Potsdamer Neueste Nachrichten, 30.03.2002, Jan Kixmüller
In dreieinhalb Stunden konnte man einst vom Görlitzer Bahnhof in Berlin direkt ins schlesische Hirschberg kommen, mit Tanz und Musik im Zug. Am Wochendende suchte das städtische Bürgertum Ende des 19. Jahrhunderts die Region zur Erholung auf. Heute dauern die Bahnreisen ins polnische Jelenia Gora ungleich länger. Doch es lohnt sich. In der stellenweise noch überraschend gut erhaltenen Kulturlandschaft des Hirschberger Tals finden sich noch 37 Schlösser und Burgen, die von glanzvollen Zeiten erzählen. Manch einer spricht sogar von der größten Schlösserdichte Europas. Rund Dreiviertel der Häuser ist allerdings stark renovierungsbedürftig. Einer der Beweggründe für die Ausstellung „Das Tal der Schlösser und Gärten“, die das Kulturforum jetzt in den Bahnhofspassagen zeigt, war dann auch der Wunsch, das Hirschberger Tal auf die Liste des Weltkulturerbes der Unesco zu bringen.
Chronologisch entwickelt die Ausstellung – initiiert von Kunsthistorikern und Denkmalpflegern aus Berlin, Görlitz, Jelenia Gora und Warschau – die Geschichte der Herrenhäuser und Burgen, angefangen im 11. Jahrhundert, vom Mittelalter zum Barock. Die ersten Burgen bauten die Piasten, die auch deutsche Siedler ins Land holten, die böhmische und österreichische Zeit folgte, bis 1740 Schlesien an Preußen fiel. Im 19. Jahrhundert ließen sich Mitglieder der preußischen Königsfamilie in dem hügeligen Land am Fuße des Riesengebierges nieder. Mit ihnen kam eine Blütezeit, Schlösser, Parkanlagen und Kirchen gestaltet von Architekten wie Schinkel, Stühler und Lenné entstanden. Zahlreiche Familien des europäischen Adels folgten und brachten neue Ideen, wie etwa Englische Gärten mit. Es entstand ein Elysium vor den Toren Hirschbergs: das Schlesisches Arkadien.
Die Geschichte von Schloss Erdmannsdorf (heute Mysłakowice) zeigt den Wandel der Zeit. Einst im Besitz von Feldmarschall Gneisenau erwarb es König Friedrich Wilhelm III. In Verbindung von Landschaft und Architektur wurde eine Kulturlandschaft geprägt, deren Landschafts- und Sichtachsen auch heute noch nicht von Neubauten verstellt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Schlesien an Polen fiel, wurden aus den Schlössern Heilanstalten, Erholungszentren sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen. Als Relikte von Feudalismus und deutscher Zeit fehlte es den Häusern im sozialistischen Polen allerdings an der nötigen Pflege. Heute noch befindet sich im Schloss Erdmannsdorf eine Grundschule, deren Leitung sich um das historische Erbe kümmert.
Gegenwärtig fehlt es an Investoren, die finanzkräftig genug sind, die Schlösser zu sanieren. Es gibt zwar einige positive Beispiele, wie das Schloss Lomnitz, das heute ein Hotel ist, doch die meisten der herrschaftlichen Gebäude schlummern im Dornröschenschlaf. Aus diesem will die deutsch-polnische Initiative sie nun erwecken. Die neue Zeit, den bevorstehenden EU-Beitritt Polens sieht man dafür als große Chance. Die Potsdamer Ausstellung ist nur ein Aspekt der großen Schau, die zuvor unter anderem in Wroclaw (Breslau) und Berlin zu sehen war. Über den historischen Rahmen hinaus findet man in der sorgfältig verfassten Ausstellung auch seltene Erinnerungsstücke, etwa einen Gobelin oder bemaltes Porzellan. Selten, da das meiste nach dem Krieg Plünderungen zum Opfer fiel. Und vielleicht findet der ein oder andere auch den Anstoß für eine Reise in das gar nicht so ferne Arkadien.
Jan Kixmüller
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Bis 23. Juni, täglich 12-19 Uhr, Bahhofspassagen (Eingang Lange Brücke), der Eintritt ist frei.
- Potsdamer Neueste Nachrichten: Schlesisches Arkadien
Der Originalartikel in der Internetausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten