Eine reiche und komplizierte, mitteleuropäische Geschichte
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Der Altar der Friedenskirche in Schweidnitz/Świdnica
Schloss Schildau (Pałac Wojanów) im Hirschberger Tal dient heute als Hotel.
Schlesische Protestanten errichten die Friedenskirche in Schweidnitz/Świdnica. Sie gilt als die größte Fachwerkkirche Europas.
Der Ring in Breslau/Wrocław von oben
Eine alte Karte von Schlesien

»Ein zehnfach interessantes Land« (Johann Wolfgang von Goethe)

Nicht ohne Grund schrieb Johann Wolfgang von Goethe im August 1790 aus Schlesien nach Weimar: »Seit Anfang des Monats bin ich nun in diesem zehnfach interessanten Lande«. Schlesien war und ist eine interessante Region – landschaftlich, historisch, kunsthistorisch, architektonisch, national und konfessionell, sprachlich, kulturell, wissenschaftlich und wirtschaftlich.

Am Stromland der Oder

Schlesien ist eine mitteleuropäische Region, die beiderseits des Ober- und Mittellaufs der Oder liegt. Das historische Schlesien befindet sich heute größtenteils in drei polnischen Verwaltungsbezirken: in der Woiwodschaft Niederschlesien, mit der Hauptstadt Breslau, in der Woiwodschaft Oppeln und in der Woiwodschaft Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz. Schlesien ist etwa so groß wie Baden-Württemberg und hat rund fünf Millionen Einwohner.

Zwischen Polen und der Böhmischen Krone

Bis ins 14. Jahrhundert gehörten die schlesischen Fürstentümer dem polnischen Staatsverband an, danach wurden sie Teil der böhmischen Krone, mit der Schlesien 1526 an das Haus Habsburg fiel. Seit dem 13. Jahrhundert, insbesondere nach dem Mongolensturm im Jahre 1241, wurden in Schlesien Bauern, Bergknappen, Handwerker und Kaufleute aus dem deutschen Sprachraum angesiedelt. Dynastische Verbindungen der Piastenfürsten mit deutschen Fürsten- und Adelshäusern prägten die Kultur des Landes besonders ab dem späten Mittelalter. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die slawischen Einwohner Schlesiens, das mittlerweile zu Österreich gehörte, mehrheitlich von den Deutschen assimiliert. In Teilen Oberschlesiens dominierte bis zum Zweiten Weltkrieg die regionale Variante des Polnischen als Dialekt.

Preußische Eroberungen

In den drei Schlesischen Kriegen eroberte Preußen 1740 bis 1763 den größten Teil des Landes. Die preußische Provinz Schlesien wurde später aufgeteilt in die Provinzen Niederschlesien und Oberschlesien, die sich wirtschaftlich und kulturell unterschiedlich entwickelten. Mit der in dieser Zeit beginnenden Industrialisierung wurde Oberschlesien mit seinen Steinkohlebergwerken neben dem Ruhrgebiet zu einer der wirtschaftlich wichtigsten Regionen des Deutschen Reiches. Nach einem Volksentscheid wurde 1922 der östliche Teil des preußischen Oberschlesien einschließlich der Stadt Kattowitz (Katowice) dem wieder gegründeten polnischen Staat zugesprochen und bildete fortan die autonome Woiwodschaft Schlesien.

Nach der Dreimächtekonferenz

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der größte Teil Schlesiens gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz in den polnischen Staat eingegliedert. Kleinere, westlich der Neiße liegende Teile der preußischen Oberlausitz gehören heute zu Deutschland, ein Teil Schlesiens gehört zur Tschechischen Republik.

Die deutschen Einwohner mussten nach dem Zweiten Weltkrieg fliehen oder wurden zum überwiegenden Teil vertrieben. Die anderen, auch Autochthonen genannt, wurden zwangspolonisiert, die deutsche Sprache und die schlesischen Dialekte wurden verboten. In der Region Schlesien wurden meist Polen aus Zentralpolen und aus den ehemals ostpolnischen Gebieten neu angesiedelt. Hinzu kamen mehrere zehntausend von Polen vertriebene Ukrainer und so genannte Repatrianten – Polen aus Frankreich, Bosnien, Rumänien. Nach Schlesien kamen mehr als 100.000 polnische Juden, die meisten von ihnen wanderten später in den Westen und nach Israel aus.

