Unzählige deutsche Siedler zog es im 17. und 18. Jahrhundert ins östliche Europa. Ihre Hoffnung: ein eigener, großer Hof. Großzügig versprachen ihnen die Herrscher Steuerfreiheit und Privilegien. Neue Untertanen bedeuteten mehr Reichtum. Doch der Weg der Siedler war steinig, denn das Land, das ihnen versprochen wurde, mussten sie erst urbar machen. Als Melioration (lat. melior, dt. besser) werden alle kulturtechnischen Maßnahmen zum Zweck der Ertragssteigerung landwirtschaftlicher Böden bezeichnet. Untrennbar ist diese Melioration mit der Migration ins östliche Europa im 18. Jahrhundert verknüpft. Von Márta Fata
Juli 2023 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1436
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Ackerlandschaft im Weichsel-Nogat-Delta mit jeweils symmetrisch verlaufenden Meliorationsgräben © Kamil/AdobeStock

Feuchtgebiete wie Moore, Sümpfe, Moraste, Moose oder Riede gelten heute als ökologisch wertvolle und besonders schützenswerte Gebiete. In den Moorlandschaften wachsende Pflanzen binden laufend CO2 aus der Luft, das im Moorboden in Form von Torf gespeichert bleibt. Außerdem filtern Moore das Wasser, weshalb sie mit Recht als Nieren der Landschaft bezeichnet werden. Sie sind wichtige Lebensräume für unzählige, teils seltene Tierarten. In Flussnähe tragen sie obendrein zum Hochwasserschutz bei.

Was heute so gut wie möglich bewahrt wird, wurde noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als reine Nutzfläche gesehen, die der Mensch zu seinen eigenen Zwecken gestaltete. Sie spielten als Erweiterung agrarischer Nutzflächen eine kaum zu überschätzende Rolle, und Torf sowie Rohr stellten in holzarmen Gegenden unerlässliche Heiz- und Baustofflieferanten dar. Fische und Krebse aus den Mooren und Sümpfen gehörten wiederum zu den wichtigen Nahrungsmitteln vor allem armer Bevölkerungsschichten.

In vorindustrieller Zeit konnten ausgedehnte Moor- und Sumpfgebiete auch als territoriale Grenzen bei der Konstruktion von Raum und Identität, als Schauplätze wasserbaulicher Großprojekte oder als Manifestation von Machtansprüchen und Herrschaft eine wichtige Funktion erfüllen. Im Netzebruch/Legi Noteckie etwa begannen die hohenzollerschen Landeskulturmaßnahmen in einem Grenzgebiet zur Adelsrepublik Polen. Die Grenzfestung Driesen/Drezdenko sollte Kristallisationspunkt der Siedlungs- und Meliorationsmaßnahmen sein. Um die Festung zu versorgen, wurden seit 1606 Orte im Netzebruch gegründet. Da die Siedler mit aufwendigen Entwässerungsarbeiten beginnen mussten, wurden ihnen zahlreiche Rechte zugestanden.

Die Auseinandersetzung des Menschen mit den Feuchtgebieten erreichte in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit einen ersten Höhepunkt. Als Folge der zunehmenden theoretischen Auseinandersetzung mit den Naturprozessen konnte sich die Ansicht verbreiten, dass die Natur nicht nur quantitativ messbar und somit objektiv erfassbar, sondern zugleich auch zu beherrschen sei. In diesem Sinne wünschte sich Francis Bacon »die Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen«, und René Descartes wollte die Menschen »zu Herren und Eigentümern der Natur« machen.

Ausheben eines Entwässerungsgrabens im Großen Moosbruchgebiet in Lauknen/Gromowo östlich der Kurischen Nehrung im Königsberger Gebiet © Bildarchiv Herder-InstitutAusheben eines Entwässerungsgrabens im Großen Moosbruchgebiet in Lauknen/Gromowo östlich der Kurischen Nehrung im Königsberger Gebiet © Bildarchiv Herder-InstitutRationalisierung und Quantifizierung der Natur begannen ihren Siegeszug auch im ökonomischen Denken, das von der Idee einer Kosten-Nutzen-Rechnung geleitet auf Überschuss abzielte. Durch die Ideen des Kameralismus, also einer Wirtschaftspolitik, die weniger die Förderung des Handels als vielmehr die der Landwirtschaft und des Bevölkerungswachstums in den Vordergrund rückte, und der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde die Natur zunehmend als unerschöpfliche Ressource im Dienst des Menschen betrachtet. Die Oeconomische Encyklopädie von Johann Georg Krünitz formuliert es so: Gott habe »auf der Erde gleichsam ein großes Magazin für die Menschen angelegt und dasselbe mit allem versehen, was zu unserer Nothdurft und Bequemlichkeit gehört; er füllet es auch ohne Unterlaß wieder an, wenn es einen Abgang erlitten hat.« Der Wunsch nach fürstlicher Vermögensvermehrung erforderte die Nutzbarmachung der naturgegebenen Ressourcen ebenso wie die Mobilisierung von technischen und bürokratischen Mitteln sowie der Arbeits- und Schöpferkraft des Menschen.

