Kulturforum fragt nach deutscher Geschichte in Osteuropa • Mit Julian Nida-Rümelin

Potsdamer Neueste Nachrichten, 19.02.2002, Jan Kixmüller

Etwas überrascht war Hanna Nogossek schon, dass nun plötzlich das Eis gebrochen ist. Günter Grass’ Novelle „Im Krebsgang“, die die Versenkung der „Wilhelm Gustloff“ mit 9000 deutschen Flüchtlingen und Verwundeten am 30. Januar 1945 durch ein sowjetisches Unterseeboot in der Ostsee zur Sprache bringt, scheint den gordischen Knoten gelöst zu haben. Die Zeit ist wohl reif dafür, dass das Schicksal und die Verletzungen der vertriebenen Deutschen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Ein wichtiges Zeichen für die Leiterin des Deutschen Kulturforums östliches Europa: Wichtig, dass das Thema nicht mehr als reaktionär und revisionistisch gilt, dass es aus der Schmuddelecke der Rechtsradikalen herausgeholt worden sei.

Allerdings befürchtet die Osteuropa-Expertin Nogossek, dass nun die deutsche Geschichte im östlichen Europa nur aus dem Blickwinkel des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit betrachtet werde: „Womit die in manchen Regionen bis zu 1000-jährige Geschichte von Deutschen in Osteuropa unter den Tisch fällt“. Eine Standortbestimmung und Bewusstwerdung wie viel deutsche Geschichte im Osten liegt, will das Kulturforum nun zum Auftakt ihrer neuen, vierteljährlichen Reihe „Potsdamer Forum“ liefern: Für die erste Diskussionsrunde am 21. Februar hat man neben dem Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin – einen der Initatoren des Kulturforums – den Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, die Bundestagsmitglieder Markus Meckel und Norbert Lammert und den Historiker Julius H. Schoeps gewonnen. Nach dieser grundlegenden Runde soll dann im April die DDR und das Tabu der deutschen Geschichte in Osteuropa betrachtet werden, um dann im Juni die gemeinsamen historischen Wurzeln mit Polen und im Herbst mit Tschechien zu ergründen.

Das multikulturelle Zusammenleben und die Spuren der Deutschen darin, zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer, zwischen Böhmen und Galizien, das Faszinosum einer untergegangenen Welt – das sind Ausgangspunkte des Kulturforums. Wobei sich die Rolle der deutschen Vergangenheit in Regionen wie Schlesien, Pommern, dem ehemaligen Ostpreußen oder Siebenbürgen durch die politische Wende in Osteuropa gewandelt hat: „Nicht nur wir selbst müssen uns unserer Geschichte bewusst werden und unser Verständnis von der Geschichte den Nachbarn erklären; wir werden vielmehr von unseren Nachbarn nach unserer Geschichte gefragt“, lautet die These des Kulturforums. In der Diskussion will man sich nun darüber klar werden, ob die deutsche Geschichte im östlichen Europa eine historische Last oder eine Chance für ein besseres Verständnis nach der EU-Osterweiterung ist. Im Rückblick stößt man dabei in das Spannungsfeld zwischen Verdrängung der Geschichte in Westdeutschland und einem vorgeschriebenen Geschichtsbild in der DDR. Mit Blick in die Zukunft lautet die Frage schließlich, an welche Vergangenheit die deutsche Gegenwart heute anknüpfen kann.

Das Kulturforum am Neuen Markt hat sich unterdessen im Laufe des vergangenen Jahres mit klarem Profil konstituiert. Man begreift sich vor allem als Moderator der Debatten in und um deutsche Verbindungen zu Osteuropa, der neue Impulse als Multiplikator an die Öffentlichkeit gibt. Aber auch Vorträge und Lesungen wird es wieder geben, in diesem Jahr vornehmlich zu Schlesien, Rumänien und Litauen. Allerdings werden nicht alle in Potsdam stattfinden. Das Kulturforum ist schon froh, dass die Ausstellung zum Hirschberger Tal in den Bahnhofspassagen stattfinden kann (April-Juni). Denn, so klagt Hanna Nogossek, in Potsdam sind die Räume für Veranstaltungen äußerst knapp. Daher muss man nach Berlin, ja sogar nach Wolfsburg und Darmstadt ausweichen.

Jan Kixmüller
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Potsdamer Forum: „Wie viel Geschichte liegt im Osten? Die Deutschen und das östliche Europa“,
21. Februar, 19 Uhr, Altes Rathaus.