Burgen und Schlösser – Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, Nr. 4/2004 • 08.12.2004
Die reizvolle Landschaft des Hirschberger Tals in Schlesien zog bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert zahlreiche Maler, Dichter und Kulturreisende in ihren Bann. Im frühen 19. Jahrhundert entdeckten Mitglieder des preußischen Königshauses das Tal als Sommerfrische, erwarben verschiedene Schlossbauten (z.B. Fischbach und Erdmannsdorf) und beauftragten namhafte Architekten wie Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841) und Friedrich August Stüler (1800 bis 1865) mit deren Umgestaltung. Der preußische Gartendirektor Peter Joseph Lenné (1789 bis 1866) schuf großzügige Parkanlagen, die z.T. bis heute das Umfeld der Schlossbauten prägen. Dem Beispiel des preußischen Königshauses folgten zahlreiche Angehörige des europäischen Hochadels, wie die polnische Familie Radziwill, die Grafen von Reden und die Großherzogliche Familie von Hessen-Darmstadt, die ebenfalls Adelssitze im Hirschberger Tal erwarben und umbauen ließen. Der Bau der Eisenbahn 1866/67 bildete eine wesentliche Grundlage für die weitere touristische Erschließung des Tales.
»Mit dem Zweiten Weltkrieg, durch den die Bau- und Kunstdenkmäler der Region kaum Schäden davontrugen, ging die kulturelle und auch die touristische Blütezeit des Hirschberger Tales zu Ende […]. Erst seit der politischen Wende in Osteuropa rückten die kulturellen Werte dieser Park- und Gartenlandschaft wieder in den Mittelpunkt.«
(S. 3 f.)
In der hier angezeigten Publikation werden 34 Burgen, Schlösser und Herrenhäuser des Hirschberger Tales in der Form von Kurzporträts vorgestellt: Alten-Kemnitz, Arnsdorf, Bad Warmbrunn (Schloss, ehemalige Propstei und Ziethenschloss), Bergisdorf, Berthelsdorf, Boberröhrsdorf, Boberstein, Bolzenschloss, Buchwald, Eichberg, Erdmannsdorf, Fischbach, Hartau, Hermsdorf, Hirschberg (Schloss Paulinum), Jannowitz (Schloss, Herrenhaus), Kammerswaldau, Kynast, Langenau, Lomnitz, Matzdorf (Herrenhaus und Schloss), Neuhof, Reibnitz, Ruhberg, Schildau, Schwarzbach, Seiffersdorf, Stonsdorf, Weltersdorf, Wernersdorf. Unter der Kapitelüberschrift Verlorene Pracht wendet sich der Autor den untergegangenen Adelssitzen Seifershau, Maiwaldau, Rohrlach, Giersdorf, Kupferburg zu (S. 168–172).
Der Verfasser, Arne Franke, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, Gründungsmitglied des Vereins Monumenta Silesiae, ist als freiberuflicher Bauforscher tätig, und bereits als Projektleiter der Ausstellung Das Tal der Schlösser und Gärten. Das Hirschberger Tal in Schlesien. Ein gemeinsames Kulturerbe in Erscheinung getreten. Für die Mitarbeit an dem vorliegenden Band konnte Katrin Schulze, Kunsthistorikerin und Landschaftsarchitektin mit dem Schwerpunkt Gartendenkmalpflege, gewonnen werden.
Den Objektbeschreibungen im Hauptteil des Bandes sind eine Einleitung (S. 1–4) und eine Historische Einführung (S. 5–14) vorangestellt. Der sehr ausführliche Anhang enthält touristische Hinweise (S. 175 f.), Kontaktadressen (S. 177 f.), ein Glossar (S. 181-184), Personenbiografien »der in den Einzelbeschreibungen der Burgen, Schlösser und Herrenhäuser vorkommenden wichtigtsten Personen« (S. 185) sowie ein Orts- und Personenregister. Komplettiert wird die sorgfältig recherchierte und fachlich fundierte Publikation durch ein 131 Titel umfassendes Literaturverzeichnis (S. 205–210). Der Gebrauchswert des Bandes zur Vorbereitung von Exkursionen zu Burgen, Schlössern und Herrensitzen im Hirschberger Tal wird durch die jedem Objekt beigegebenen Hinweise zu Anfahrt und Besichtigung erhöht.
