Potsdamer Neueste Nachrichten • 26.06.2004
Immerhin, die Beneš-Dekrete kamen erst nach zwei Stunden zur Sprache. Der Konflikt um die bis heute gültige rechtliche Sanktionierung der Enteignung und Vertreibung auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei heizt die Gemüter eher auf, wenn es um die Sudetendeutschen geht. Im Fall der Karpatendeutschen, die zum Teil heute noch in der Slowakei leben, ergibt sich ein ruhigeres Bild. Zwar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg auch hier Leid und Vertreibung. Von 150.000 deutschstämmigen Bewohnern mussten rund 70.000 das Land verlassen, die Mehrheit davon war schon von der Roten Armee »evakuiert« worden. Die verbliebenen Deutschen wurden in der kommunistischen Zeit verfolgt und benachteiligt. Doch heute hat sich das Verhältnis entspannt.
Im Unterschied zu Tschechien hatte das slowakische Parlament 1991 eine Entschuldigung für die Vertreibung der Deutschen und die Judenverfolgung ausgesprochen. Eine Geste, die, wie der slowakische Botschafter Ján Foltín auf dem Potsdamer Forum zur deutsch-slowakischen Geschichte und Gegenwart betonte, ein neues, gegenseitiges Vertrauen geschaffen habe. Wobei natürlich auch eine Rolle spielt, dass die Slowakei mit Deutschland keine gemeinsame Grenze hat. Die Angst vor alten Ansprüchen und Revanchismus tendiert gen Null.
Mit der Zeit haben sich die Deutschen in der Slowakei verloren , wie der Historiker Dušan Kováč auf der Veranstaltung des Potsdamer Kulturforums östliches Europa sagte. Heute schätzt er die Zahl der deutschstämmigen Slowaken gerade mal auf 5.000 ein. Die heute 54-jährige Autorin Irena Brežná kann sich noch erinnern, wie bei ihrer Großmutter die deutsche Sprache im Sozialismus zum Tabu wurde, wie man in der Öffentlichkeit vermied, als Deutscher erkannt zu werden. In der Familie der 1961 in Bratislava (Preßburg) geborenen Slawistin Renata SakoHoess wurde das Deutsch aus der Habsburger Zeit – »Küss die Hand« – noch gepflegt. Aber auch sie erinnert sich, dass man in der Öffentlichkeit die Herkunft verbergen wollte. Es kam auch zu offenen Anfeindungen, die Verbindung mit den Karpatendeutschen, die sich teils dem Faschismus angeschlossen hatten und bei den Deportationen der Juden eifrig mitwirkten, war schnell hergestellt. Von Kollektivschuld war die Rede.
Seit dem 12. Jahrhundert siedelten sich auf dem Gebiet der heutigen Slowakei Deutsche an. Sie gründeten Bergbauorte wie die Fugger-Stadt Neusohl (Banská Bystrica) und kulturelle Zentren wie Leutschau (Levoča) oder Kaschau (Košice) Auch in der dreisprachigen k.u.k.-Metropole Preßburg, dem heutigen Bratislava, lebten neben Slowaken und Ungarn Deutsche. Einen großen kulturellen Einfluss hatten auch die deutschsprachigen Juden, bevor sie von den Nazis deportiert und umgebracht wurden.
Heute hat das Deutsche wieder einen guten Stand in der Slowakei. Die meisten wirtschaftlichen Partner kommen aus dem deutschsprachigen Raum, liegt doch die Hauptstadt Bratislava direkt an der österreichischen Grenze. In den Schulen wird die deutsche Sprache von 40 Prozent der Schüler als Fremdsprache gewählt, eben so viele wie diejenigen, die Englisch wählen. Sich selbst bezeichnen die Slowaken gerne als passionierte Pessimisten. Mit einer Anekdote beschreibt der heute in Chemnitz lebende Autor Peter Ambros das mangelnde Selbstbewusstsein im Land. »Oma sagt zu Opa: Sie schreiben, dass die Tschechen abziehen – Und wer kommt jetzt? – Sie sagen niemand – Kann nicht sein, es ist immer jemand gekommen.«
Gekommen ist nun immerhin die Autoindustrie aus dem Westen. Angelockt von niedrigen Löhnen und Steuern. Was den deutschen Finanzminister jüngst zu Drohungen greifen ließ. Botschafter Foltín stellte jedoch klar, dass die Zuschüsse der EU sich am Bruttoinlandsprodukt orientieren und nicht am Steuerniveau. Und wenn die Wirtschaft der Slowakei dank niedriger Steuern wachse, profitiere schließlich die gesamte EU davon. Also doch nicht völlig unbelastet, das deutsch-slowakische Verhältnis.
- Mit der Zeit verloren gegangen
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der PNN
- Gestern und heute gemeinsam in Europa
II. Potsdamer Forum 2004 zu deutsch-slowakischer Geschichte und Gegenwart • Es diskutieren: Peter Ambros, Irena Brežná, Dr. Dušan Kováč und Renata SakoHoess. Moderation: Henryk Jarczyk