Nordkurier • 25.05.2007
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkuriers
Es trennt sie nur ein Fluss, im Buch und im wirklichen Leben. Doch sie sehen diese Nähe nicht, wollen sie nicht sehen. Ein gefühlter Graben trennt sie. Eine Berliner Journalistin musste kommen, um ihnen den Spiegel vorzuhalten. Einfühlsam und ehrlich zeichnet Tina Veihelmann auf, was sie dies- und jenseits der Oder erlebt. Bereichert wird ihr Bericht durch schöne, weil ungeschönte Fotos. Aufgenommen in Aurith und Urad, zwei Dörfern, die bis 1945 ein Dorf waren.
Die Autorin hört den Bewohnerinnen und Bewohnern zu, den Menschen hier wie da, ihren Geschichten, voll von Brüchen und Aufbrüchen. Interessant wie bezeichnend ist die demonstrative Parallelführung des Textes, bis hinein in die Formulierungen. »Wenn in Aurith die Hunde bellen, schlagen auch in Urad die Hunde an. Brennt drüben ein Feuer, riecht man auch hier den Rauch. Doch kaum einer hat je die andere ›Dorfhälfte‹ gesehen.« So steht es in abgewandelter Form im Kapitel über Aurith und dem über Urad. Immer wieder gibt es Knotenpunkte in den jeweiligen Biografien.
Einer davon ist die gemeinsame Erfahrung von Flucht und Vertreibung. Kamen viele Aurither einst aus Schlesien, sind die Urader aus der Tatra gekommen und aus Gebieten jenseits des Bug. Sie alle mussten neu anfangen an der Oder. Sie teilten das Gefühl der Fremdheit. Andere gemeinsame Erlebnisse waren der Zusammenbruch des Kommunismus, der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz und die Oder-Flut von 1997, wenngleich die Aurither hier vergleichsweise wesentlich stärker betroffen waren.
»Silkes Traum in Grün« heißt ein Abschnitt in »Aurith«. »Alicjas Traum in Grün« einer in »Urad«. Silkes Traum heißt »Bauernstübchen« und der von Alicja »Bar unterm Birnbaum«. Beide Frauen haben sich mit Hilfe ihrer Familien aus dem Nichts eine Existenz geschaffen. Beide Gaststätten tragen einen leuchtend grünen Anstrich. Beide Frauen haben große Pläne. So kurios manches Motiv wirken mag, hier wird niemand vorgeführt. Im Gegenteil, die Autorin begegnet ihren Gesprächspartnern mit wohlwollendem Respekt.
Am Schluss steht die Jugend und die Liebe. Zwei Jungen aus Urad hatten die Oder durchschwommen und zwei Mädchen aus Aurith kennengelernt. Diese meinten, die Jungen wären nur ihretwegen gekommen und brachen zum Gegenbesuch nach Urad auf. Das ist das Ende der Geschichte, eine Ahnung von der Liebe bleibt und davon, was die beiden Dörfer einst verbinden könnte. Der Text macht seinerseits einen Anfang.
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