Kulturkorrespondenz östliches Europa – Ausgabe 1437
Ausgabe September 2023

EditorialKK 1437 Titel 741x1040

Aus der Vogelperspektive wirkt das Wasser so azurblau wie die Adria. In der Tat ist der Šljunkara-See nur ein kleines Gewässer, das gerne von den Bewohnern von Weißkirchen/Bela Crkva zum Baden genutzt wird. Ganz bewusst machen wir unser Banat-Heft mit einem Bild aus Serbien auf und nicht etwa mit Fotos von Heuschobern, wie sie Agenturen beim Stichwort Banat oft bieten. Damit wollen wir illustrieren, dass zwar gut zwei Drittel der Region im heutigen Rumänien liegen, aber immerhin rund ein Drittel in Serbien und einige Quadratkilometer in Ungarn. Zur Illustration dient die Karte rechts. Man sieht: Das Banat liegt nicht(nur) auf dem Mond, wie es bei Wikipedia steht. 

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden deutsche Siedlerinnen und Siedler von den Habsburgern in die Region gerufen. Sie wurden später als »Schwaben« bezeichnet. Zu einem besonderen Merkmal wurde die Mehrsprachigkeit des Banats: Um 1900 bekannten sich 38 Prozent zum Rumänischen, 27 Prozent zum Deutschen, 18 Prozent zum Serbischen und 13 Prozent zum Ungarischen als Muttersprache. Nach 1918 wurde das Banat geteilt, ein großer Teil fiel an Rumänien, ein etwas kleinerer an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (später Jugoslawien); ein Zipfel verblieb bei Ungarn. Je nach Land war das Schicksal der dort lebenden Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedlich: Verfolgung, Internierung und Flucht in Jugoslawien, teilweise Vertreibung in Ungarn und weitgehender Verbleib in Rumänien. Die dort Lebenden, Banater Schwaben genannt, wurden enteignet und viele zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Seit Ende der Siebziger kam es zu einer verstärkten Aussiedlung in die Bundesrepublik, wodurch die historisch gewachsenen Strukturen im Banat immer mehr zerfielen. Auf einige verbliebene wollen wir in diesem Heftblicken. 

Raluca Nelepcu, Banater Journalistin, war für uns bei einer Wallfahrt der Deutschen im wohl wichtigsten Pilgerzentrum des Banats, in Maria Radna, und berichtet auch über die Lenau-Schule in Temeswar/Timișoara. Mit Herta Müller und Stefan Hell hat diese gleich zwei Nobelpreisträger hervorgebracht. Temeswar als diesjährige Europäische Kulturhauptstadt nimmt der Journalist Jan Mohnhaupt in den Fokus. Dorthin hat das Kulturforum auch seinen Stadtschreiber entsandt: den Dramatiker Thomas Perle, den wir im Interview zu seinen Eindrücken befragt haben. Apropos Temeswar: Kaffee trinker werden sicher schon einmal über die Marke Illy gestolpert sein. Ariane Afsari, Mitarbeiterin des Kulturforums, erklärt in ihrem Beitrag, was es mit »Ferenc Illy und seinen drei Liebschaften« auf sich hat. Abseits vom Schwerpunktthema hat sich KK-Redakteur Markus Nowak in luftige Höhe begeben und Restauratorinnen bei der Erneuerung einer Kirche des niederschlesischen Architekten Christoph Glaubitz in Wilna/Vilnius über die Schulter geblickt. Nicht ganz schwindelfrei. 

Nun aber viel Vergnügen beim Lesen!

Ihre Redaktion

Inhalt


Im Fokus

Epochen I
Die drei großen Lieben des Ferenc Illy
Von Ariane Afsari

Momente
Aus dem Schatten der Geschichte. Zu Besuch in Europas Kulturhauptstadt 2023
Von Jan Mohnhaupt

Neuigkeiten

  • Jubiläum des Aleksander-Brückner-Zentrums für Polenstudien
  • Kirchenburg in Heltau wieder eingeweiht 
  • Deutsch-tschechisches Jugendsommercamp
  • Johnny-Klein-Preis ausgeschrieben
  • Gerhart Hauptmanns Möbel zurück in Schlesien

Perspektiven
Das religiöse Herz des Banats. Die Banater Schwaben pilgern zur Mutter der Gnaden in Maria Radna
Von Raluca Nelepcu

Im Gespräch
»Das Kulturerbe ist in der Moderne angekommen«
Interview mit Stadtschreiber Thomas Perle
Von Markus Nowak

Rezensionen

Eine Stadt vieler Sprachen
Konrad Gündisch und Tobias Weger: Temeswar/Timișoara. Kleine Stadtgeschichte, Verlag Friedrich Pustet in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Regensburg 2023
Von Ingeborg Szöllösi

Gesichtenerzähler aus Böhmen
Alfred-Kubin-Galerie, München  |  Link zur Ausstellung 
Von Susanne Habel

Zugang zu einer anderen Kultur
Zuza Zak: Baltikum. Rezepte und Geschichten aus Estland, Lettland und Litauen, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2022 
Von Doris Roth

Epochen II
»Ein unbekannter nationaler Schatz«. Der Niederschlesier Christoph Glaubitz und die barocke Architektur im heutigen Wilna/Vilnius
Von Markus Nowak

Perspektiven
Dem Lehrermangel trotzen. Rumänische Familien schicken ihren Nachwuchs in die deutsche Nikolaus-Lenau-Schule
Von Raluca Nelepcu

Veranstaltungen

Ausstellung über jüdische Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts
Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Düsseldorf
Bis 31. Oktober 2023 |  weitere Informationen

Gastland Slowenien auf der Buchmesse
Messe Frankfurt
18.  bis 22. Oktober 2023 |  weitere Informationen

Lesung zu russlanddeutschen Familiengeschichten
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Detmold 
19. September 2023
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Berlin
27. September 2023

Picasso in Regensburg
Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg
07. Oktober – 7. Januar 2023|  weitere Informationen

Fundstück

Vergrabenes Ehrenmal von Neisse
Von Dawid Smolorz