Diskussion zur Debatte um das »Zentrum gegen Vertreibungen«
Jan Kixmüller

Potsdamer Neueste Nachrichten • 24.01.2004

Es war zu erwarten, dass es bei diesem Thema kaum einen Konsens geben würde. Man wollte die Kontroverse um das »Zentrum gegen Vertreibungen« nicht weiterführen, sondern vielmehr ihren Verlauf mit Blick auf das deutsch-polnische Verhältnis bilanzieren; und dann nach vorne schauen. Dafür trafen sich am Donnerstagabend neben Wissenschaftlern und Interessierten auch Betroffene der Vertreibung in dem gerade erst eröffneten Bibliotheksbau des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) und des Forschungszentrums Europäische Aufklärung (EAF). Das Interesse an dem Thema war so groß, dass manch einer die Diskussion vom Türrahmen aus verfolgen musste.

Das vom Bund der Vertriebenen unter Vorsitz von Erika Steinbach und Peter Glotz initiierte Projekt »Zentrum gegen Vertreibungen« hatte im vergangenen Jahr eine hitzige Debatte ausgelöst, nicht nur der Ort Berlin war Gegenstand, sondern vor allem die Frage, wie an die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts erinnert werden soll, ohne alte Gräben und Wunden zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn neu aufzureißen.

Warum die Debatte im vergangenen Jahr zwischen Deutschland und Polen eskalierte, konnten die sehr erhellenden Ausführungen von Dr. Claudia Kraft vom Deutschen Historischen Institut Warschau erklären. Wenn man in Polen heute gereizt auf deutsche Vorwürfe reagiere, dass man sich nicht ausführlich mit dem Kapitel der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt habe, dann liege das in erster Linie daran, dass diese Auseinandersetzung in Polen eben doch stattgefunden habe. Und zwar schon in den Jahren 1993 bis 1995; von Deutschland fast unbemerkt. Auch habe man in unserem Nachbarland empfindlich reagiert, als Politiker wie Edmund Stoiber im Wahlkampf forderten, dass Polen die Vertreibung legitimierende Dekrete aufheben soll, wolle es in die EU beitreten. »Da war Stoiber schlecht beraten, in Polen existieren keine solchen Dekrete«, wusste die Historikerin.

Überhaupt habe es in den vergangenen Jahren in unserem Nachbarland eine große Offenheit für die deutsche Vergangenheit in Polen gegeben. So wurde auch Günter Grass’ Im Krebsgang mit Wohlwollen aufgenommen. Man befürwortete, dass die Deutschen sich nun mit der Vertreibung beschäftigen. Dass es im vergangenen Jahr in Polen zum nationalen Schulterschluss gegen das Vertreibungszentrum gekommen sei, liege vor allem in der Furcht begründet, dass sich eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg entwickle. Die Polen könnten nun als Täter gesehen werden, während sie unter dem Nationalsozialismus tatsächlich doch sehr stark zu leiden hatten. Und schließlich befürchte man auch, bei dem Projekt könne in Vergessenheit geraten, dass viele Polen Opfer der Vertreibung wurden, anfangs durch Deutschland, und später als diejenigen, die in den ehemals deutschen Städten angesiedelt wurden. Die Initiatoren des Vertreibungszentrums hätten von Polen und Tschechen hingegen immer nur als Täter gesprochen, so Claudia Kraft. Als unglücklich werde in Polen auch die Verbindung der neuen historischer Auseinandersetzung mit politisch-juristischen Fragen – und letztlich handfesten Gebietsansprüchen – angesehen. »Schließlich wurde die Offenheit der Polen für das Thema durch diese Verbindung unmöglich gemacht.«

Eher selbstkritisch betrachtete Dr. Jürgen Danyel vom ZZF die Debatte. Die Kritiker des Vertreibungszentrums – er eingeschlossen– hätten zu lange nur reagiert, ohne ein eigenes Konzept und Alternativen anzubieten. Ihm erscheine die Frage des Ortes wichtig. Von einem Großzentrum an einem Ort erwartet der Historiker weniger Wirkung als von einer Wanderausstellung und Aufklärung vor Ort. Wenn man heute in den Orten der Vertreibung Museen besuche, sei dass Thema immer noch ausgespart. Für bedenklich hält Danyel, dass in dem »neuen deutschen Opferdiskurs« Vertriebene den gleichen Rang erhalten wie die Opfer des Nationalsozialismus. Der Historiker verweist auf museale Lösungen – etwa der Internierungen durch die Sowjets – die keine Relativierung der NS-Verbrechen beinhalten würden. Allerdings gelte es auch, Vorurteile der Linken gegenüber Vertriebenen aufzubrechen, am besten durch die Beschäftigung mit Erlebnisberichten.

Die Direktorin des Kulturforums östliches Europa, Dr. Hanna Nogossek, sprach sich ebenfalls gegen das Vertreibungszentrum aus. Sie erwarte nicht, dass ein institutionalisiertes Zentrum die gesellschaftliche Diskussion ersetzen könne, die es brauche, um dieses letzte offene Kapitel des Krieges zu bewältigen. Die Haltung der Initiatorin Erika Steinbach schade dem Thema. »Sie richtet gerade unter den Verriebenen selbst großen Schaden an, die nun wieder in das Licht von Revanchisten geraten«, sagte Nogossek, die selbst als Kind Oberschlesien verlassen musste.

Eine klare Position für das Vertreibungszentrum fehlte auf dem Podium. Nur Prof. Julius H. Schoeps ergriff als Zuhörer das Wort für das Projekt, in dessen Wissenschaftlichem Beirat er von Beginn an war. Er habe als Vertreter der jüdischen Position auch andere Vertriebenengruppen repräsentiert. Das Zentrum, für das sich alle Parteien des Bundestages ausgesprochen hatten, betreffe alle Vertreibungen, also beispielsweise auch die Vertreibung der Armenier durch die Türken. Einen breiten Konsens gab es, wie zu erwarten, in dieser Runde nicht, aber einige Übereinkünfte. Etwa, dass die Historiker nun stärker Differenzierung in das Thema bringen müssten, damit die NS-Verbrechen gegenüber dem Unrecht der Vertreibung nicht relativiert werden könnten.

  • Museale Lösungen

    Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten

  • »Kein Ort nirgends?«

    Die Kontroverse um das »Zentrum gegen Vertreibungen« im Spiegel des deutsch-polnischen Verhältnisses