Nachbetrachtungen einer Exkursion des Kulturforums in die Zips und nach Bratislava im Sommer 2006 | Feature für die Sendung »Alte und neue Heimat«
Radio WDR, 22.04.2007
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Typische Architektur in der Zips
Der Autor im Gespräch mit Dr. Ondrej Pöss
Der Autor im Gespräch mit Vojtech Wagner aus Kežmarok
Die Leiterin der Lyzealbibliothek in Kežmarok/Kesmark
Im Gespräch mit Vertretern der ungarischen Minderheit
Suzana Chudová: »Im Zentrum von Bratislava leben viele Familien, die noch ungarisch, deutsch und slowakisch sprechen.«
Neusohl/Banská Bystrica: Marktplatz mit Mariensäule und Stadtburg.
Museum der Kultur der Karpatendeutschen in Bratislava

Von Wolf Oschlies

Die Veröffentlichung des Sendemanuskripts erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion Alte und neue Heimat von Radio WDR 5.

Von Staatsbürgerschaft bin ich eine Slowakin, aber ich fühle mich als eine Deutsche, weil meine Vorfahren eben Deutsche waren.

So Anka Lunavská, eine junge Frau aus dem ostslowakischen Kežmarok, deutsch Kesmark. Die kleine Slowakei, mit 49.000 km² nur wenig größer als Niedersachsen, blickt auf eine große Geschichte zurück, an der Deutsche wesentlich beteiligt waren, die Karpatendeutschen. So hatte der Historiker Raimund Friedrich Kaindl vor etwa 130 Jahren die deutsche Volksgruppe im alten Groß-Ungarn benannt, in das sie ab dem 12. Jahrhundert als Kolonisten gerufen worden waren. Auf dem Zug dorthin blieben nicht wenige in der heutigen Slowakei, damals Ober-Ungarn, zu ihrem und anderer Glück: Die den Deutschen anderswo gewährten Privilegien vergab man nur hier an multiethnische Siedlungen, die dadurch stolze Slobodné král’ovské mestá wurden, königliche Freistädte. Davon (und von deutschem Know how) profitierten alle Einwohner, weiß der junge Deutsche Igor Kreuz:

Die Karpatendeutschen haben eigentlich die ganze Zips gebaut, die haben hier die Kultur gebracht, die haben Werkzeug gebracht und alles mögliche.

Mit dem Kriegsende 1945 endete auch diese Gemeinschaft, nicht nur in der ostslowakischen Zips. Dr. Ondrej Pöss, seit 1994 Leiter des Museums der Kultur der Karpatendeutschen in der Hauptstadt Bratislava, nennt Fakten und Zahlen:

Von den 150.000 Deutschen, welche da lebten, ungefähr 130.000 evakuierten in den westlichen Teil, ob nach Österreich, Deutschland oder Sudetenland. Von diesen 130.000 nach dem Kriegsende wollten ungefähr 35. oder 40.000 zurückkommen in die Slowakei […] Und die 40.000, welche zurückgekommen sind, wurden in Lager gesteckt, unter den Beneš-Dekreten waren sie schon ohne Vermögen, sie konnten nicht mehr in eigene Häuser hineinkommen. Und diese wurden dann aus der Slowakei ausgewiesen.

Wenige durften bleiben, unersetzliche Facharbeiter und Partner aus Mischehen, aber sie waren fortan ins ethnische Niemandsland verbannt:

Bis 1990 waren wir nicht anerkannt offiziell als deutsche Minderheit, lebend in der Slowakei.

So Vojtech Wagner aus Kežmarok, Regionalchef des Karpatendeutschen Vereins in der Slowakei, der im September 1990 entstand und mittlerweile 4.700 Mitglieder in 36 Ortsgruppen zählt. Wie repräsentativ ist der Verein, wie viele Deutsche leben noch in der Slowakei?

Wir schätzen etwa über 15.000, offiziell waren es nach der letzten Volkszählung 5.400.

Angst herrscht bei älteren Deutschen, sich nach Erfahrungen aus der Vergangenheit als Deutsche zu deklarieren, ein aus Ungarn, Slowenien etc. bekannter Umstand. Offiziell gehören die Deutschen zu den anerkannten zwölf Minderheiten in der Slowakei, und sie leben in ihren traditionellen Siedlungsgebieten, die heute die regionalen Schwerpunkte ihres Vereins ausmachen – vor allem im Osten, wo die Slowakei am schönsten ist. Hier haben Menschen aller Volksgruppen früh an der Bewahrung des gemeinsamen Kulturerbes kooperiert, etwa in der Lyzeal-Bibliothek von Kežmarok, mit 150.000 Bänden die größte Mitteleuropas. 1945 haben russische Soldaten sie verwüstet, aber später schuf Bürgersinn Ordnung, erklärt die junge slowakische Bibliotheksleiterin:

Letzte 25 Jahre zurück haben die alte Leute, meistens Pfarrer, Archivare, Bibliothekare, Professoren, alte Rentner, diese Leute haben zuerst geheim, später ganz offiziell, sie haben die Bücher neu katalogisiert, neu signatiert, neu in Regale gesteckt. Die Russen haben uns ganze Dokumentation zerstört, vernichtet. Aber das war nur einziges System dieser vielen Leute nach Größe des Buches. [Gelächter]

Noch listiger ging man in Košice, der ostslowakischen Metropole, zu Werk, wie sich Vertreter des städtischen Zentrums der ethnischen Minderheiten erinnern:

Als nach dem Krieg aus Košice und der ganzen Tschechoslowakei die meisten Deutschen und Ungarn vertrieben wurden, da haben sich bei Volkszählungen nur wenige als Deutsche oder Ungarn deklariert. […] 1970 gab es eine Probezählung, bei welcher einige Tausend anstelle von Deutscher oder Ungar angaben, sie seien Košicer Nationalität.

