Autor Tomaž Šalamun über Autismus in Slowenien und die Not in der Welt
Jan Kixmüller

Potsdamer Neueste Nachrichten • 20.10.2004


Serie: Neue Zeiten im Osten

Heute: Slowenien

Seit Mai sind acht Länder des östlichen Europa Mitglieder der EU. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa pflegt enge Kontakte in die Beitrittsländer. Die PNN wollten von den Partnern wissen, was sie von der neuen Zeit erwarten.


Tomaž Šalamun (63) wurde in Zagreb geboren und lebt heute in Ljubljana/Laibach. 1996 bis 1999 war der Autor slowenischer Kulturattaché in New York. 2004 war er als DAAD-Stipendiat in Berlin.

Wird sich Ihr Leben durch den EU-Beitritt Sloweniens ändern?

Für mich persönlich erwarte ich zwar nicht sehr viel, gehe jedoch davon aus, dass sich der Raum für meine Arbeit, also für die Poesie, öffnen wird. Europa fing sich bei uns so zu verhalten an, wie es in den letzten dreißig Jahren für das Verhältnis zwischen den USA und Ländern wie Deutschland charakteristisch gewesen ist. Im Grunde genommen sind die Deutschen wie auch die Amerikaner so anspruchsvoll und motiviert, dass sie wirklich Interesse daran haben zu erfahren, was in der Welt passiert. Man hat in Ihrem Land Institutionen eingerichtet, in denen geforscht werden kann und Informationen ausgetauscht werden, Leute werden eingeladen, Treffen und Lesungen werden organisiert. Ich kann den DAAD nie genug loben. Die einzigartige Einladung, ein Jahr in Berlin zu verbringen, in einer Stadt, die derzeit gewiss weltweit der spannendste Ort für einen Künstler ist, diese Einladung hat im europäischen Raum keinerlei Pendant. Ich war hervorragend untergebracht, meine Privatsphäre wurde geachtet, von allen Seiten strömte Freundlichkeit und Zuvorkommenheit auf mich zu, man hat versucht, mir überall behilflich zu sein, das war alles traumhaft und ideal.

Klingt nach Elfenbeinturm.

Die ganze westliche Welt – selbstverständlich auch wir, die Slowenen – muss sich einer wesentlichen Sache bewusst werden: Wir müssen für die dritte Welt etwas ähnliches wiederholen, was für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Marshall-Plan war, sonst wird die Gewalt-Spirale nur noch ansteigen. Mauern werden weiterhin errichtet werden und auf der Erdkruste wie Ausschlag um sich greifen. Parallel zur Globalisierung muss es in weitaus entschiedenerem Maße eine Institutionalisierung der Ethik, der Solidarität und der Identifikation mit jenen, die Not leiden, geben. Das, was die Luftbrücke für Berlin gewesen ist – und das war faszinierend gut –, müssen wir für die ganze Welt erfinden. Die Welt, wie wir sie kennen, wird nur dann überleben, wenn die Faszination für das Leben stärker sein wird als die Faszination für den Tod.

Denken Sie, dass sich die Beziehungen zu Deutschland durch den Beitritt vertiefen werden?

Deutschland ist für mich eine ziemlich neue Sache. Ich bin frankophil erzogen worden, habe mein Studium in Paris und Pisa vervollständigt, und dann ist schon gleich Amerika gekommen mit sämtlichen Einladungen und Publikationsmöglichkeiten, sodass ich schon in den siebziger Jahren Teil der amerikanischen Lyrikszene geworden bin. Zwei Jahre meines Lebens habe ich auch in Mexiko verbracht, und in diesem Jahr werde ich zweimal nach Südamerika reisen – zu einer Lesung und zu den Feierlichkeiten des hundertsten Geburtstags von Pablo Neruda. Deutsch lerne ich erst jetzt. So richtig formativ war ich bisher – von Slowenien und dem früheren Jugoslawien abgesehen – nur in den Vereinigten Staaten und in Polen. Als ich jünger war, zog mich vornehmlich das Weite und das Andersartige an. Doch wenn ich mir heutzutage die Leute in meiner Umgebung ansehe, dann sind die Slowenen eigentlich den Berlinern sehr ähnlich – cum grano salis sind wir etwas neurotischer und ländlicher, jedoch sehr dynamisch, neugierig, wir sind relativ gute Leser – eine Zwei-Millionen-Nation, die im Durchschnitt 4000 Bücher jährlich herausbringt – und darüber hinaus haben wir noch eine schöne Landschaft. Jetzt, wo meine Bücher auch auf deutsch erscheinen, werde ich hoffentlich oft mit Freude nach Deutschland, nach Berlin zurückkehren können.

Wie geht man in Slowenien heute mit dem deutschen Kulturerbe?

Derzeit scheint Slowenien außerordentlich stark amerikanisiert zu sein, und ansonsten ist es zu seinem eigenen nationalen Schaden recht autistisch. Die Slowenen bereisen zwar prozentuell als Touristen die Welt noch häufiger als die Deutschen, was schwer zu glauben, aber dennoch wahr ist; andererseits leben die Slowenen recht gern in ihrer Heimat, die Welt wird von den Slowenen auf eine außergewöhnlich scheue Weise angetastet. Der Staat ist jung. Obwohl das für die Staatlichkeit nicht gilt, wir waren schon 50 Jahre vor der Selbständigkeit eine Republik. Deswegen wissen nur die wenigsten etwas über die Slowenen. Für die junge Generation ist Europa der Slogan des Tages, Amerika keineswegs. Die deutsche Sprache ist jetzt die zweite Fremdsprache, hinter der englischen. Wenn Ihre Frage sich darauf bezieht, wie ich persönlich die Anwesenheit der Deutschen in Slowenien betrachte, so heiße ich sie willkommen, wenn sie sich dessen bewusst sind, dass sie auf keinen Fall ihre Fehler aus der Vergangenheit wiederholen dürfen, nicht einen einzigen Fehler; und da sie sich dessen ja bewusst sind, heiße ich sie durchaus willkommen und möchte mich zugleich auch herzlich bedanken, dass ich Gast in Deutschland sein konnte.

Übersetzung: Urška P. Cerne