Das Dreikaisereck erinnert an ein schmerzliches Kapitel der Geschichte Polens. Zu Recht wird es mit den Teilungen Polen-Litauens in Verbindung gebracht. Doch anders als manchmal behauptet, bildete es kein Zusammentreffen der Grenzen dreier Teilungsgebiete. Seine Geschichte ist viel komplizierter. Denn als Teilungsgebiet können nur das frühere russische und österreichische Ufer bezeichnet werden. Oberschlesien gehörte zum Zeitpunkt der Teilungen bereits seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr zu Polen. Als 1795 das Schicksal der Adelsrepublik besiegelt wurde, war es bereits preußisch. Überdies grenzten hier nicht gleich nach der dritten Teilung drei Kaiserreiche aneinander. 1795 wurde die bisherige preußisch-polnische Grenze in dieser Gegend teilweise zur neuen preußisch-österreichischen Grenze. Doch schon 1807 rief Napoleon das Großherzogtum Warschau ins Leben, wodurch das östliche Przemsa-Ufer unter die Verwaltung des französischen Satellitenstaates kam. Erneut änderte sich die Situation mit dem Wiener Kongress von 1815. Fortan trafen östlich von Myslowitz erstmals die Grenzen von drei Staaten aufeinander. Das oberschlesische Ufer blieb preußisch. Das nordöstliche lag nun innerhalb der Grenzen des von Russland abhängigen und später de facto dem Zarenreich einverleibten Königreichs Polen. Und das südöstliche gehörte zur Republik Krakau, einem staatsähnlichen Gebilde, das unter Kontrolle Preußens, Russlands und des Habsburgerreiches stand. 1846 wurde der Stadtstaat aufgelöst und an das Habsburgerreich ange-schlossen. Immer noch bildete aber der Zusammenfluss der Schwarzen und der Weißen Przemsa kein Dreikaisereck, denn Preußen war ja zum damaligen Zeitpunkt »nur« ein Königreich. Den Begriff »Dreikaisereck« prägte man erst nach der Reichsgründung 1871, als der preußische König schließlich auch die Kaiserkrone aufsetzen durfte.
Grenzverkehr schon im 19. Jahrhundert
Für den Fremdenverkehr entdeckt wurde der etwa zweieinhalb Kilometer vom damals deutschen Myslowitz und knapp zwei Kilometer vom »russischen« Modrzejów gelegene Ort im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. In den 1890ern konnten sich viele Menschen schon kürzere und längere Reisen leisten. Nicht ohne Einfluss auf die Popularität des Dreikaiserecks war zudem der Umstand, dass Myslowitz als wichtiger deutscher Grenzbahnhof sowohl von anderen Städten Oberschlesiens als auch von Breslau aus relativ leicht zu erreichen war. Da die Besucherzahlen immer weiter stiegen, entstand eine touristische Infrastruktur: Es wurde eine Promenade mit Gaststätten angelegt, die vom Stadtzentrum zum Dreiländereck führte. Am Ziel angelangt, konnten die Besucher Souvenirs und Ansichtskarten kaufen. Die Grenze zwischen Deutschland und Österreich durfte ohne bürokratische Hindernisse übertreten werden, eine Fußgängerbrücke verband die beiden Ufer. Die russische Grenze dagegen durfte nicht passiert werden, dort gab es dementsprechend keinerlei touristische Infrastruktur. 1907 wurde die Attraktivität des Ortes für den Fremdenverkehr durch den Bau des Bismarckturms zusätzlich erhöht. Das auf einem Hügel auf deutscher Seite errichtete Objekt war 22 Meter hoch und bot einen Blick weit ins österreichische und russische Gebiet hinein. Bei gutem Wetter konnte man von der Aussichtsfläche die spitzen Gipfel der über hundert Kilometer entfernten Hohen Tatra sehen. In der Hochsaison zog das Dreiländereck bis zu 6 000 Besucherinnen und Besucher wöchentlich an.
Die touristische Blüte dauerte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die zu Russland gehörenden Gebiete wurden von den Deutschen und den Österreichern bereits in der frühen Phase des Krieges besetzt. Damit hörte das Dreikaisereck de facto auf zu existieren. Dass aber bald alle Grenzen in dieser Gegend verschwinden würden, konnte sich zum damaligen Zeitpunkt noch niemand vorstellen.
Am Ende des Krieges 1918 kehrte zunächst der Zustand von vor den Teilungen zurück: Das westliche Ufer blieb (noch) deutsch, das nord- und südöstliche gehörte wiederum seit dem Zerfall des Zarenreiches und Österreich-Ungarns zum wiederentstandenen polnischen Staat. Nach der Volksabstimmung und drei polnischen Aufständen wurde das östliche Oberschlesien und damit auch Myslowitz 1922 an Polen angeschlossen.