Im 17. und besonders im 18. Jahrhundert zählte der Untertan zu den wichtigsten Wohlstandsquellen des Staates, weshalb die Zahl der Untertanen mit allen Mitteln vermehrt werden sollte. Die schnellste Methode dazu war die Förderung der Einwanderung fremder Untertanen, die von den Fürsten und Grundbesitzern bei Zusicherung von Privilegien, für Landwirte eigene Höfe und befristete Steuerbefreiung, angelockt wurden. Doch die in Aussicht gestellten Begünstigungen waren zunächst Verheißungen, die sich die Siedler hart erarbeiten mussten. Denn in den Einwanderungsgebieten, die von Dänemark über Brandenburg-Preußen, Russland, der Habsburgermonarchie bis nach Spanien reichten, mussten sich die Siedler mit Böden auseinandersetzen, die zunächst von der Natur zu erobern beziehungsweise für die landwirtschaftliche Nutzung erst zu verbessern waren.

Meliorationen sind so alt wie die Landwirtschaft selbst. Zu ihren Methoden gehören ebenso die Erschließung neuer Ackerböden durch Rodung oder der Bau von Wasserkanälen wie der Erhalt bzw. die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit landwirtschaftlich bereits genutzter Flächen. Allerdings bedeutete landwirtschaftliche Melioration bis ins 19. Jahrhundert noch vor allem Ent- und Bewässerung, Flusskorrektur, Hochwasserschutz und Trockenlegung von Feuchtgebieten, wozu auch Aspekte des Verkehrs oder der Flurgestaltung gehörten. Verbesserungsarbeiten bestanden neben kosten- und arbeitsintensiven Projekten auch aus alltäglichen und fortwährenden Tätigkeiten wie das Abtragen von Steinen, das Auftragen von Dünger, das Zurückdrängen von Unkraut oder das Beseitigen von Wasserlachen.

Die begehrtesten Siedler im Europa des 18. Jahrhunderts waren die Deutschen aus den west- und süddeutschen Territorialstaaten, die in der Regel ohne Hindernisse eine Auswanderungserlaubnis erhielten, auch Kenntnisse über im östlichen Europa noch nicht praktizierte Ackerbaumethoden besaßen und in der Hoffnung auf einen eigenen oder größeren Hof bereit waren, in die Ferne zu ziehen. Gern gesehen waren auch schweizerische und niederländische Einwanderer, die über die fortschrittlichsten Methoden in der Kuhhaltung und Milchverarbeitung beziehungsweise in den Deich- und Landgewinnungsarbeiten verfügten, oder jene Migranten, die diese Methoden vermitteln konnten. Wie die Beispiele der hohenzollerschen Moor- und Flussgebiete zeigen, war dort die Übernahme der »holländischen Art« sowohl bei der Landgewinnung als auch bei den Ansiedlungsmethoden prägend. Dagegen erfolgte die Wissensvermittlung in der östlichen Habsburgermonarchie nach »teutscher Manier«, die eine Vermittlung niederländischer, italienischer und deutscher Methoden und Erfahrungen umfasste.

Sowohl in Brandenburg-Preußen als auch in der Habsburgermonarchie gehörte Trockenlegung von großen Feuchtgebieten zu den hervorgehobenen und prestigeträchtigen Großprojekten. In Brandenburg-Preußen bauten sich Siedler neue Existenzen auf, indem sie das durch die Deichbaumaßnahmen der preußischen Könige vor den Flüssen gesicherte Bruchland, beispielweise im Oder-, dem Warthe- oder dem Netzebruch, in fruchtbares Ackerland verwandelten. In der Habsburgermonarchie wurden ausgedehnte Sumpfgebiete und zahlreiche Riede von den Siedlern auf Gebieten der Wiener und der Ungarischen Hofkammer, etwa im Banat oder der Batschka, und der adligen Grundherrschaften, zum Beispiel in den Komitaten Sathmar oder Branau, trockengelegt. Das verwandelte diese Gebiete mit der Zeit zu den Kornkammern der Habsburgermonarchie.

Durch fleißige Siedlerhände veränderten ganze Landschaften ihr Bild. Dadurch wurden bis zur Trockenlegung dort praktizierte, auf die Symbiose zwischen Mensch und Wasser ausgerichtete alte Lebensformen zurückgedrängt. Der Eingriff in die Natur hatte neben gewollten auch unbeabsichtigte Folgen. Nicht nur mussten Kanäle und Entwässerungsgräben ständig instandgehalten werden, wollte man ihre Wiederversumpfung verhindern. Der Eingriff in die Natur löste auch eine Risikospirale in Form von Überschwemmungen der bebauten Felder und der neuerrichteten Dörfer aus, mit der sich nachfolgende Generationen konfrontiert sahen und sehen.

Konnten sich der preußische und der habsburgische Staat infolge der Großprojekte in ihrer Rolle als erfolgreiche Agrarreformer präsentieren, so trugen Publizisten und Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts wie Franz Griselini oder Theodor Fontane dazu bei, auch das Selbstbild der Siedler und ihrer Nachfahren dauerhaft zu prägen. Im Fall der Banater Schwaben etwa wurde die Entsumpfung des Gebietes zu einem bis heute wirkenden identitätsstiftenden Merkmal. Inmitten der Revolutionsereignisse im Königreich Ungarn wandten sich Vertreter der Schwaben am 2. Oktober 1849 an Kaiser Franz Joseph I. in der sogenannten Bogaroscher Schwabenpetition, sich für Ihre Rechte einzusetzen. Die Begründung lautete: »Banat [ist] zur Kornkammer des Landes, zur Perle des ungarischen Reiches, und zu einem der gesegnetesten Landstriche der österreichischen Monarchie geworden.«