neue musikzeitung № 10 • 01.10.2007
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Tonkünstlerverbandes und der neuen musikzeitung.
Auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, wurde im Jahr 2000 das Deutsche Kulturforum östliches Europa als gemeinnütziger Verein in Potsdam gegründet. Seither bringt es einem breiterem Publikum die deutschen Kulturtraditionen im östlichen Europa nahe, durch Veranstaltungen in den Bereichen Kulturgeschichte, Literatur, Musik und bildende Kunst sowie durch Publikationen, wie die jüngst erschienene Dokumentation mit CD über den deutschen Komponisten Edwin Geist, der in Litauen im Exil lebte und arbeitete, bis er 1942 von der Gestapo erschossen wurde.
Edwin Geist gehörte in den Kreis der sogenannten »Neutöner«, seine Werke sind von höchst expressivem Charakter und klangmalerischer Balance. Dies zeigt sich besonders in den auf der CD eingespielten Liedern nach Texten von Hugo Salus, Rainer Maria Rilke, Richard Dehmel, Benediktas Rutkünas und anderen, die ganz gezielt durch unterschiedliche Besetzungen begleitet sind. Auffallend dramaturgisch und korrespondierend gearbeitet sind hier »Der seltsame Abend« für Sopran und Streichtrio und die »Drei Lieder« für Violine und Bariton (man beachte die Reihenfolge), im Übrigen hervorragend interpretiert von den Musikern Verena Rein (Sopran) mit Mitgliedern des Chordos-Quartetts und Peter Schöne (Bariton) mit Aidas Strimaitis (Violine). Das einzige Instrumentalstück auf der CD heißt »kosmischer Frühling« aus der Pantomime »Das Tanzlegendchen« nach Gottfried Keller für Violine, Violoncello und Klavier. Es ist eine Komposition mit einer besonders ergreifenden Sensibilität, die romantischimpressionistische Strukturen mit entfremdeten, neuen Klängen verbindet und das große Potential des Komponisten deutlich werden lässt.
Bereits im Ghetto von Kaunas hatte Edwin Geist im Frühjahr 1942 die Arbeit an einer symphonischen Pantomime für großes Orchester begonnen, die sich auf Gottfried Kellers Tanzlegendchen bezieht. Das Orchesterwerk blieb unvollendet und liegt als Skizze vor. Als Geist nach seiner Befreiung aus dem Ghetto die Freilassung seiner Frau Lyda betrieb, bearbeitete er den Adagio-Teil unter dem Titel »Kosmischer Frühling« für Klaviertrio. Gemeinsam mit zwei Kollegen spielte Geist in jenen Monaten selbst in Triobesetzung das Stück bei verschiedenen Anlässen.
Der Amateurgeiger des Ensembles, der von Beruf Drucker war, half manchem Bekannten durch die Erstellung falscher Ausweispapiere. Er unterstützte Geist auch bei seinen schließlich erfolgreichen Bemühungen um die Befreiung seiner Frau Lyda. Die Uraufführung des Stückes »Kosmischer Frühling« fand an dem Tag der Befreiung Lyda Geists am 31. August 1942 statt. Einige Monate später wurde Edwin Geist von der Gestapo verhaftet und am 10. Dezember 1942 in Kaunas erschossen; seine Frau Lyda nahm sich kurz darauf das Leben.
Über die musikalische Ausbildung Edwin Geists ist bisher wenig bekannt. In der Spielzeit 1924/25 arbeitete jedoch der 22-Jährige bereits als Korrepetitor an den Städtischen Bühnen Stettin, in der Spielzeit 1928/29 als Kapellmeister am Zürcher Schauspielhaus. Seinen Geburtsort Berlin scheint Geist jedoch trotz der Engagements in Stettin und Zürich bis zum Exil in Kaunas nicht wirklich verlassen zu haben. Er war von 1928 bis 1931 mit Alexandra Brodowsky dort verheiratet, einer guten Amateurgeigerin, für die vermutlich die »Drei Lieder« geschrieben wurden. Auch ist bekannt, dass er in Berlin an einem größeren Werk mit dem Titel »Der Golem« arbeitete – einem Musikschauspiel, von dem jedoch bisher jede Spur fehlt. Die einzigen Zeugnisse Edwin Geists im Berlin der 1930er-Jahre sind seine Notenmanuskripte, auf denen der Komponist die Daten und seine jeweiligen Adressen eintrug. 1938 floh Geist nach Kaunas, in die Hauptstadt der Ersten Republik Litauen, die in den Jahren ein Sammelpunkt für Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland und der Sowjetunion war.
In Litauen begann Geist auch über Musik zu schreiben: Er veröffentlichte Musiktheoretische Artikel in Schweizer und in litauischen Fachzeitschriften und verfasste das 1940 erschienene Buch über »Antikes und Modernes im Litauischen Volkslied«.
Im Sommer 1940 komponierte er zum Gedenken an seine Mutter die »Kleine deutsche Totenmesse«. In der zweiten Hälfte des Jahres 1941 sah alles nach dem großen Durchbruch des Komponisten Edwin Geist aus: Geists Werke wurden im Rundfunk gesendet und der Komponist dirigierte seine Werke in Vilnius. Mit der Okkupation der deutschen Truppen im Sommer 1941 endete die Hoffnung auf eine große Karriere. Die Broschüre über Edwin Geist mit CD-Dokumentation seiner Werke ist ein aufschlussreicher und höchst beeindruckender Beitrag zur deutschen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts.
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Die Onlineausgabe der neuen musikzeitung • Der Artikel ist bisher nur in der Printausgabe erschienen.
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