Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens. Eine Ausstellungsrezension von Markus Nowak.
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© Markus Nowak

Museen wirken besonders authentisch, wenn sie sich an Orten befinden, wo die nunmehr ausgestellten Objekte ursprünglich genutzt wurden. Die besondere Atmosphäre der historischen Gemäuer lässt die Besucherinnen und Besucher in die Vergangenheit eintauchen.

Für das jüdische Leben im östlichen Europa gibt es nicht mehr viele derartige architektonische Zeugnisse. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust haben die jüdischen Spuren zum größten Teil verwischt. Bei den Novemberpogromen 1938 wurden in Pommern, Ostpreußen oder Schlesien viele Synagogen niedergebrannt. Umso eindrucksvoller ist es, wenn Denkmäler jener Zeit erhalten geblieben sind. In Gleiwitz/Gliwice hat die neogotische Zeremonienhalle des Neuen jüdischen Friedhofs von 1903 den Krieg als Lagerhalle überdauert. Nach der offiziellen Schließung der Begräbnisstätte in den 1950er Jahren sollte es mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis sie saniert und 2019 als »Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens« (Dom Pamięci Żydów Górnośląskich) eröffnet werden konnte.

»Wir haben einen Ausstellungsteil, wir forschen, haben auch eigene Publikationen und erweitern stetig unsere Sammlung«, sagt Leiterin Karolina Jakoweńko. Die Bezeichnung »Haus der Erinnerung« impliziere mehr als nur eine museale Funktion: »Der Name hat eine Anlehnung an das hebräische Wort Beit Tahara, also das Haus der Reinigung. Wir wollen das, was mit Gewalt ausgelöscht wurde, wieder hervorholen und bewahren«, ergänzt die Museumsleiterin. Bewahren, was weder im Jüdischen Museum in Berlin noch in polnischen Ausstellungen angerissen wird, nämlich die Erinnerung speziell an die oberschlesischen Juden. Etwa ein halbes Prozent der einstigen Bevölkerung Oberschlesiens war jüdisch. »Die oberschlesischen jüdischen Gemeinden waren, anders als im Polen der damaligen Zeit, klein, aber recht wohlhabend und – ähnlich wie in Breslau, Hamburg oder Berlin – aufgeklärt«, sagt Jakowenko.

Auf 150 Quadratmetern wird chronologisch, aber auch thematisch das jüdische Leben in Oberschlesien dargestellt, von der ersten urkundlichen Erwähnung im 13. Jahrhundert bis zum Holocaust. Aus einem Lautsprecher sind jüdische deutschsprachige Gesänge zu hören, eine Installation, die eine Menora andeutet, stellt untergegangene Gemeinden dar. In einem anderen Raum geht es um bedeutende Ereignisse wie die Kattowitzer Konferenz von 1884, den ersten großen Zionistenkongress oder Personen wie Leo Baeck, einst Rabbi in Oppeln/Opole, und Oscar Troplowitz, den aus Gleiwitz stammenden Erfinder der »Nivea«-Creme.

Aufschlussreich ist der Bereich über die Teilungen Oberschlesiens 1922: Denn plötzlich befanden sich auch »deutsche« Juden innerhalb des polnischen Staates, viele von ihnen emigrierten. Als ganz Oberschlesien 1945 unter polnische Verwaltung kam, wanderten wiederum Holocaustüberlebende aus dem einstigen Ostpolen hier ein und nutzten den Friedhof hinter dem heutigen Museum bis in die 1950er Jahre. Sie sollen sich auch dafür eingesetzt haben, dass die deutschen Grabinschriften nicht zerstört wurden. Auf dem Friedhof befinden sich um die 600 Grabsteine.

Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens
Dom Pamięci Żydów Górnośląskich
ul. Księcia Józefa Poniatowskiego 14
44-100 Gleiwitz/Gliwice (Polen)
Di-Fr 10–16 Uhr, Sa 11–17 Uhr, So 10–15 Uhr

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KK 1443 TitelCoverDer Artikel erschien im Magazin
KK – Kulturkorrespondenz östliches Europa
Ausgabe № 1443 | September/Oktober 2024

mit dem Schwerpunktthema: 
Von Weinbergen zu Hochöfen – Mähren