Seitdem lagen alle Teile des Dreiecks in Polen. Aus dem Dreikaisereck wurde lediglich ein »Dreiwoiwodschafteneck«, das seinen touristischen Charakter verlor. Der Bismarckturm wurde neuen Helden geweiht und in den 1930er Jahren schließlich – wie zwei weitere im nun polnischen Ostoberschlesien befindliche Türme des Eisernen Kanzlers – abgerissen. Nichts sollte mehr an den früheren Rang dieses Ortes erinnern. Für Jahrzehnte blieb er mit Sträuchern bewachsen, peripher gelegen und für eventuelle Liebhaberinnen und Liebhaber der Geschichte schwer zugänglich.
Postkarte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Konterfei der drei Kaiser. © Archiv KulturforumHeute sehen sowohl Myslowitz, in dessen Grenzen das ehemals deutsche Ufer liegt, als auch Sosnowitz, zu dem das russische und das österreichische Ufer gehörten, im Dreikaisereck ein hohes touristisches Potenzial. Die Verwaltung von Sosnowitz geht spürbar unverkrampfter mit diesem Erbe um. Im Jahr 2012 wurde der zehn Kilometer lange »Radweg entlang der ehemaligen Grenze« (Szlak Rowerowy Dawnego Pogranicza) eröffnet, der am ehemals russischen Flussufer entlang des Stadtzentrums zum Dreikaisereck führt. Das Gelände selbst wurde vor einigen Jahren in eine kleine parkähnliche Anlage mit Sitzgelegenheiten umgestaltet. Ihren zentralen Punkt bildet ein 2007 enthüllter Obelisk, der an die Teilung und Vereinigung Europas erinnert. In dem zwischen der Weißen und der Schwarzen Przemsa gelegenen ehemals russischen Teil des Dreiländerecks finden seit einigen Jahren lokale Feierlichkeiten, u. a. zum polnischen Unabhängigkeitstag oder zum Jahrestag des polnischen EU-Beitritts statt. Mittlerweile ist der zu Sosnowitz gehörige Teil des Dreikaiserecks dank der dort errichteten Anlegestellen auch zu einem beliebten Ort unter den lokalen Paddelboot-Freundinnen und -Freunden geworden.
Geliebtes und ungeliebtes Erbe
Die Verwaltung von Myslowitz dagegen scheint im Umgang mit dem immer noch nicht als neutral angesehenen Erbe gewisse Hemmungen zu haben. In einer Stadt, die ehemals zum Deutschen Kaiserreich gehörte, läuft man tatsächlich schneller als in dem »urpolnischen« Sosnowitz Gefahr, sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, man verherrliche die deutsche Vergangenheit. Deutlich unproblematischer betrachtet die Bevölkerung selbst die Geschichte ihrer Stadt. Beispielsweise stimmten im Rahmen des Bürgerhaushalts 2016 die meisten Teilnehmenden für eine Umgestaltung des Myslowitzer Teiles des Dreikaiserecks und die Erneuerung der historischen Promenade. Die Stadt kündigte daraufhin an, eine Fußgängerbrücke über die Przemsa und eine Aussichtsplattform bauen zu wollen. Bisher erlaubte die finanzielle Situation der Stadt aber nur die Umsetzung eines Teiles dieser Pläne: die Sanierung eines Abschnittes der Promenade und die Anlage eines Parks in ihrer direkten Nähe.
Interessanterweise war beziehungsweise bleibt das Dreikaisereck ein beliebtes Motiv im gastronomischen Bereich der Stadt. Im Stadtteil Birkental/Brzezinka, in dem bis 1918 ein Grenzübergang zum österreichischen Galizien existiert hatte, gab es bis vor Kurzem das Restauracja Trzech Cesarzy (»Restaurant zu den drei Kaisern«). Ein Lokal im Stadtzentrum warb wiederum mit dem Spruch »Küche der drei Kaiser« für sich. Und etwa 900 Meter Luftlinie vom Dreikaisereck und dem früheren Standort des Bismarckturms entfernt befindet sich das in der Gegend beliebte Restaurant Dwór Bismarcka (»Bismarck-Hof«). Nach dessen Eröffnung ließen sich vom Sosnowitzer Ufer der Przemsa jedoch auch kritische Stimmen vernehmen: Bismarck sei ein Polen-Hasser gewesen, an den in dieser Form nicht erinnert werden solle. Diese kleine Episode zeigt: Die Staatsgrenze zwischen Myslowitz und Sosnowitz verschwand vor genau hundert Jahren. Die Sichtweisen aber bleiben bis heute zum Teil weiterhin unterschiedlich.
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Der Artikel erschien im Magazin
KK – Kulturkorrespondenz östliches Europa
Ausgabe № 1432 | November 2022
mit dem Schwerpunktthema:
Auswanderung: neues Leben in Übersee