Eine reizvolle Ergänzung zu den in alphabetischer Reihenfolge abgehandelten Objektbschreibungen bilden die Themenkästen im Umfang von bis zu vier Seiten. Vorgestellt wird beispielsweise die Familie Schaffgotsch, die zu den ältesten und bedeutendsten Adelsgeschlechtern Schlesiens zählt, im 14. Jahrhundert auf der Burg Kynast ansässig war und im Spätmittelalter in kaiserlichen und königlich-böhmischen Diensten Ruhm und Ansehen erlangte (S. 16–19). Nach der Brandzerstörung der Burg Kynast 1675 wurde das Schloss in Bad Warmbrunn Hauptsitz der Familie (S. 26–33). Ein weiteres Inset stellt dem Leser die 1837 in dem ehemaligen Dorf Zillertal- Erdmannsdorf gegründete Ansiedlung der aus Tirol vertriebenen protestantischen Glaubensflüchtlingen vor (S. 78–80). Auf S. 107 f. findet sich eine knappe Abhandlung über die Burgen des Hirschberger Tales. Die Gartenkunst des 19. Jahrhunderts wird auf den S. 107 f. thematisiert. Auf den Seiten 133 und 134 wendet sich Arne Franke den Hirschberger Schleierherren zu. Die im Leinwandhandel Schlesiens führenden Unternehmer und Mitglieder einer 1658 in Hirschberg gegründeten Handelssozietät, standen dem Adel in Reichtum und Prachtentfaltung in nichts nach. Im Umland von Hirschberg erwarben die Handelsherren zahlreiche Adelssitze mit den dazugehörigen Besitzungen.
Zu den burgenkundlich bedeutsamen Anlagen, die in die Publikation aufgenommen wurden, zählt der spätmittelalterliche Wohnturm von Boberröhrsdorf (S. 43–47), der im zweiten Obergeschoss die um 1345 entstandenen, 1936 bis 1938 restaurierten Wandmalereien des Lancelot-Epos enthält, die zu den ältesten profanen Malereien in Schlesien zählen. Ferner verdient unter den mittelalterlichen Burgen das Ende des 13. Jahrhunderts erwähnte Bolzenschloss Erwähnung (S. 52–55). Die reizvoll gelegene Anlage wurde bereits 1820 durch den damaligen Eigentümer, Friedrich Graf von Stolberg-Wernigerode, touristisch erschlossen, indem man einige verfallene Partien der Burg restaurierte und attraktive Aussichtspunkte zugänglich machte. 1848 wurde im Burgareal auf mittelalterlichen Grundmauern ein Haus im Schweizerstil mit Gaststube und Kastellanswohnung errichtet. Die in zahlreichen Publikationen abgebildete, spektakulär über dem so genannten »Höllengrund« gelegene Abschnittsburg Kynast (S. 106 und 109–115) wurde sehr wahrscheinlich Ende des 13. Jahrhunderts von Herzog Bolko I. gegründet und gelangte im 14. Jahrhundert an die Familie von Schaffgotsch. Im Jahr 1675 durch einen Brand zerstört, bildete die Burgruine, deren erhaltener Baubestand vornehmlich in das 14. bis 17. Jahrhundert zurückreicht, bereits im 19. Jahrhundert ein bevorzugtes Exkursionsziel. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Baudenkmal der Hauptverwaltung des PTTK, des polnischen Verbandes für Touristik und Landeskunde unterstellt »und entwickelte sich in kürzester Zeit erneut zu einem der attraktivsten touristischen Anziehungspunkte im Hirschberger Tal und wird bis heute entsprechend gepflegt.« (S. 111)
Auffallend und bedauerlich ist das Fehlen von Grundrissen, die insbesondere bei vielgliedrigen Burgen wie Kynast und dem Bolzenschloss eine wichtige Orientierungshilfe bieten und die Beschreibungen des Baubestandes der jeweiligen Objekte ergänzen könnten. Im Kontext der Ausführungen zur Burg Kynast wäre ein Hinweis auf das bemerkenswerte Küchengebäude mit seinem monumentalen Rauchfang sowie die typologische Verwandtschaft mit der in den 1270er Jahren gegründeten Bolkoburg über Bokenhain wünschenswert gewesen. Die recht knappe Abhandlung zu den Burgen des Hirschberger Tales (S. 107 f.) ist vornehmlich auf landesgeschichtlich-territorialpolitische Aspekte ausgerichtet, während Bemerkungen zur Typologie der mittelalterlichen Wehr- und Wohnbauten im Hirschberger Tal fehlen. Positiv anzumerken ist hingegen die Erwähnung einiger lediglich archäologisch nachweisbaren Burgen (S. 108). Die in das Glosssar aufgenommene Definition des »Bergfried[s] als höchster und am besten befestigter Turm einer Burg [und] gleichzeitig letzter Rückzugsort der Burgbesatzung während einer Eroberung« (S. 181), hat ihren Ursprung in einer verklärenden Sichtweise des 19. Jahrhunderts, die Burgen vielfach auf ihre Funktion als militärisch effiziente Wehrbauten reduziert. Demgegenüber resümiert Reinhard Friedrich dass eine »effiziente, aktive Verteidigung durch die im Bergfried zurückgezogenen Personen […] nur schwer möglich« [war] und dem Hauptturm der Burg »sicherlich in hohem Maße die Funktion als Status- und Machtsymbol zukam« (Reinhard Friedrich, Artikel Bergfried, in: Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen, hrsg. von Horst-Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich und Barbara Schock-Werner, Stuttgart 2004, S. 83).
Die hier vorgebrachten kritischen Anmerkungen sollen nicht den positiven Gesamteindruck der hier angezeigten Publikation schmälern, dem als unverzichtbarer, gut illustrierter Reisebegleiter für landeskundliche Exkursionen zu Burgen und Schlössern im Hirschberger Tal herausragende Bedeutung zukommt.
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