Fläche: 78.864 km²
Einwohner: 10,5 Mio.
Hauptstadt: Prag
Amtssprache: Tschechisch
Währung: Tschechische Krone
Deutsche und Tschechen: Fruchtbare und furchtbare Gegensätze
Im 12. und 13. Jahrhundert wanderten zahlreiche deutsche Handwerker, Bauern, Berg- und Kaufleute in die von den westslawischen Přemysliden beherrschten böhmischen Länder Böhmen, Mähren und Schlesien ein. Sie machten Land urbar und gründeten ein dichtes Netz von Städten nach deutschem Recht. Während die Randgebiete Böhmens nahezu ausschließlich von Siedlern aus deutschsprachigen Regionen bewohnt wurden, lebten in vielen anderen Städten Deutsche und Tschechen zusammen. Unter dem böhmischen König und Kaiser Karl IV. wurde das Land mit seiner Hauptstadt Prag im 14. Jahrhundert zum Mittelpunkt des römisch-deutschen Reiches. Die Revolution der Anhänger des Reformators Jan Hus im 15. Jahrhundert zeigte Gegensätze zwischen Tschechen und Deutschen, obgleich es auch deutsche Hussiten und tschechische katholische Adelige gab. Seit 1526 gehörte Böhmen zum Habsburgerreich, das die Gegenreformation ab 1620 radikal durchsetzte. Das Land blieb bis 1918 Teil des Reichs, was zu einer Zurückdrängung der tschechischen Sprache und Kultur führte. Im frühen 19. Jahrhundert kam es einerseits zur so genannten nationalen Wiedergeburt der Tschechen, andererseits entstand auch die Idee eines böhmischen Landespatriotismus, der das binationale Element in den Vordergrund stellte.
Deutsche erhalten Minderheitenstatus
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzog sich mit der Entstehung des Nationalgedankens eine politisch-gesellschaftliche und kulturelle Trennung. In der 1918 gegründeten ersten Tschechoslowakischen Republik erhielten die Deutschen Minderheitenstatus. Dabei fühlten sie sich von der tschechoslowakischen Regierung in vielen Bereichen ungerecht behandelt. Dies brachte später der nationalsozialistisch orientierten »Sudetendeutschen Partei« viele Anhänger. 1938 erfolgte die Abtretung des »Sudetenlandes« an Hitler-Deutschland. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik wurde das »Protektorat Böhmen und Mähren« errichtet. Tschechen und antifaschistische Sudetendeutsche wurden terrorisiert, tschechische und deutschsprachige Juden ermordet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zur gewaltsamen Vertreibung der meisten Deutschen, deren Familien seit Jahrhunderten in Böhmen und Mähren ansässig gewesen waren.
Vom Ackermann zu Kafka
Bereits im Hoch- und Spätmittelalter zeigte sich die gegenseitige Befruchtung der tschechischen und deutschen Kultur: Unter dem Luxemburger Karl IV., der die böhmische Hauptstadt Prag zu einem politischen und kulturellen Zentrum Mitteleuropas machte, beeinflussten sich das Deutsche und das Tschechische wechselseitig. Vom frühneuhochdeutschen Epos Der Ackermann aus Böhmen gab es Versionen in beiden Sprachen. Die gotischen, renaissancezeitlichen und barocken Baudenkmäler Böhmens und Mährens sind Werke tschechischer, deutscher (einschl. österreichische), aber auch italienischer Meister. Zahlreiche Persönlichkeiten des europäischen Geisteslebens stammen aus dem deutschen Sprachkreis Böhmens und Mährens, darunter Adalbert Stifter, Sigmund Freud, Bertha von Suttner, Gustav Mahler, Rainer Maria Rilke und Franz Kafka. Die sich gegenseitig befruchtenden Kulturen erzeugen den ganz eigenen Zauber der Städte und Landschaften in der heutigen Tschechischen Republik – schon in der sozialistischen Ära mehr als nur Kulisse für die berühmten Märchenfilme.
