Die Breslauer Akademie gehörte in den 20er und Anfang der 30er Jahren neben dem Bauhaus und der Frankfurter Schule zu den fortschrittlichsten künstlerischen Ausbildungsstätten im Deutschen Reich. Hier lehrten namhafte Künstler, die unterschiedliche künstlerische Richtungen vertraten: Der expressionistische Maler und „Brücke“-Künstler Otto Mueller, Oskar Moll, der seine Anregungen von der französischen Kunst, vor allem von Matisse und Braque erhielt, Alexander Kanold, ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit, Johannes Molzahn, der sich am Kubismus und Futurismus orientierte, Carlo Mense, dessen Werke zum „magischen Realismus“ zählen, sowie der vom Bauhaus kommende Oskar Schlemmer, um die bekanntesten zu nennen.
Diese Zeit ist die Hochphase der Breslauer Akademie. Vorbereitet wurde diese Entwicklung im vorhergegangenen Jahrzehnt, nachdem die 1791 gegründete Provinzial-Kunstschule 1911 in die Königliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe umgewandelt worden war. Hans Poelzig, ein bedeutender Architekt der Moderne und von 1903 bis 1916 Direktor der Akademie, führte tiefgreifende Reformen durch. Unterstützt wurde er dabei von den an der Akademie lehrenden Künstlern: von Ignatius Taschner, dem Leiter der Klasse für dekorative Plastik und der Werkstatt für Ziselieren, Treiben und Emaillieren, von Max Wislicenus, dem Maler und Leiter der Textilwerkstatt, und von dem Bildhauer Theodor von Gosen. Wie später auch im Bauhaus waren bildende Kunst und Kunsthandwerk gleichwertig miteinander verbunden. Die Leitung der Werkstätten hatte jeweils ein Handwerksmeister und ein Künstler inne.
Wie das Bauhaus wurde auch die Breslauer Akademie wegen ihres innovativen Ausbildungsbetriebs und der künstlerischen Ausrichtung vieler Lehrer von konservativen Kreisen angefeindet. 1932 wurde sie im Zuge der Brüningschen Notverordnungen geschlossen. Die Arbeit in den Ateliers konnte noch eine Weile fortgesetzt werden. Die Werke vieler der hier tätigen Künstler wurden jedoch als „entartete Kunst“ diskriminiert. Die Schließung der Akademie bereits in den 30-er Jahren, der Weggang vieler der bedeutenden Künstler aus der Stadt und schließlich die Vertreibung der Deutschen aus Schlesien führten dazu, dass die Bedeutung der Akademie in Vergessenheit geriet.
Der Ausstellung kommt um so mehr Gewicht zu, als sie ein gemeinschaftliches Projekt des Staatlichen Museums Schwerin, des Museums Ostdeutsche Galerie und des Muzeum Narodowe in Breslau/Wrocław ist. In Breslau, wo die Ausstellung ab November zu sehen sein wird, ist es das erste Mal, dass die Tätigkeit der Akademie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die hier lehrenden Künstler vorgestellt werden. Das Ausstellungsprojekt geht auf die „Initiative Staatliches Museum Schwerin“ zurück, in deren Besitz sich die größte öffentliche Sammlung von Werken des bedeutenden Zeichners Paul Holz befindet, der seit 1925 Lehrer für Methodik und Zeichnen an der Akademie war.
In der Ausstellung sind entsprechend dem Konzept der Akademie Malerei und Plastik, angewandte Kunst – Schmuck, Gegenstände aus dem Sakralbereich, Bildteppiche – und architektonische Entwürfe zu sehen. Der erste Teil zeigt Gemälde von Max Wislicenus, zwei Porträts von Fryderyk Pautsch und Landschaften von Hans Zimbal sowie Skulpturen und kirchliches Gerät von Theodor von Gosen. Ignaz Taschner ist mit verschiedenen Broschen, Gürtelschnallen und aus Silber getriebenen Figuren vertreten, Wanda Birowicz mit Wandteppichen nach Entwürfen von Max Wislicenius, außerdem Else Wislicenus, die Frau des Malers, mit Perlenstickereiarbeiten. Den Hauptteil nehmen die Arbeiten der bekannten Künstler der 20-er und 30-er Jahre ein. Neben den Werken der bereits genannte Künstler sind kleine Torsi und Statuetten von Mag Moll, Skulpturen von Robert Bednorz und Zeichnungen von Georg Muche zu sehen. Außer den Lehrern sind auch bedeutende Schüler der Akademie mit Arbeiten vertreten: Ludwig Meidner, Alexander Camaro, Willy Jaeckel und Johnny Friedlaender. In dem der Architektur gewidmeten Teil sind Entwürfe, Fotos und Modelle von August Endell, Hans Poelzig, Adolf Rading, Hans Scharoun, Theo Effenberger und Heinrich Lauterbach zu sehen.
Der mit vielen farbigen Abbildungen versehene Katalog stellt die in der Ausstellung vertretenen Künstler in einzelnen Abhandlungen vor und bietet darüber hinaus in übergreifenden Aufsätzen einen informativen Überblick über das Wirken der Akademie. In einem Anhang finden sich die Biografien von mit der Akademie verbundener Künstler, auch solcher, deren Werke in der Ausstellung nicht vertreten sind.
Bis zum 27. Oktober ist die Ausstellung Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu sehen. Anschließend wird sie von November bis Januar 2003 im Muzeum Narodowe Wrocław/Breslau gezeigt werden.