Generationenwechsel in Polen

Seit 1990 entwickelt sich von polnischer Seite ein neues Interesse an der deutschen Kultur und Geschichte in Schlesien. Die junge polnische Generation versucht ihre eigene regionale Identität zu finden und zu gestalten, die eng mit der deutschen Geschichte der Region verbunden ist. Die deutsche Minderheit wurde anerkannt. Besonders in der Woiwodschaft Schlesien sind Bestrebungen sichtbar, die schlesische Nationalität als solche und die schlesischen Dialekte als Minderheitensprache anzuerkennen.

Zwischen Gotik, Barock und Gegenwart

Schlesien hat reichen Anteil an der deutschen Kultur und am Geistesleben – seine Hochkultur wurde bis zum Zweiten Weltkrieg vom deutschen Sprachraum geprägt, zunächst durch die Zentren Prag und Wien, seit der preußischen Eroberung vor allem durch Berlin. Gotische Kirchen prägen das Bild von Breslau (Wrocław), Patschkau (Paczków), Liegnitz (Legnica), Glatz (Kłodzko) und Neisse (Nysa). Im 17. und 18. Jahrhundert, zu Zeiten der Habsburger Monarchie, war der schlesische Barock eine feste Größe in der europäischen Architektur.

Seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich Schlesien zu einem bedeutenden Zentrum der deutschen Literatur. Kaum eine andere deutsche Kulturlandschaft bietet ein derart geschlossenes literarisches Bild wie die schlesische. Im Barock glänzten Angelus Silesius, Martin Opitz, Andreas Gryphius, in der Spätromantik Joseph von Eichendorff, im Naturalismus Gustav Freytag und Gerhart Hauptmann und im Expressionismus Max Herrmann-Neisse oder August Scholtis.

Die frühe Musikkultur Schlesiens ist eng mit der Musikkultur Böhmens und Süddeutschlands verknüpft und erreicht einen ersten Höhepunkt im Übergang von der Spätgotik zur Renaissance.

13 schlesische Nobelpreisträger

Beeindruckend ist die Zahl der aus Schlesien stammenden deutschen und deutsch-jüdischen Wissenschaftler wie Max Born und Fritz Haber, der bildenden Künstler wie Adolf Menzel, Otto Mueller, Oskar Moll, Hans Bellmer oder Siegmar Polke, der Architekten Carl Gotthard Langhans, der Musiker Franz Waxman und Conrad Ansorge, der Politiker wie Ferdinand Lassalle oder Paul Löbe sowie der Industriellen, Geistlichen und Widerstandskämpfer. Viele Künstler und Wissenschaftler haben in dieser Region und in ihrer Hauptstadt Breslau internationale Karriere gemacht. 13 Nobelpreisträger stammen aus Schlesien bzw. sind mit der Region familiär verbunden.

Auch heute ist Schlesien eine kulturreiche Landschaft. Schlesien verfügt über zahlreiche Universitäten und Hochschulen, sieben Philharmonien, zwei Opernhäuser, diverse Theater, Museen und Kunstgalerien. Viele polnische Musiker, Künstler Schriftsteller und Theaterleute sind mit Schlesien haben eine Beziehung zu der Region.

