach Nordosten kommt, desto misstrauischer wird man von den Tierpflegern betrachtet.«
Wie Breslau und Königsberg war auch der Posener ein typischer Zoo seiner Zeit – mit Völkerschauen und einem Elefantenhaus im osmanischen Stil. Dennoch war seine Entstehung ungewöhnlich. Das lag vor allem am Charakter der Stadt, deren Zugehörigkeit zu Preußen beim Wiener Kongress 1815 bestätigt worden war, die aber mit ihrem hohen Anteil polnischsprachiger Bevölkerung ein Zentrum des polnischen Kulturlebens blieb. So geht die Gründung des Zoos auf eine polnische Initiative zurück, wenn auch dessen Aufbau von »der gesamten Bevölkerung, ohne Unterschied der Nationalität und des Glaubens« getragen worden sei, wie das Fachmagazin Der Zoologische Garten 1889 betonte. Bis zum Ersten Weltkrieg waren Tierschilder, Wegweiser und Veröffentlichungen des Zoos zweisprachig. Der Zoo sollte ein Zeichen des friedlichen Zusammenlebens zwischen Polen, Deutschen und Juden in einer stark segregierten Stadt darstellen, schreibt Marianna Szczigielska vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in der Zeitschrift Cultural Studies 2020.
Doch der Zoo war doppelt eingeschränkt. Zum einen breitete sich die Stadt ins Umland aus, so dass er bald eingeengt inmitten von Häusern und Straßen lag. Zum anderen befand er sich »in unmittelbarer Nähe zu größeren städtischen Zentren mit bedeutenderen zoologischen Gärten wie Berlin, Königsberg oder Breslau«, schreibt Szczigielska. Aufgrund seiner Enge von nur rund fünf Hektar gab es schon früh den Plan, ihn zu verlegen. Es sollte jedoch noch bis zum 100. Jubiläum im Jahr 1974 dauern, bis dieser in die Tat umgesetzt wurde. Seitdem gibt es den kleinen alten Tiergar-ten, Stare Zoo, westlich der Innenstadt und den 120 Hektar großen Nowe Zoo am östlichen Stadt-rand.
Die Folgen des Ersten Weltkriegs und die Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre setzten den Zoos arg zu. Der Breslauer Zoo blieb von 1921 bis 1927 sogar geschlossen. Die Stadt Posen war infolge des Krieges wieder polnisch und ihr Zoo endgültig zum Nationalsymbol geworden. Bis zur Eröffnung des Warschauer Zoos 1928 war er der einzige Zoo Polens. Sein Direktor Kazimierz Szczerkowski war international anerkannt, er hatte die Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents 1923 mitbegründet wie auch den Internationalen Zoodirektoren-Verband 1935.
Diese Phase dauerte jedoch nur kurz. Im September 1939 griff die Wehrmacht Polen an. Ihre Bomben trafen auch den Zoo. Allein in den ersten Kriegstagen kamen rund fünfzig Tiere ums Leben. Aus Poznań wurde wieder Posen und Direktor Szczerkowski entlassen. Für ihn kam 1940 Richard Müller, der zuvor den Königsberger Tiergarten geleitet hatte.
Die Nationalsozialisten hatten längst die Zoos unter ihre Kontrolle gebracht. Während die einen Tiergartenleiter bereitwillig in die NSDAP eintraten und die anderen sich fügten, ging es jenen an den Kragen, die nicht mehr ins deutsche Rassenbild passten. So auch Hans Honigmann. Er war einer der renommiertesten Zoologen seiner Zeit und leitete seit 1929 den Breslauer Zoo. 1934 wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen, im Jahr darauf floh er nach England. Fortan stand Honigmann, der sich für jüdische Flüchtlinge einsetzte und Kindertransporte mitorganisierte, auf der »Sonderfahndungsliste G. B.« der Nationalsozialisten. Zunächst arbeitete er in einem Zoo, nach Kriegsbeginn wurde er jedoch, wie alle Deutschen in Großbritannien, entlassen und sogar vorübergehend interniert. 1940 ging er an die Universität Glasgow. Das Kriegsende erlebte er nicht mehr. Er verstarb nach mehreren Schlaganfällen im November 1943.
Die Zoos von Breslau und von Königsberg waren bis dahin weitgehend vom Krieg verschont geblieben. In Breslau wurden sogar Tiere aus anderen Zoos untergebracht, da die Stadt außer Reichweite der alliierten Bomber lag. Während andernorts bereits die Städte brannten, strömten hier die Menschen so zahlreich wie nie zuvor in den Park. In Königsberg forschte im selben Jahr Bernhard Grzimek, damals Oberveterinär der Wehrmacht, noch an Elefanten. Alles schien seinen gewohnten Gang zu nehmen.
Doch das ändert sich im Januar 1945: Als die Rote Armee immer näher rückt, werden die Städte Königsberg, Breslau und Posen zu Festungen erklärt. In den Zoos werden Bären, Raubkatzen und Elefanten auf offiziellen Befehl erschossen. Die einstigen Publikumslieblinge gelten nun als Bedrohung.
Von den übrigen Tieren überstehen nur wenige die letzten Gefechte. Im Breslauer Zoo sind es 300, in Posen 176 und in Königsberg gerade einmal vier – ein Damhirsch, ein Dachs, ein Esel und Hans, das Flusspferd. Ohne Wasser und Futter hatte Hans während der Bombardierungen in einem Graben ausgeharrt. Sieben Granatsplitter stecken in seinem Körper. Die Tierärzte der Roten Armee haben alle Hände voll zu tun, das verwundete Tier wieder gesund zu pflegen. Aber am Ende gelingt es ihnen. Als der Königsberger Tiergarten zwei Jahre später, 1947, als Zoopark Kaliningrad wieder seine Tore öffnet, ist Hans dessen größte Attraktion. Bis heute ziert er das Wappen des Zoos.
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Der Artikel erschien im Magazin
KK – Kulturkorrespondenz östliches Europa
Ausgabe Nr 1430 | Juli/August 2022,
mit dem Schwerpunktthema:
Wilde und gezähmte Tiere