Das eigentliche Thema der Veranstaltung blieb oft nur eine Randerscheinung
Dirk Becker
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Potsdamer Neueste Nachrichten • 03.12.2009

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der potsdamer neuesten nachrichten.

Fast zum Ende hin dann die Frage eines geduldigen Zuhörers. Was solle er, der selbst aus einer Familie Vertriebener stammt, seinem 19-jährigen Sohn denn nun antworten, wenn er von dieser Veranstaltung nach Hause kommt und gefragt wird, warum die Vertriebenen in der DDR ein Tabu waren? Er könne es ihm noch immer nicht sagen.

Zwar wurden ihm dann durch Michael Schwartz, Professor für Neuere und Neueste Geschichte in Münster, Antworten mit auf den Weg gegeben. Hinweise auf die Zwänge durch die Bündnispolitik mit der Sowjetunion, die wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten und die Vermutung, dass eine offizielle Anerkennung als Vertriebene eine Entschädigungswelle nach sich gezogen hätte, die von der DDR nicht hätte geleistet werden können. Doch war dieser diplomatisch formulierte Hilferuf des geduldigen Zuhörers auch eine deutliche Kritik an der Veranstaltung „Verschwiegene vier Millionen – Vertriebene in der DDR“. Es wurde über vieles zum Thema Vertriebene an diesem Abend geredet. Doch das eigentliche Thema der Veranstaltung, die Vertriebenen in der DDR, blieb oft nur eine Randerscheinung.

Wie wichtig es immer noch ist, über die Vertreibung von über zwölf Millionen – vier davon lebten in der späteren DDR – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu reden, zeigte das Interesse an dem Podiumsgespräch »Verschwiegene vier Millionen – Vertriebene in der DDR« am Dienstagabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa hatte zum Adventskulturforum geladen und fast alle Stühle im Saal waren belegt. Auf dem Podium saßen Wolfgang Thierse (SPD), Vizepräsident des Bundestages, Michael Schwartz, Alena Wagnerová, Schriftstellerin, Manfred Kittel, Direktor der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« und Jürgen Danyel vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung als Moderator.

Thierse, der 1942 in Breslau geboren wurde und der mit dem Schicksal der Vertriebenen durch die Geschichten in der eigenen Familie aufgewachsen ist, blieb mit seinen Ausführungen noch am stärksten am vorgegebenen Thema des Abends. Aufgewachsen in der DDR, sind es vor allem die Familien und die Kirchengemeinden gewesen, in denen die Erinnerung an die Traumata der Flucht und Vertreibungen wachgehalten wurden, so Thierse. Trotzdem habe der öffentliche Sprachraum für eine auch therapeutische Auseinandersetzung mit dem Thema gefehlt. Dies habe sich mit der Wende von 1989 geändert. Für Thierse war schon sehr früh klar, dass die Vertreibung letztendlich eine Konsequenz des Zweiten Weltkrieges war. Deutschland hatte einen Krieg mit verheerenden Folgen begonnen. »Darum sind wir selbst schuld«, sagte Thierse. Eine These, die auch zu Unmut im Publikum führte. Einigkeit jedoch herrschte bei dem Thema Versöhnung, die als Grundsatz heute und in Zukunft die nicht ganz leichte Auseinandersetzung mit der Vertreibung leiten solle. Jede Seite müsse bereit sein, sich die Geschichten der anderen anzuhören, auch wenn dies mit einem äußerst schmerzhaften Prozess verbunden ist. Die Einheit Europas, die es revanchistischen Tendenzen sehr schwer mache, befördere eine Auseinandersetzung mittels Dialog, so Thierse.

Nichts gegen solche optimistisch stimmenden Aussagen. Doch es gab zu oft Momente an diesem Abend, wo man das Podium gern an das eigentliche Thema erinnert hätte: »Verschwiegene vier Millionen – Vertriebene in der DDR«.