Der Tscheche Jaroslav Rudiš über vertriebene Deutschen und die Europäische Union
Karim Saab
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Märkische Allgemeine Zeitung • 29.01.2009

[…] MAZ: Was bedeutet Ihnen als Tscheche das sudetendeutsche Erbe in Liberec, das früher einmal Reichenberg hieß?

Jaroslav Rudiš: Ich habe in Liberec sieben Jahre verbracht, an der Uni habe ich Deutsch und Geschichte studiert, und zwei Jahre lang habe ich als Nachtportier in einem alten Grandhotel gearbeitet. Es ist eine Stadt mit einer ganz speziellen Stimmung, ein bisschen unruhig, umgeben von den Bergen, ein bisschen abgeschnitten vom Inland. […] Unter dem mächtigen grauen Himmel findet man eine Stadt mit einer unglaublich spannenden deutsch-tschechischen Geschichte, die man einfach nicht übersehen kann. Das thematisiere ich auch in meinem nicht autobiografischen Roman »Grand Hotel«. Mein Held Fleischman spricht beide Sprachen und fühlt sich mit der Geschichte fest verbunden, er ist mit unsichtbaren Wurzeln mit Liberec vernetzt und versucht, sie loszuwerden. Er möchte sich vom Trauma der Geschichte und von seiner Familie befreien. […]