Von Carolin Lorenz
Dichter und ihre Landschaft. Dieser Zusammenhang ist seit der Zeit des Nationalsozialismus ein schwer belastetes Thema. Nach 1918 - die Kategorie des „Völkischen“ begann europaweit steile Karriere zu machen - kam es bereits zu einem Wandel in den Beurteilungsgrundsätzen besonders der Minderheitenliteraturen. Die Dichter wurden – vor allem im Zusammenhang mit den Schriften des österreichischen Literaturhistorikers Josef Nadler – nicht mehr vor dem Hintergrund literarischer Traditionslinien, ästhetischer Formgesetze und weltanschaulicher Gegebenheiten begriffen, sondern aus ihren landschaftlichen und stammesgeschichtlichen Ursprüngen heraus. Diese „Altlast“ stellt für viele deutschsprachige Autoren, die ihre Herkunftsländer verlassen haben - in jüngerer Zeit beispielsweise ging der Kreis rumäniendeutscher Schriftsteller annähernd geschlossen in den Westen – ein Dilemma dar. Für diese Autoren stellt sich die Frage, wie man über die Herkunft, über Heimat – und damit auch nicht selten über Landschaft – schreiben kann, einerseits ohne landsmannschaftlich vereinnahmt zu werden und sich andererseits nicht gewaltsam von seinen Gefühlen für das Zurückgelassene, von Gefühlen der Trauer möglicherweise, abschneiden zu müssen.
Johannes Bobrowski, der am 9. April 1917 in Tilsit, im damaligen Ostspreußen, geboren wurde und am 2. September 1965 in Ostberlin starb, vollzog in seinen Texten diese schwierige Gratwanderung, seine Liebe zur Herkunftsregion – und eben auch zur Landschaft – auszudrücken und zugleich schonungslos die schuldhaften Verstrickungen der Generationen, die eigenen Vergehen und Verbrechen – Bobrowski war Wehrmachtssoldat – mit dem Schreiben zu umkreisen.
Die Stadt- und Landesbibliothek richtete dem Dichter zum 85. Geburtstag am Dienstagabend ein Gedenkfest aus und wagt sich gleichzeitig mit einer Fotoausstellung Günter Hohages „Schattenland Ströme - Erinnerung an Johannes Bobrowski. Bilder seiner Landschaft“ an das schwierige Thema heran. Der 1937 in Bochum geborene Hohage entdeckte vor zehn Jahren den Erzähler von „Levins Mühle“, „Litauische Claviere“, „Boehlendorf und Mäusefest“, den Lyriker der Gedichtbände „Sarmatische Zeit“, „Schattenland Ströme“, „Im Windgesträuch“ und bereiste seither mit der Kamera die Heimat des Dichters, die Landschaft, die heute zu Litauen, Polen und Nordrussland gehört. Durchs Treppenhaus hindurch, bis hinein in die erste Etage der Bibliothek ist die recht umfängliche Fotoschau, in Schwarz-Weiß und in Farbe, ausgestellt. Hier kann man die Dörfer mit ihren Holzhäusern, Gras- und Sandwegen, Heuschobern, einer alten Kopftuchbäuerin und ihrem Pferd, betrachten. Da ist noch eine Mühle mit dem Müller zu sehen, Angler und Bauernmarkt: dörfliches Leben, nicht selten reduziertes – man sieht es an einsamen Pfaden und einstürzenden Dächern – weil die Abwanderungsrate keine geringe ist. Es gibt Impressionen des Flusses Memel, Polnisch: Nemunas, zu sehen, und es wird die Idylle mit Hinweisen auf die Geschichte gebrochen: „Kaunas VII. Fort“ zeigt einen Gedenkplatz für die Verbrechen an den Juden, die einst Teil der Bevölkerung dieses Landstriches waren: steinerne Arme stemmen einen Grabstein mit polnischer und hebräischer Aufschrift scheinbar aus der Erde heraus. Im Hintergrund Bäume, ein Wachturm. Neben den Fotos kann man Ausschnitte aus der Prosa und Lyrik Bobrowskis nachlesen. Neben die deutschen Text wurde jeweils die polnische Übersetzung gestellt.
