Der lettische Kunsthistoriker Ojars Sparitis sieht nicht nur Vorteile im EU-Beitritt seines Landes
Potsdamer Neueste Nachrichten • 09.08.2004

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Von Jan Kixmüller


Serie: Neue Zeiten im Osten
Heute: Lettland

Seit Mai sind acht Länder des östlichen Europa Mitglieder der EU. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa pflegt enge Kontakte in die Beitrittsländer. Die PNN wollten von den Partnern wissen, was sie von der neuen Zeit erwarten.


Prof. Ojars Sparitis (53) ist Direktor der Abteilung Promotion an der Lettischen Kunsthochschule Riga. Die Geschichte der Baltendeutschen zählt zu seinen Spezialgebieten.

Wird der EU-Beitritt Lettlands Ihr Leben verändern?

Der Beitritt wird vielleicht meine Arbeit verbessern: neue Kontakte, neue Informationsquellen, Daten und Methoden, man wird sich durch Erfahrungsaustausch näher kommen. Tatsache aber ist, dass ich auch bisher alle Möglichkeiten hatte, in der Welt zurecht zu kommen und genug wissenschaftliche Beziehungen habe, um meine Weltanschauung zu korrigieren. Mehrfach habe ich schon erlebt, dass ich Dinge besser einschätzen konnte als die »Wessis«.

Sie sehen also auch Nachteile?

Durchaus. Ich prognostiziere, dass Import und Überfluss von Massenprodukten unsere ohnehin schon ruinierte Ökonomie vollends zerstören werden. Die Mehrzahl unserer Betriebe wird der Konkurrenz der vereinigten EU-Kapazitäten nicht standhalten können und deswegen Bankrott machen, vor allem, wenn das, was die EU Großstaaten »ehrliche Konkurrenz« nennen, politisch in Brüssel durch Abstimmungen sowie durch Vorschriften, Regeln und Verbote verwirklicht wird. Persönlich werde ich darunter leiden, wenn ich an Stelle unserer geschmackvollen Tomaten, Erdbeeren und dem guten Schmand geschmacklose israelische Erdbeeren kaufen muss, steinharte »Bastardtomaten« aus Holland im Angebot sehe und an Stelle von Naturprodukten meinen Enkelkindern Magermilch, Diätmargarine und Diätschmand geben muss.

Werden sich die historischen Beziehungen zum Westen durch den Beitritt vertiefen?

Deutschland ist im Westen ein wichtiger Partner, dessen kulturelle, christliche, traditionelle und menschliche Identität der unseren ähnlich ist. Deshalb führe ich viel lieber mit einem »ordentlichen Deutschen« Verhandlungen als mit einem »chaotischen Russen«; obwohl es auch in beiden Ländern Menschen gibt, die genau das Gegenteil sind. Deutschland ist näher als Amerika, aber ferner als Russland, deshalb ist Deutschland ein Land, in dem wir Erfahrung, Schulung und Partnerschaft finden können. Für Deutschland ist Lettland nur ein kleiner Knirps, der auf dem Weg zu den russischen Märkten leicht aus Versehen über den Haufen gerannt werden kann. Manchmal kann es zu nostalgischen Erinnerungen an die gemeinsamen Jahrhunderte der Christianisierung kommen, aber insgesamt ist Deutschland mehr an den russischen Rohstoffen und Märkten interessiert als an dem kleinen Lettland.

Welche Rolle spielen heute die Deutschbalten?

In Deutschland kaum noch eine. Sie sind alt und ihre Herkunft und ihre damit verbundenen Erinnerungen sind für die anderen Deutschen kaum von Bedeutung. Sie sind eine interessante Bevölkerungsgruppe, die jedoch langsam aussterben wird. Wir Letten schätzen den Beitrag, den die Deutschbalten als ehemalige Minderheit in Lettland heute im Bereich der Kultur, der humanitären Hilfe, hinsichtlich wissenschaftlicher Kontakte und ökonomischer Beratung auf Grund ihrer Verbundenheit zu ihrer alten Heimat leisten. Die Deutschbalten werden nicht mehr ins Baltikum zurückkehren, deswegen gibt es kein Problem hinsichtlich ihrer Integration. Die Deutschbalten, die ins Baltikum kommen, um Freunde zu besuchen oder ihren Urlaub zu verbringen, sind schon längst integriert. Sie kennen das Land, die Sprache und sie haben Kontakte. Ihre Nachkommen gehören nicht mehr zum Baltikum, sondern zur globalisierten Welt. Diese historische Verbindung zwischen Deutschland und den baltischen Staaten gehört der Vergangenheit an.

Was bedeutet das deutsche Kulturerbe heute in Lettland?

Das deutschbaltische Kulturerbe in Lettland ist heute unser Schatz und Teil unserer Identität. Der hochkarätige Nachlass an Baudenkmälern und Kunstwerken hat Geschichte und Atmosphäre, die gut in unser modernes Leben passt. Er hat auch einen hohen touristischen Wert und kann daher Ausländern ein Anreiz für einen Besuch sein. Kirchen, Landgüter, Ordens- und Bischofsschlösser, Jugendstilhäuser, Fabriken – all das macht uns stolz und reich und ich bin davon überzeugt, dass die Letten all das schätzen und erhalten werden, weil es uns nicht fremd ist, sondern uns gehört. Deswegen habe ich keine Angst, dass etwas Wertvolles zerstört wird.

Welche Verbindungen gibt es?

Einige freundliche kooperative Institutionen von Deutschbalten, zum Beispiel die Kurländischen Ritterschaften, helfen schon seit mehreren Jahren durch Spenden, dass die Dächer unserer Kirchen saniert und renoviert werden können. Es gibt in Lettland keinen Neid oder Hass gegen deutschbaltisches Kulturgut. In der Zeit der sowjetischen Besetzung wurde vieles zerstört. In dem atheistischen Staat konnten keine Kirchen renoviert werden. Güter zerfielen, da sie keine Funktion mehr hatten. Die Holzhäuser in den Kleinstädten brachen zusammen, weil die Regierung keine Gelder für die notwendige Sanierung zur Verfügung stellte, und die Menschen zu arm waren, die Reparaturen selbst auszuführen. Das Baltikum zur Zeit der Sowjetunion sah so aus wie Görlitz oder Potsdam zur Zeit der DDR.

Und heute?

Heute sieht es bei uns anders aus, obwohl wir keinen »großen Bruder« hatten wie die ehemalige DDR, der mit Geld und Sachkenntnis zu Hilfe kam. Wir machen alles selbst und lassen auch kleine Fehler zu. Uns helfen Geduld, fleißige Hände, Vertrauen in die eigene Kraft und etwas lettischer Trotz.

Trotzige Letten
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der PNN