Potsdamer Neueste Nachrichten • 10.03.2004
Als Ikone seiner Epoche sieht Georg Witte den russischen Fürsten Potemkin (1739-1791), an dem die damalige Zeit exemplarisch zum Ausdruck kam. Georg Witte, Professor für ostslawische Literaturen und Kulturen an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen gegenwärtige russische Lyrik übersetzt und herausgegeben, unter den mittlerweile gelüfteten Pseudonymen »Günter Hirt« und »Sascha Wonders«.
Ihn interessieren Selbstdarstellung und Mystifizierung und die Umbrüche, in denen bestimmte Symbolauffassungen und Darstellungsweisen sich ändern. Solch ein Umbruch lässt sich im Russland des 18. Jahrhunderts beobachten, wo der Fürst Potemkin in einer atemberaubenden Karriere zum Favorit (institutionalisiertem Liebhaber) Katharinas II. emporschnellte. Im Rahmen der Ausstellung »Katharina II. – mächtig aber auch groß?« im Brandenburgischen Kunstverein sprach Georg Witte auf Einladung des Deutschen Kulturforums östliches Europa jüngst über »Fürst Potemkin, seine Dörfer und andere Kulissen«.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die höfische Kultur in Russland auf ihrem Höhepunkt. Katharina II., 1729 in Stettin als Prinzessin von Anhalt-Zerbst geboren, herrschte als Kaiserin. Sie galt als aufklärerisch, korrespondierte mit Voltaire und Diderot und wurde doch zur Despotin, als die Umwälzungen, die in Frankreich zur Revolution führten, sich auch in Russland ankündigten. Doch zunächst inszenierte sie Russland als zivilisierte und zivilisierende Macht. Moskau als das dritte Rom, nach Konstantinopel, und als Erbe der griechischen Antike (Türkenkriege). Fürst Potemkin, der für Katharina II. erfolgreich die südrussischen Gebiete kolonisierte und ihr enger Vertrauter war, unterstützte diese »Zivilisierungspolitik«.
Die damalige Zeit liebte, wie Georg Witte ausführte, die Kulisse, das Rollenspiel, das Unechte, das Inszenierte. Die höfischen Menschen gaben sich extrovertiert, fast exzentrisch, alles war zeichenhaft, äußerlich. Und Potemkin stellte, so Georg Witte, die Apotheose des »äußeren Menschen« dar. Auf seine Zeitgenossen machte er großen Eindruck, in zahlreichen Memoiren wurde er beschrieben. Potemkin schien das Unvereinbare zu vereinen, spielte zahllose Rollen und liebte die Inszenierung bis zum Exzess. Ein Mann, genusslos begehrend und mit nichts zufrieden.
In die Geschichte eingegangen ist er vor allem durch seine Inszenierung der Reise Katharinas II. durch »Neurussland« (Südrussland), 1787. Diese Reise sollte die europäischen Herrscherhäuser mit einem neuen Russland, mit der Krone der Zivilisation beeindrucken. Dorfkulissen, vollbeladene Wagen und pralle Kornsäcke, schneidige Regimenter und reiche Ladenauslagen reisten von Station zu Station mit, um überall Reichtum und blühend Lande zu inszenieren. Der Begriff »Potemkinsche Dörfer« ist als Synonym für »Blendwerk« und »leerer Schein« zurückgeblieben. Doch Georg Witte machte deutlich, dass dieser leere Schein damals gewollt war und durchaus durchschaut wurde.
Genauso wie die Politik in theatralische Erklärungen, die um ihrer selbst Willen zelebriert wurden, und in praktische Maßnahmen, die mit den Ankündigungen nichts zu tun hatten, zerfiel, sollte die Reise eine Vision zeigen und nicht die Wirklichkeit. Wen interessierten schon die wirklichen Missstände? Zur Blüte der Zivilisation strebte der Hof und dieses Ideal inszenierte er sich in einer Reise der Zeichen, die von Aufklärung im Sinne von Aufhellung geprägt war.
Große Feuer beleuchteten bei Nacht den Weg der Kaiserin, Illuminationen und Feuerwerk waren an der Tagesordnung. Für Georg Witte ist diese Reise der deutlichste und kurioseste Ausdruck des Planungsdrangs, der damals herrschte. Unglaubliches wurde geplant und ganz anderes wurde verwirklicht. An diesem Widerspruch setzten, so Georg Witte, die Brüche und Risse an, das Ende der höfischen Kultur. Auch an Potemkin zeigten sich Risse. Die »Kultur der Empfindsamkeit« begann, die sich vom Äußeren ab- und der Innerlichkeit, dem Echten und Wahrhaftigen zuwandte und Potemkin fiel aus seinen Rollen, ohne jedoch in etwas anderes überwechseln zu können. Eine Anekdote, die Georg Witte anführte, berichtet von einem Potemkin, der nägelkauend und zerzaust im abgedunkelten Zimmer sitzt und seine fürstliche Rolle verweigert. Erlöst von seinen Masken, aber auch verloren in der neuen Zeit, sieht Georg Witte in Potemkin den »Kaspar Hauser der höfischen Kultur«.
- Liebe zum Blendwerk
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der PNN
- Betrug oder Modell?
Fürst Potemkin, seine Dörfer und andere Kulissen • Vortrag von Prof. Dr. Georg Witte, Berlin • Im Rahmen der Ausstellung »Katharina II. – mächtig, aber auch groß?«