Deutsche Bevölkerung
Um 1800 lag der deutschsprachige Bevölkerungsanteil in Böhmen bei 38 Prozent, in Mähren bei 27 Prozent und in Österreichisch-Schlesien bei 47 Prozent. Mit der Industrialisierung stieg der Anteil der Deutschen in den böhmischen Ländern an, allerdings nicht so stark wie der der Tschechen. 1937 stellten die seit dem Ersten Weltkrieg so genannten Sudetendeutschen 22 Prozent der Landesbewohner. Nach der Vertreibung bekannten sich die verbliebenen Deutschen aus Angst vor Nachteilen oft nicht mehr zu ihrer Herkunft. Bei der Volkszählung von 1991 gaben 53.500 Bürger die deutsche Nationalität an, ihr Anteil wird auf das Doppelte geschätzt.
Unser Tipp
Zum nahezu vergessenen Prager deutschsprachigen Schriftsteller Johannes Urzidil, der seine böhmische Zweivölkerheimat in zahlreichen, im amerikanischen Exil entstandenen Werken literarisch erinnert, ist in der Potsdamer Bibliothek östliches Europa ein Lesebuch erschienen: HinterNational – Johannes Urzidil. Ein Lesebuch von Klaus Johann und Vera Schneider.
Im Jahr 2013 veranstalteten das Bundesland Oberösterreich und der Südböhmische Kreis eine Landesausstellung unter dem Titel »Alte Spuren - Neue Wege«. Die grenzüberschreitende Ausstellung thematisierte kulturelle, wirtschaftliche und soziale Beziehungen der beiden Länder und beschäftigte sich mit den regionalen Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Sie wurde in den oberösterreichischen Städten Freistadt und Bad Leonfelden sowie auf tschechischer Seite in Krumau/Český Krumlov und Hohenfurth/Vyšší Brod gezeigt.
Literatur
Roswitha Schieb: Literarischer Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck. Karlsbad • Marienbad • Franzensbad, Deutsches Kulturforum östliches Europa 2019
František Frýda, Jan Mergl: Pilsen/Plzeň. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die westböhmische Metropole. Deutsches Kulturforum östliches Europa in Kooperation mit dem Verlag Schnell + Steiner 2015
Koschmal, Walter, Nekula, Marek, Rogall, Joachim (Hrsg.): Deutsche und Tschechen. Geschichte – Kultur – Politik. München 2001.
Prinz, Friedrich: Böhmen und Mähren. München 1993.
Seibt, Ferdinand: Deutschland und die Tschechen. Geschichte einer Nachbarschaft in der Mitte Europas. München 1998.
Links
Adalbert Stifter Verein
Der Adalbert Stifter Verein erforscht die deutsch-böhmische Kulturgeschichte und fördert den deutsch-tschechischen Kulturaustausch.
Collegium Bohemicum
Die Website des Collegium Bohemicum präsentiert Forschungsergebnisse zur Geschichte des Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen in den böhmischen Ländern.
Collegium Carolinum
Das Collegium Carolinum befasst sich mit der Geschichte und Gegenwart Tschechiens und der Slowakei sowie Ostmitteleuropas.
Deutsch-tschechische Presseagentur
Die deutsch-tschechische Presseagentur bietet Journalisten und Privatpersonen Informationen und Nachrichten zur deutsch-tschechischen Region.
Prager Zeitung
Website der deutschsprachigen Prager Zeitung.
Projekt »mundArt«
Die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien stellt im Rahmen des Projektes »mundArt« zehn in Tschechien lebende Deutsche im Alter zwischen 76 und 90 Jahren vor, in deren Dialekten die alte Heimat weiterlebt.
Wolftraud de Concini war Stadtschreiberin in Pilsen/Plzeň 2015
Die Publizistin und Fotografin berichtete aus der westböhmischen Stadt, die in diesem Jahr eine der beiden Europäischen Kulturhauptstädte war: www.stadtschreiberin-pilsen.de