Oskar Ansull über Karl Emil Franzos
Jürgen Dierking

Weser-Kurier • 16.04.2005

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Weser-Kuriers.

Bremen. Als »Zweigeist« bezeichnete Walter Benjamin den Typus des jüdischen Intellektuellen, der in sich das Jüdische und das Deutsche auszubalancieren sucht. Ein solcher Zweigeist war der lange fast vergessene Erzähler Karl Emil Franzos (1848–1904). Eines seiner beträchtlichen Verdienste bestand in der Wiederentdeckung Georg Büchners, dessen Wozzeck er entzifferte und 1878 erstmals veröffentlichte. Von Oskar Ansull wird Franzos jetzt seinerseits wiederentdeckt.

Karl Emil Franzos stammte aus Galizien und fand für den Raum zwischen Don und Donau, über dessen Shtetl und Ghettos er schrieb, die Prägung »Halb-Asien«. Fontane zitierte zustimmend die Benennung dieser Region als »die Karl-Emil-Franzos-Gegend«, weil nur sie ein »wirkliches Interesse für deutsche Literatur« habe, und Paul Celan, der eigenen Herkunft bewusst, lobte sie 1958 in seiner Dankesrede zum Bremer Literaturpreis dafür, dass in ihr »Menschen und Bücher lebten«. Dort wächst auch Sender Glatteis auf, Protagonist des Romans Der Pojaz. Sender Glatteis versucht – Mendelssohn, Lessing und Schiller in Kopf und Herz – eine jüdische Emanzipation, die freilich misslingt: »Ein Entwicklungsroman gegen das übliche Muster«, wie Peter Härtling feststellte.

Oskar Ansull, Dichter, Vorleser, Fährtensucher und Herausgeber, zieht seit Jahren mit Theo Jörgensmann und dessen wundervoller Klarinettenmusik durch die Republik, um wenigstens den »Pojaz« im Bewusstsein zu halten. Nun hat er ein hinreißendes Lesebuch zu Karl Emil Franzos veröffentlicht – eine eigenwillige, stimmige, Neugier und Leselust weckende Komposition aus biographischer Montage, lange nicht gedruckten Texten des Autors, Essays und Stimmen über ihn, einem Anhang und einer überaus hörenswerten CD. Der sorgfältig und liebevoll ausgestattete Band verdient alle Aufmerksamkeit.


Oskar Ansulls Lesebuch Zweigeist. Karl Emil Franzos ist beim Potsdamer Deutschen Kulturforum östliches Europa erschienen und kostet 15.80 Euro. Am Montag, 18. April, trägt Oskar Ansull um 20 Uhr im Café »Ambiente«, Osterdeich 69a, aus seinem Lesebuch vor.

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