1
Der Journalist und Buchautor Uwe Rada. © Marko Cerovac

Uwe Rada, Jahrgang 1963, stammt aus Göppingen und studierte ab 1983 an der Freien Universität Berlin Geschichte. Zu Beginn seiner journalistischen Tätigkeit fokussierte er sich auf Fragen insbesondere der Berliner Stadtentwicklung, seit dem Ende der 1990er Jahre liegt sein Schwerpunkt zunehmend auf den Ländern des östlichen Europa. Rada ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher, die sich mit der Kulturgeschichte der Region auseinandersetzen. Seine Werke zu den großen europäischen Flüssen Elbe, Oder und Memel wurden auch ins Polnische und Belarussische übersetzt. Die Fragen stellte Markus Nowak.

Herr Rada, es gibt den Rhein, den Main, den Neckar, aber die Oder, die Memel oder die Donau. Haben Sie eine Erklärung für das unterschiedliche Geschlecht von Flüssen?

Darüber haben sich schon viele Gedanken gemacht und versucht, hydrologische oder kulturhistorische Erklärungen zu finden. Das gleiche gilt ja für die Frage, warum beim Zusammenfluss zweier Flüsse oft derjenige auf der Strecke bleibt, der mehr Wasser mit sich bringt und auch mehr Kilometer auf dem Buckel hat. Man sollte sich aber weniger an die Etymologie halten als daran, welche Erzählungen über diese Flüsse vorhanden sind, in den jeweiligen Kulturräumen, die sie durchfließen, und wie man miteinander in den Dialog kommen kann.

Sie haben sich europäischen Flüssen im Zuge eines Online-Dossiers für die Bundeszentrale für politische Bildung angenähert. Geschichte im Fluss nennt es sich und bezeichnet darin »Flüsse als Erinnerungsorte«. Wie ist das gemeint?

Das Projekt begann in einer Zeit, als es in Europa zu einer Renationalisierung der Erinnerung kam. Die nationalistische PiS war 2005 bis 2007 in Polen an der Regierung, zeitgleich begann Orbán in Ungarn damit, das Land umzubauen, und eine nationale Erinnerungspolitik spielte in beiden Ländern eine ganz starke Rolle. Wir wollten mit dem Dossier zeigen, dass es auch andere Erzählungen gibt, und zwar am Beispiel der Geschichten, die uns die europäischen Flüsse erzählen. Flüsse kennen aufgrund ihrer Gegebenheiten keine Grenzen, auch wenn sie manchmal eine staatliche Grenze bilden. Sie sind wichtige Botschafter einer europäischen Erzählung. Auf der anderen Seite stellten wir aber auch fest, dass Flüsse, auch in Deutschland, Objekte nationaler Erinnerungspolitik sind. Denken Sie an das Deutsche Eck in Koblenz. Flüsse sind also beides: Sie können national aufgeladen sein, sie sind aber auch Botschafter eines grenzenlosen Europa. Mit dem Dossier haben wir Historiker, Kulturwissenschaftler und Journalisten miteinander ins Gespräch gebracht. Über mehrere Jahre konnten wir es immer weiter ausbauen und am Ende sind Geschichten von über fünfzig Autorinnen und Autoren aus fast zwanzig Ländern über neun Flüsse entstanden. Es ist die einzige Plattform, auf der es so einen großen Austausch über europäische Flüsse gibt.

Meist stehen die Ökosysteme der Flüsse im Zentrum von Publikationen. Sie selbst aber schrieben drei »Biografien« über Flüsse

die Diskussion über Flüsse war lange Zeit eine ökologische, das stimmt. Das Kulturgeschichtliche kam erst seit den 1980er Jahren hinzu. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Büchern: Peter Ackroyd etwa hat mit seinem Buch über die Themse den Begriff von »Liquid History« geprägt. Anhand der Themse erzählt er die Geschichte des britischen Imperiums.

Diese Wiederentdeckung der Flüsse hat sicher auch damit zu tun, dass sie seit den 1980er Jahren in den Städten nicht mehr nur Kloaken waren, wie es lange Zeit während der Industrialisierung war. Manchmal verschwanden sie sogar unter der Erde, wie die Pleiße in Leipzig oder die Poltwa in Lemberg/Lviv. Inzwischen sind die Flüsse aber viel sichtbarer geworden, die Ufer wurden zu Freizeitzwecken ausgebaut und die Wasserlagen von der Immobilienbranche entdeckt – so sind sie in unser Gedächtnis zurückgekommen. Diese Wiederentdeckung war der Beginn unserer Wahrnehmung von Flüssen als Kulturräumen.

Wie steht es da um die Donau? Es ist der Fluss, der die meisten Länder durchfließt, weltweit.

Die Donau ist schon ein spezieller Fall. Mein Eindruck ist, dass man in Deutschland vor allem die westliche, also die »zivilisierte« Donau, im Blick hat. Dem gegenüber steht immer noch die »balkanische« Donau, mit der man nicht so richtig viel zu tun haben will, die man vielleicht abtrennt aus der Wahrnehmung. Das ist die Donau der Kriege, der Schlachten, das ist die Donau, an der man gegen die Türken gekämpft hat, das ist die Donau der Balkankriege der 1990er Jahre. Insofern gibt es eine ganz starke Teilung in der Wahrnehmung der Donau hierzulande. Ähnlich wie die Memel, die bis heute in Deutschland als ein Fluss wahrgenommen wird, der durch das ehemalige Ostpreußen fließt, während der obere Teil weniger wahrgenommen wird. Es gibt also einen »eigenen« und einen »fremden« Fluss. Auf der anderen Seite ist die Donau natürlich gerade wegen dieser Vielfalt sicherlich auch der spannendste Fluss in Europa.

Wie meinen Sie das?

Die untere, also südosteuropäische Donau war lange Zeit Schauplatz eines Konflikts, der heute immer noch gern zitiert wird: das christliche im Kampf gegen das muslimische Europa. Dieser endet erst 1699 mit dem Frieden von Karlowitz. Seitdem erst wurde mit der deutschen Besiedlung der balkanischen Donau begonnen, indem sich die ersten Ulmer Schachteln auf den Weg gemacht haben. Die Donauschwaben sind dahin flussabwärts gezogen und haben sich niedergelassen. Es hätte eine andere Wahrnehmung der Donau prägen können, wenn sie nicht nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden wären. Auch da ist das balkanische Bild von Chaos stärker als das Bild von Zivilisation und friedlichem Miteinander. Das ist schade, weil die Donauschwaben das Bindeglied waren zwischen der mitteleuropäischen und der balkanischen Donau.

Flüsse sind also Kulturträger. Spielt da eigentlich die Fließrichtung eine Rolle?

Ja, natürlich. Das ist sehr ähnlich wie bei der Memel, die in Belarus als europäischer Fluss gilt, weil sie nach Norden hin in die Ostsee fließt. Andere Flüsse in der Region entwässern ins Schwarze Meer. Ihnen hängt etwas Exotisches an. Wie auch bei der Donau. Selbst der Rhein fließt nach Nordwesten oder die Oder und die Elbe. Allein die Donau ist der einzige der deutschen Flüsse, der ins Schwarze Meer mündet, eine Region, die uns immer noch teilweise unbekannt ist. Das hat, glaube ich, viel damit zu tun, warum wir mit der gesamten Donauregion hierzulande immer noch fremdeln.