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Die Gesellen und Gesellinnen in Hermannstadt in Aktion. © Deutsche Gesellschaft e.V.

von Evelyna Schmidt

In den Sommermonaten gehören sie mittlerweile zum Hermannstädter Stadtbild und sind eine Touristenattraktion: Wandergesellen in ihrer traditionellen Kluft. In der warmen Jahreszeit kommen Handwerksgesellen aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich für ein paar Wochen beim Wandergesellentreffen in Hermannstadt/Sibiu zusammen, um ihr Handwerk vorzustellen und Renovierungsarbeiten in der mittelalterlichen Stadt vorzunehmen.

Auf dem Huetplatz in Hermannstadt/Sibiu schauen Passanten gebannt auf die Feuerstelle. Sie sehen, wie unter den Hammerschlägen zweier Wandergesellen das bearbeitete Metall seine Form verändert. Nicht weit entfernt knetet ein Wandergeselle Teig in einem Holztrog. Was auf den ersten Blick wie eine Kulisse zu einem Mittelalterspektakel anmutet, ist eine Schauwerkstatt, auf der Wandergesellen ihre Gewerke vorstellen. Sie schmieden, backen, tischlern, zimmern und schlossern. Die mehrwöchige Schauwerkstatt im historischen Stadtkern ist der Höhepunkt des jährlichen Wandergesellentreffens, das mittlerweile seit 13 Jahren jeden Sommer stattfindet. Eine öffentliche Open-Air-Ausstellung rund um den Huetplatz informiert auf Schautafeln, was es mit den Traditionen und Handwerksberufen der Wandergesellen auf sich hat.

Das Jahr 2019 war für Rumänien und Hermannstadt in dreierlei Hinsicht ein Jahr internationalen Ausmaßes. Auf Einladung des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis fand am 9.Mai dort die informelle Tagung des Europäischen Rates über die Zukunft der Union der 27 statt. Einen knappen Monat später unternahm Papst Franziskus seine Apostolische Reise nach Rumänien. Am 2.Juni flog der Papst vom Flughafen Hermannstadt, wo eine Abschiedszeremonie erfolgte, nach Rom zurück. Kulturell und kulinarisch wurde Hermannstadt im vergangenen Jahr die Ehre zuteil, sich den Titel »Gastronomische Region Europas« mit der griechischen südlichen Ägäis zu teilen, was genutzt wurde, um auf verschiedenen Veranstaltungen die siebenbürgische Küche zu präsentieren.

Natürlich griff auch das Wandergesellentreffen den verliehenen Titel auf: Bäcker, Konditoren und Köche nahmen die Möglichkeit wahr, Hermannstädtern und Touristen kulinarische Köstlichkeiten anzubieten. Das Wandergesellentreffen brachte von Mitte Juni bis Ende September zum 13.Mal Handwerker aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich zusammen. Nicht nur in der Schauwerkstatt stellten die Wandergesellen ihr Können unter Beweis. Einwohner und Touristen konnten sie wochenlang bei den Restaurierungsarbeiten siebenbürgischer Bürgerhäuser in der historischen Altstadt und bei Arbeiten an der evangelischen Stadtpfarrkirche beobachten. In Kooperation mit der jüdischen Gemeinde gingen die Wandergesellen eine weitere Maßnahme an: die Sanierung einer Seitentür für die Synagoge in Hermannstadt. Sie halfen ebenso beim Aufbau zweier Holzhäuschen und einer Rutsche für einen Spielplatz in dem armen, inzwischen hauptsächlich von Roma bewohnten Dorf Rothberg/Roşia, das 17 Kilometer von Hermannstadt entfernt liegt.

Doch wer sind die Leute auf der Walz eigentlich und was zieht deutsche, französische oder Schweizer Wandergesellen nach Hermannstadt? Was bei jedem Das Wandergesellentreffen ist wie ein »nützliches« Stadtfest für Hermannstadt. © Deutsche Gesellschaft e.V.reisenden Handwerker auffällt, ist die traditionelle Kluft, die aus einem Hut mit weiter Krempe, einem Schlapphut oder einem Zylinder, einer Jacke mit Perlmuttknöpfen, einer Weste, einer Staude, also einem Hemd, einer Hose und robustem Schuhwerk besteht. Jeder Wandergeselle ist angehalten, auf seiner Wanderschaft die Kluft zu tragen. Sie dient nicht nur dem Komfort und dem effizienten Arbeiten. An ihr lässt sich das Gewerk des Handwerkers erkennen. Steinmetze kleiden sich beige oder grau. Handwerker, die mit Holz arbeiten, tragen schwarz. Bei Wandergesellen, die zu einer Bruderschaft, dem Schacht, gehören, ist auch die Ehrbarkeit (eine Art Krawatte) in der Farbe der jeweiligen Bruderschaft zu erkennen. Obligatorisch für jeden der Gesellen ist sein Wanderbuch, in dem er Stempel sammelt von allen Orten, an denen er war. Die Walz, d.h. Wanderschaft, dauert in der Regel drei Jahre und einen Tag. Unter den Wandergesellen finden sich Schmiede, Steinmetze, Tischler, Zimmerer, Schneider, Gärtner, Konditoren, Bäcker.