Nicht nur die Ausstellung, auch der Abend, wurde binational, deutsch-polnisch, konzipiert. Thomas Schulz, Literaturreferent beim Deutschen Kulturforum östliches Europa, verwies in seiner Rede auf Bobrowskis „Generalthema“: „Die Deutschen und der europäische Osten“, das gleichzeitig Generalthema des Kulturforums sei. Der Hannoveraner Oskar Ansull las auszugsweise aus Bobrowskis Texten und verwies scherzhaft auf die eigenen bikulturellen Wurzeln, indem er von seinem „entlaufenen polnischen Vater“, den er leider nie kennen gelernt habe, und von seiner deutschen Mutter, sprach. Mit Vitold Rek am Kontrabass - Rek wurde in Südost-Polen geboren – und dem Oberhausener Klarinettisten Theo Jörgensmann konnte man exzellenten Variationen aus Jazz und Neuer Musik lauschen.
In der Rede Professor Helmut Johns von der Universität Potsdam auf Bobrowski schwangen immerfort Töne liebevoller Hochachtung mit, die der Literaturwissenschaftler dem Dichter hörbar entgegen bringt. Er bezeichnete Bobrowski, der während des Faschismus Mitglied der „Bekennenden Kirche“ wurde, als „Moralisten“, „Aufklärer ohne didaktischen Zeigefinger“, als „Sozialisten mit christlicher Weltanschauung“. Der Dichter habe sich zeitlebens die Grundfrage „Wie muss die Welt für ein moralisches Wesen geschaffen sein?“, gestellt. John verwies auf die Traditionslinien, die an Bobrowskis Werk sichtbar würden: „Barock, Klopstock, Hölderlin, aber auch der Expressionismus“. Darüber hinaus sei der Autor „ein wichtiger Neuerer auf dem Gebiet der Lyrik und Prosa“ gewesen und hinsichtlich der literarischen Qualität durchaus in einem Zuge mit Ingeborg Bachmann und Paul Celan zu nennen. Und Bobrowski habe keineswegs als ein „in sich gekehrtes Wesen“ gelebt. John führt die Arbeit als Verleger, Herausgeber und Cheflektor beim Union-Verlag an, nennt die Vorliebe des Dichters für „Bildende Kunst, Musik und geistige Getränke“. Und es habe „eine Familie, die ihm wichtig war“ gegeben.
Oskar Ansull lässt während seiner Lesung einen Dichterkollegen Bobrowskis, Franz Fühmann, zu Wort kommen. Ebenso wie Bobrowski stammt Fühmann der Kriegsgeneration an, war er ein Leben lang gezwungen, die Frage nach Schuld und einer möglichen Erlösung von Schuld zu stellen. Doch Fühmann notiert in seinem Ungarntagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte desLebens“ einen wesentlichen Unterschied, den er bei Bobrowski entdeckt. Er, Fühmann, habe an der Lyrik Bobrowskis – in der sich eben auch die Liebe zur Landschaft der einstigen Heimat spiegelt - „etwas Unerlaubtes gesehen“. Während Fühmann die eigene „ehrenhafte, enge Auffassung von Vergangenheitsbewältigung“ konstatiert, findet er bei Bobrowski dieses „Unerlaubte“, Fühmann schreibt: „die Gefühle“.
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Die Ausstellung „Schattenland Ströme - Erinnerungen an Jihannes Bobrowski. Bilder seiner Landschaft“ ist bis zum 10. Mai in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, zu sehen.
Potsdamer Neueste Nachrichten: Schwierigkeiten mit Herkunft und Sprache
Der Originalartikel in der Internetausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten