Als Kind russlanddeutscher Aussiedler kommt Ira Peter Anfang der 1990er Jahre aus Kasachstan nach Deutschland. In ihren Zwanzigern begibt sie sich auf die Suche nach der eigenen Identität, auch als Journalistin. Dieses Buch ist das Ergebnis ihrer Arbeit und eine Einladung an die Mehrheitsgesellschaft, die Besonderheit dieser Gruppe zu begreifen. Es wird höchste Zeit. Denn mehr als drei Jahrzehnte nach den großen Einreisewellen kursieren viele Irrtümer und pauschale Annahmen über die Bevölkerungsgruppe, die mit zweieinhalb Millionen nicht gerade klein ist.
In Peters Ausführungen geht es viel um Eigenwahrnehmung und Fremdzuschreibungen. Sie analysiert eine Integration, die wohl überwiegend als gelungen bezeichnet werden kann, schreibt aber auch über die verzerrten Bilder, die in den Medien vorherrschen. Waren es anfangs die Berichte darüber, dass viele russlanddeutsche Jugendliche kriminell seien, kamen nach einer langen Funkstille Meldungen über die angebliche AfD-Affinität der Spätaussiedlerinnen und -aussiedler hinzu.
Neuerdings mehren sich zudem Berichte über die »Hörigkeit« von Russlanddeutschen gegenüber Putin und russischen Medien. Peters Aussagen sind mit Zahlen und Fakten aus zahlreichen Studien und Fachbüchern belegt, dennoch gelingt es der Autorin, stets nahbar und auch nachvollziehbar zu bleiben, da sie sich eng am persönlichen Erleben von einzelnen Menschen bewegt. Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Generationen und Personen aus dem Freundes- und Familienkreis sowie bekannte Persönlichkeiten der Russlanddeutschen-Community kommen zu Wort wie auch Kommentare aus den Sozialen Medien.
Das in den 1990er Jahren gängige Narrativ von gewaltbereiten russlanddeutschen Jugendlichen wird beispielsweise von ihr auseinandergenommen und neu eingeordnet. Sie übt dabei Kritik an den Medien, die dieses Bild mit ihrer tendenziösen Berichterstattung angefüttert und weiterverbreitet haben. Bei der Lektüre wird überdeutlich, dass »Gesehen werden« – ebenso wie Essen und Trinken oder ein Dach über dem Kopf – ein Grundbedürfnis der Menschen ist.
Ira Peter ist es mit diesem Buch gelungen, ihre persönlichen Erinnerungen mit der Einwanderungsgeschichte und den Erfahrungen vieler Spätaussiedlerinnen und -aussiedler zu verknüpfen und auf eine faktenbasierte Ebene zu heben. Es ordnet die Ereignisse auf kluge Weise ein und bietet eine Betrachtung aus einer für sogenannte »Biodeutsche« ungewohnten Perspektive. Womöglich liefert es den längst fälligen »Beipackzettel für die unerwartete Verwandtschaft aus dem Osten« und lindert das Befremden, das auf beiden Seiten entstanden und noch immer vorherrschend ist. Bleibt bloß zu hoffen, dass es von diesen beiden Seiten ausreichend wahrgenommen wird.
Ira Peter: Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen.
Goldmann Verlag, München 2025, 256 S.
ISBN 978-3-442-31777-6
Erscheint am 19.3.2025