Auf ihrer traditionellen Reise können die Handwerksgesellen weltweit arbeiten. Wenn sie sich für Hermannstadt entscheiden, kommen sie einerseits in eine mittelalterliche Stadt mit deutscher Vergangenheit und multiethnischem Charakter. Durch Ansiedlungen und Eroberungszüge fanden 15 unterschiedliche Nationalitäten in der Region ihre Heimat. Jahrhundertelang lebten verschiedene Ethnien und Gruppen beisammen, so die Deutschen, Rumänen, Ungarn, Armenier, Juden, Roma und Rumänen.

Hermannstadt: Lange Zunfttradition

Andererseits finden die Wandergesellen eine Stadt mit einer langen Tradition der Handwerkszünfte vor. Die erste urkundliche Erwähnung einer Zunft stammt aus dem Jahr 1367. Die Niederlassung deutscher Siedler in Siebenbürgen prägte die Entwicklung des Handwerks und der Zünfte immens. Zahlreiche Straßen in der Stadt sind nach den Zünften, die dort angesiedelt waren, benannt. Wer heute durch die Lederer- oder Fleischergasse spaziert, weiß genau, welche Zunft dort ihren Sitz hatte. Um in eine Zunft aufgenommen zu werden, musste ein junger Mann bestimmte Bedingungen erfüllen und eine Probezeit durchlaufen. Erst nach Abschluss der Lehrjahre erhielt der junge Handwerker den Gesellentitel und konnte seine obligatorische Wanderschaft durch die europäischen Städte, die sein Gewerk anerkannten, beginnen. Ziel dieser Reise war es, die während der Lehrjahre erlangten Kenntnisse mit anderen zu teilen und neue Arbeitstechniken zu erlernen.

Die Fortsetzung dieser jahrhundertealten europäischen Tradition des Austauschs zwischen westlichen und östlichen Handwerkern gehört zum Anliegen des mittlerweile jährlich stattfindenden Wandergesellentreffens. Das Projekt startete 2007, in dem Jahr, als Hermannstadt den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt trug. Initiator und Organisator ist die Deutsche Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa, die Anfang 2020 ihr 30-jähriges Bestehen als erster gesamtdeutscher überparteilicher Verein feierte. Ihr Partner vor Ort, die Casa Calfelor (»Gesellenherberge«), gründete sich 2007 als Verein, um das Haus an der Sagstiege instandzusetzen und zu halten sowie jungen Handwerkern auf Wanderschaft eine Bleibe und einen Treffpunkt zu ermöglichen. Bis heute ist sie die einzige derartige Herberge in Südosteuropa und auch die einzige, die Reisende aus allen europäischen Vereinigungen aufnimmt und einen geeigneten Rahmen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit schafft. Während des Wandergesellentreffens ist die Gesellenherberge nicht nur Bleibe, sondern auch organisatorischer Mittelpunkt und Bau-Büro. »Aus Wandergesellensicht ist die Casa Calfelor mit ihrem Werkzeug und Material der Stützpfeiler des Sommertreffens in Hermannstadt«, sagt Bäcker Markus, der letzten Sommer am Wandergesellentreffen teilnahm. »Andere Baustellen, die wir größtenteils in Deutschland organisieren, verschlingen meist enorme Mengen an Aufwand, Geld und Zeit, um jeweils an einem neuen Ort jene Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die hier in Siebenbürgen jedem anreisenden Gesellen offensteht. Auf diese Weise kann jeder sich für die meist kurze Zeit seines Aufenthalts ein eigenes Projekt aussuchen bzw. teils aufwendige Arbeiten oder Aufträge für die Casa Calfelor erledigen.«

Die Wandergesellen nehmen Restaurierungsarbeiten an der evangelischen Stadtpfarrkirche vor, während Besucher sie beobachten.© Deutsche Gesellschaft e.V.

Der Vorsatz und das Ziel, mit dem Wandergesellentreffen eine alte europäische Tradition des Kultur- und Wissensaustauschs wiederzubeleben, war der Jury des Europäischen Kulturmarken-Awards, eine der wichtigsten Auszeichnungen auf dem europäischen Kulturmarkt, 2019 eine Ehrung wert. Die Deutsche Gesellschaft e.V. nahm für ihr Projekt am 7.November 2019 den Europäischen Kulturmarken-Award in der Kategorie Europäisches Bildungsprogramm des Jahres entgegen. Denn das Projekt steht, so die Jury, für neuartige Vermittlungsstrategien in der kulturellen Bildung sowie die Entwicklung qualifizierter internationaler Partnernetzwerke. Im Sommer 2020 wird das Wandergesellentreffen zum 14.Mal stattfinden: Gesellen werden auf ihrer Walz in Hermannstadt Halt machen und das Stadtbild bereichern. Und neben all dem materiellen Kulturerbe in der Stadt wird dem einen oder anderen Besucher bewusst werden, dass er mit der Walz auch Zeuge des immateriellen Kulturerbes ist. Denn 2014 wurde die Handwerksgesellenwanderschaft durch die deutsche UNESCO-Kommission in das bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe aufgenommen.