Übersetzer aus aller Welt besuchten das Kulturforum östliches Europa
Jan Kixmüller

Potsdamer Neueste Nachrichten • 28.08.2004

Wenn Tomas Dimter aus Prag von seinem Heimatdorf an der tschechisch-polnischen Grenze erzählt, dann spricht unterschwellige Wut aus seinen Worten. Der Großvater des jungen Tschechen war Sudentendeutscher, seine Großmutter Slowakin. Daher durfte die Familie in Horni Adrspach, dem ehemaligen Ober Adersbach, nach den Vertreibungen der Deutschen wohnen bleiben. Allerdings nicht ohne Folgen. »Ich weiß, wer uns die Wälder weg genommen hat, ich kenne den Mann, der meine Großmutter vergewaltigt hat«, sagt der Lektor. Aus dem Mund eines Tschechen klingen diese Worte ungewohnt. Dimter will darauf aufmerksam machen, dass dieser Teil der tschechischen Geschichte, die Vertreibung der Deutschen in Folge des Zweiten Weltkrieges immer noch ein Tabuthema in seinem Land ist. »In den Schulbüchern steht heute noch, dass es keine Vertreibung gab.« Die Geschichte seines Dorfes will Dimter, der schon Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann ins Tschechische übersetzt hat, nun zu Papier bringen.

Der junge Tscheche ist einer von 13 Stipendiaten, die derzeit an der Sommerakademie für Übersetzer teilnehmen, die das Literarische Colloquium Berlin in Kooperation mit dem Potsdamer Kulturforum östliches Europa veranstaltet. Beim Besuch des Kulturforums, das sich thematisch der deutschen Geschichte in Osteuropa verschrieben hat, dachte man am Mittwoch gemeinsam darüber nach, wie es mit der alten, neuen Nachbarschaft im Jahr der EU-Osterweiterung aussieht. Die Zeit sei reif dafür, dass auch in Tschechien die Thematik der Vertreibung offen diskutiert werde, so Thomas Schulz vom Kulturforum. Er könne sich dies etwa in Form einer Konferenz vorstellen. In Polen sei das Thema schließlich schon vor 15 Jahren offen gelegt worden. Etwas zaghafter sieht die Direktorin des Kulturforums Hanna Nogossek die Sache. Mit kleinen Schritten müsse man die Verkrustungen auflösen, zu tief seien die Verletzungen auf allen Seiten. Schließlich müsse man auch bedenken, dass es der von den Deutschen vom Zaum gebrochene Zweite Weltkrieg war, der letztlich zur Teilung Europas in Ost und West führte. Am ehesten würden sich die Gräben sicherlich mit Literatur überwinden lassen. Ein Roman finde eher Gehör als politische Statements.

Nicht nur aus Slowenien, Russland, Tschechien und Polen kamen die Teilnehmer der diesjährigen Sommerakademie, sogar aus dem fernen China und Japan reisten sie an. In ihren Heimatländern übersetzen die meisten von ihnen deutsche Literatur in ihre Muttersprache. Der Thematik des Kulturforums folgend, standen natürlich die östlichen Nachbarländer Deutschlands im Mittelpunkt der Gespräche. Was allerdings auch für die Japaner von Interesse war. Fumiko Takahashi aus Yokohama erinnerte daran, dass auch die Japaner in ihre Geschichte Vertreibungen zu verantworten hatten. Wie mit dem Thema in Europa umgegangen werde, sei nun von großem Interesse für sie. Und die »Preußische Treuhand«? Verfällt man in Tschechien und Polen aufgrund des angekündigten Rechtskampfes um ehemalige Besitztümer der Vertriebenen nun in Panik? Ein Großteil der Tschechen, die heute im Sudetenland leben, hätten im Vorfeld der EU-Beitritts Angst davor gehabt, dass man ihnen ihre Häuser wieder wegnehme, sagt Tomas Dimter. »Die Deutschen kommen!«, habe es geheißen. Nach dem EU-Beitritt seien aber eher Holländer gekommen, um Häuser zu kaufen. Zudem seien viele der Häuser und Kirchen heute verfallen. »Dort will kein Deutscher mehr leben«, ist sich der Lektor sicher. Der polnische Übersetzer Krzysztof Jachimczak aus Krakau kann ebenfalls keine »Rückwanderungswelle« der ehemals vertriebenen Deutschen ausmachen. Allenfalls würden Häuser im Ostseeraum gekauft, allerdings nicht von ehemaligen Besitzern. »Das läuft friedlich ab mit Vorteilen für beide Seiten«, sagt Jachimczak. In Schlesien und Pommern gäbe es eine gewisse Unsicherheit, räumt er allerdings ein. Was auch darauf beruhe, dass es keine einheitliche deutsche Position zu der Thematik gebe. Während Bundeskanzler Schröder in Warschau alle Ansprüche ausschloss, habe Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen Interviews gegeben, die anders geklungen hätten.

Die Schatten der Vergangenheit sind also auch in Zeiten eines größeren Europas nicht verschwunden. Zum Abschluss des Gespräches sagte Hanna Nogossek, dass man nun Wege finden müsse, mit den Ängsten der Menschen umzugehen. Der Weg des Kulturforums sei es, die Gemeinsamkeiten der Geschichte zu suchen, um einen Blick für die Gegenwart zu finden.