Von Gregor Thum
Sieben Wegbeschreibungen durch die Literaturstadt Breslau mit einer Fülle von Zitaten sowie architektur- und stadtgeschichtlichen Informationen laden den Reisenden zu literarischen Spaziergängen durch die Jahrhunderte ein. Eine Rezension von Gregor Thum.
Für ein halbes Jahrhundert schien Breslau wie vergessen. Im Europa des Kalten Krieges war die einst so vibrierende Großstadt an der mittleren Oder in eine Randlage geraten. Doch die Wende von 1989 hat ihr ein erstaunliches Comeback erlaubt. Breslau macht seither von sich reden, lockt Touristen wie Investoren an, und scheint drauf und dran, sich nach Warschau und Krakau als das dritte urbane Zentrum Polens zu etablieren. Das gestiegene Interesse an dieser Stadt spiegelt sich auch in einer rasant wachsenden Zahl von Büchern über Breslau wider.
Es liegt nun auch ein »Literarischer Reiseführer« vor, der Aufmerksamkeit verdient. Zugrunde liegt ihm die Idee, dass Breslau immer auch eine Stadt namhafter Literaten und Intellektueller war. Ob Hoffmann von Fallersleben oder Gehart Hauptmann, Norbert Elias, Günther Anders, Alfred Kerr oder Edith Stein – viele haben zumindest zeitweise in Breslau gelebt und gewirkt, wurden von dieser Stadt geprägt und haben ihrerseits ihre Spuren dort hinterlassen.
Mit ihrem Buch lädt Roswitha Schieb zu sieben Stadtspaziergängen ein, die Breslau mit den Augen und auf den Spuren dieser Literaten erkunden. In einer klug arrangierten Collage von stadtkundlichen Erläuterungen und Schriftstellerzitaten über diese Stadt entfaltet die Autorin den historischen Reichtum dieser Stadt. Jeder der Spaziergänge ist einem Thema gewidmet – sei es die Altstadt oder Breslaus katholische Welt, die preußische und jüdische Stadt, das Breslau von Wissenschaft und Kunst, die Stadt des 20. Jahrhunderts oder der Ort verwehter Spuren.
Die einzelnen Routen sind wohldurchdacht, mit praktischen Hinweisen sowie mit Karten versehen, so dass sich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt mithilfe dieses Führers leicht erwandern lassen. Das Buch lässt sich aber genauso gut als Lesebuch verwenden, nicht zuletzt dank seiner ästhetisch ansprechenden Aufmachung und einer großen Zahl von Illustrationen zum existierenden wie zum vergangenen Breslau. Kurzbiographien der zitierten Literaten, eine historische Zeittafel sowie Orts- und Personenregister erleichtern die Orientierung.
Einzig die Entscheidung der Autorin, vor allem das untergegangene deutsche Breslau in Erinnerung zu rufen, mag nicht so recht überzeugen. Zwar zollt sie auch der Stadt von heute ihren Respekt. Doch der jähe Bruch von 1945, in dem das deutsche Breslau versank und das polnische seinen Anfang nahm, gerade das also, was das gegenwärtige Breslau so interessant macht, erschließt sich allenfalls zwischen den Zeilen und auch dann nur dem Eingeweihten. Hier hat das ansonsten so gelungene Buch eine Wahrnehmungslücke, die bei einer späteren Neuauflage wert wäre zu schliessen.
Roswitha Schieb: Literarischer Reiseführer Breslau
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