20 Jahre später war solche Tarnung dank bester Fürsprecher, namentlich am Košicer Dom verewigt, nicht mehr nötig:

Die Stadtverwaltung hat uns unterstützt, vor allem der Oberbürgermeister und spätere Staatspräsident Rudolf Schuster, der selber ein Deutscher ist.

1782 entstand in Košice ein deutsches Theater, das erste der Stadt, heute leben hier kaum noch Deutsche, wohl aber die beste Erinnerung an sie. Ähnlich und deutlicher noch ist es im Westen, in der Hauptstadt. Deren slavischer Name Bratislava kam erst 1919 auf, davor war die Stadt nur als deutsches Preßburg bekannt, was die städtischen Slowaken als Prešpork adaptiert hatten. Dieser Name steht immer noch für eine altstädtische Mischkultur, weiß TV-Reporterin Suzana Chudová:

Besonders im Zentrum von Bratislava leben noch viele Familien der traditionellen Prešporker Art, die noch ungarisch, deutsch und slowakisch sprechen – vielleicht fühlen sie sich nicht einmal als Slowaken, aber gewiß als Alt-Bürger der Stadt.

Zentrum des hauptstädtischen Deutschtum ist jedoch das Museum von Ondrej Pöss, mit seinen rund 5.000 Exponaten, aus der ganzen Slowakei liebevoll gesammelt, seinen Ausstellungen und Schriftreihen wie die Acta Karpato-Germanica. Außerhalb des Museums finden sich unerwartete Unikate:

[Musik]

So klingen sie, die (wörtlich so) Singenden Omas aus Bratislava, ein Ensemble alter deutscher Frauen, ohne die in Bratislava kaum ein Kulturereignis denkbar ist. Nur am Karpatendeutschen Tag, dem 23. September, standen sie heuer im zweiten Glied, weil die Enthüllung einer Gedenktafel für deutsche Vertriebene mehr Augenmerk beanspruchte, die, sagt Ondrej Pöss, in ihrer Schlichtheit keine politischen Emotionen entzündete:

Eine große Bronzetafel mit zwei Anschriften, slowakisch und deutsch, eine große Slowakei-Karte mit den deutschen Siedlungen.

Dort wird man auch die Zips (oder Spíš) wiederfinden, das ostslowakische Hauptsiedlungsgebiet der Deutschen, besungen in der Zipser Hymne. Vojtech Wagner intoniert sie kunstlos-innig:

Der Gott, der uns’re Väter einst
ins Zipser Land geleitet
der hat für uns und Kindeskind
ein Heimatland bereitet
das ist die schöne Zipser Mark
begrenzt von den Karpaten
[Trauermusik, Kirchenglocken]

»Im Leben in Banská Bystrica, nach dem Tod im Himmel« – sagen Slowaken und Deutsche, wobei der Stadtname, Banská Bystrica oder Neusohl, wechseln kann: Aus dieser schönen Region gibt es wohl nur den Himmel als Steigerung! Ein freundlicher Trost dafür, dass Trauermusik und Totengeläut für Slowakei-Deutsche immer häufiger erklingen. Ihre Spuren sind unverwischbar, ihre Taten strahlen längst wieder in altem Ruhm, vor allem in den zahlreichen Städten, deren Namen den Zusatz Banská enthalten. Das heißt Bergbau, und den haben vor Zeiten Deutsche begründet und entwickelt, etwa in der Bergbau-Hochschule in Banská Štiavnica, deutsch Schemnitz, der ersten in der Welt. Gefördert wird dort nicht mehr, aber die Erinnerung lebt, beispielsweise beim Krug Steiger-Bier im Restaurant Berggericht und vielem anderen mehr. Deutsches Handwerk und deutsche Kultur haben früher die slowakische Sprache mit zahllosen Wörtern bereichert, und heute zeichnet sich über die deutsche Sprache eine Kontinuität ab – weiß Vojtech Wagner als pensionierter Lehrer:

Wir haben Klassen hier mit deutscher Muttersprache, auch meine Schule hier neben der Burg in Kesmark. Diese Schulen sind sechs in der ganzen Slowakei, wo Kinder nicht nur deutscher Nationalität kommen, aber auch slowakische Kinder.

Es sind sogar sieben slowakische Schulen mit erweitertem Deutschunterricht, die zwar enorme Probleme mit Lehrbüchern und anderem haben, aber auch lebendige Partnerschaften unterhalten – die von Kesmark (Kežmarok) etwa mit Schulen in Rheinbach bei Bonn und Hude bei Bremen. Dass Deutsch in der EU den zweiten Platz einnimmt, verdankt es den guten Deutschkenntnissen der neuen Mitglieder. Unter diesen ist seit Mai 2004 auch die Slowakei, deren deutsche Sprachförderung staunenswert weitergeht – verrät Museumsdirektor Ondrej Pöss:

Einige Universitäten haben sich anerkannt als Ausbildung der Minderheiten, vor allem in Nitra – Neutra. Es dient vor allem den Ungarn, aber auch da studieren schon einzelne Personen die deutsche Sprache, Germanistik, und wir hoffen nur, dass die kommen also in unsere Schulen. […] Es ist, ich denke, Interesse für die deutsche Sprache in der Slowakei allgemein ganz gut. Zwar Englisch ist an der ersten Stelle, aber gleich nachher ist schon die deutsche Sprache.