Bunzlauer Keramik und Oppelner Zement

Von der Landwirtschaft und Montanindustrie bis zu Biotechnologien – Schlesien ist reich an Bodenschätzen. Steinkohle gibt es in Oberschlesien und im Waldenburger Land, Zinn und Blei in Oberschlesien, Eisenerze bei Schmiedeberg. Tonlager finden sich bei Bunzlau, Quarzsand ist an vielen Stellen vorhanden. Die Gebirge sind reich an Granit, Kalk und Marmor. Die Bearbeitung der Steine und Erden entwickelte sich bei Bunzlau als Tonwaren- und bei Oppeln als Zementindustrie. Die dynamische Entwicklung, der Steinkohlebergbau, die eisenschaffende und eisenverarbeitende Industrie machten aus Oberschlesien im 19. Jahrhundert ein Zentrum der europäischen industriellen Revolution, was zugleich die ethnische und soziale Struktur dieser Region veränderte. Oberschlesien mit seinen Eisenhütten, Gruben und heute teilweise stillgelegten Industrieanlagen sowie Arbeitersiedlungen hat wesentlichen Anteil an der deutschen und europäischen Industriegeschichte. Nach der Wende 1989, besonders nach dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union 2004, haben die oft veraltete montane Industrie Oberschlesiens sowie die Kohlegruben und die Glas- und Textilindustrie Niederschlesiens ihre Bewährungsprobe auf dem globalisierten Weltmarkt nicht bestanden. Hunderte von Fabriken und Industrieanlagen wurden geschlossen und sehr oft abgetragen.

Polen, Deutsche, Schlesier

Schlesien hat heute etwa fünf Millionen Einwohner. Diese Region, besonders Oppeln, ist Hochburg der deutschen Minderheit in Polen, die mit rund 200.000 Personen beziffert wird. Bei der Volkszählung von 2011, die auch die „schlesische Nationalität“ umfasste, lag aber die Zahl der Personen, die sich der deutschen Nationalität zugehörig fühlen, bei rund 109.000. Bis 1990 wurde die Existenz der Deutschen in Polen geleugnet. Durch das Verbot der deutschen Sprache und Diskriminierung der Volkskultur war jahrzehntelang alles Deutsche aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Erst nach Abschluss des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages vom 17. Juni 1991 erhielt die deutsche Minderheit volle Rechte als nationale Minderheit sowie eine Vertretung im polnischen Parlament, dem Sejm. Bei der Volkszählung 2002 haben sich 173.148 und 2011 809.000 Personen als Schlesier deklariert. Die schlesische Nationalität ist in Polen bis heute nicht anerkannt. 1990 wurde eine Bewegung für die Autonomie Schlesiens gegründet, die besonders in den letzten Jahren sehr aktiv ist.

Unser Tipp

  • Die Friedenskirchen in Jauer (polnisch Jawor) und Schweidnitz (polnisch Świdnica).
  • Das Hirschberger Tal mit seinen prächtigen Schlössern, Herrenhäusern und Parks.
  • Die barocken Klosteranlagen in Grüssau (Krzeszów), Leubus (Lubiąż), Heinrichau (Henryków) und Trebnitz (Trzebnica).
  • Die industrielle und modernistische Architektur in Oberschlesien.//unsere interaktive Karte von der Exkursion Katowice/Zabrze//
  • Die Stadt Breslau

Literatur & Links

Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Schlesien und die Schlesier. München 1996.

Conrads, Norbert:Schlesien. Berlin 1994.

Ferber, Michael: Schlesische Biographie. Personenlexikon. Nürnberg 2005.

Franke, Arne: Das schlesische Elysium. Burgen, Schlösser, Herrenhäuser und Parks im Hirschberger Tal. Potsdam 2004.

Franke, Arne und Schulze, Katrin: Schlösser und Herrenhäuser in der Grafschaft Glatz. Ein Architektur- und Reiseführer. Freiburg 2009.

Herzig, Arno:Schlesien. Das Land und seine Geschichte in Bildern, Texten und Dokumenten. Hamburg 2008.

Irgang, Winfried, Bein, Werner und Neubach, Helmut: Schlesien. Geschichte, Kultur und Wirtschaft. Köln 1995.

Kuhn, Ekkehard: Schlesien. Brücke in Europa. Berlin 1996.

DurchFlug. E. T. A. Hoffmann in Schlesien. Ein Lesebuch von Peter Lachmann. Potsdam 2011.

Schieb, Roswitha: Literarischer Reiseführer Breslau. Sieben Stadtspaziergänge. Potsdam 2004.

Schieb, Roswitha: Jeder zweite Berliner. Schlesische Spuren an der Spree. Potsdam 2012.

Europareportage (Hg.): Struktur und Architektur. Das postindustrielle Kulturerbe Oberschlesiens. Potsdam 2010.

Silesia Nova, Vierteljahresschrift für Kultur und Geschichte. Dresden.