Unter dem Motto »Dialog uprostřed Evropy – Dialog in der Mitte Europas« fragte das XVII. Iglauer Symposium in Brno/Brünn nach europäischen Perspektiven
Vera Schneider
1

Wie wächst Europa zusammen? Eine Antwort auf diese Frage zu finden, war das Ziel einer internationalen Konferenz, zu der die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Stiftung vom 14. bis zum 16. März 2008 eingeladen hatten. Mehr als 250 Teilnehmer/innen aus Deutschland, der Tschechischen und Slowakischen Republik, Ungarn und Polen, Österreich und Belgien folgten dem Ruf in das südmährische Brno/Brünn, der Saal des ehrwürdigen Theaters Reduta war voll besetzt.

Petr Pithart (rechts) bereitet sich auf die Moderation des ersten Tagungspanels vor.

»Es begann, als alles noch weh tat«, begann Petr Pithart, Vorsitzender der Bolzano-Gesellschaft und ehemaliger Premierminister der Tschechoslowakischen Republik, seinen Rückblick auf die mittlerweile siebzehnjährige Geschichte des Iglauer Symposiums. Im letzten Jahr wurde das Symposium aus dem namensgebenden Jihlava/Iglau nach Brno umgesiedelt – eine Entscheidung, die sich auch auf die Zusammensetzung des Publikums ausgewirkt hat: »Man kann hier einen wunderbaren Querschnitt von Leuten treffen, Journalisten, Politiker, Lehrer und Studenten. Die Idee, die Konferenz in die Universitätsstadt Brünn zu legen, war gut, weil man eben auch junges Publikum trifft«, stellte der deutsche Botschafter in Tschechien, Helmut Elfenkämper, in seinem Grußwort fest.

Jan Švejnar, Wirtschafswissenschaftler und Herausforderer von Václav Klaus in der Präsidentschaftswahl, analysierte die ökonomische Entwicklung der mitteleuropäischen Region. | Auch viele junge Leute waren der Einladung der Ackermann-Gemeinde gefolgt.

Im erstem Hauptreferat der Tagung gab der tschechisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jan Švejnar, der in der tschechischen Präsidentschaftswahl 2008 gegen Václav Klaus angetreten war, einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Tschechischen Republik und anderer Länder Mitteleuropas im EU-Kontext. Immer noch weisen diese Länder ein höheres Wirtschaftswachstum als die »alten« EU-Mitglieder auf, das Wachstumstempo nimmt jedoch ab und wird mittlerweile von den Entwicklungen in Indien und vor allem in China in den Schatten gestellt, so Švejnar. Eliten hätten es dabei immer leichter, zu einer Konvergenz zu finden, während in den unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung die Frustration über die zwar stetig, aber eben nur langsam steigenden Löhne überwiegt. Reserven sah er vor allem in einer effektiveren Energieausnutzung, in höheren Auslandsinvestitionen und in mehr Ausgaben für die Bildung. »Ich bin in Sachen Europa ein Optimist«, resümierte Švejnar – und ließ eine Einschränkung folgen: »Es geht in die die richtige Richtung, aber es geht zu langsam.«

Erwin Teufel, CDU-Politiker und langjähriger Ministerpräsident Baden-Württembergs, sieht in der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips den Schlüssel zum Erfolg.

Der zweite Konferenztag wurde mit einem Referat von Erwin Teufel unter dem affirmativen Titel Europa eine bessere Verfassung geben! eröffnet. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg schlug kritische Töne an: Zwar könne er die ökonomischen Argumente der Euroskeptiker rasch entkräften; angesichts der Globalisierung hätten die europäischen Länder auch in wirtschaftlicher Hinsicht keine andere Zukunft als die in der Europäischen Union. Als alarmierend empfindet Teufel jedoch die sinkende Akzeptanz der EU bei den Bürgerinnen und Bürgern; viele von ihnen bemängeln die zentralistische Regierungsform. Als »Patentrezept« gegen diese Tendenz schlug Teufel das konsequentere Umsetzen des Subsidiaritätsprinzips in der europäischen Verfassung vor. Nur was die Kraft des Einzelnen übersteige – angefangen bei den Gemeinden bis hin zu den Nationalstaaten – dürfe an die nächsthöhere Einheit weitergegeben werden. »Mit einem Europa, das von unten nach oben aufgebaut ist und deshalb den Menschen nah ist, können sich die Bürger identifizieren. Ein solches Europa ist jeden Einsatz wert«, konstatierte Teufel abschließend.

Die ersten Preisträger des studentischen Wettbewerbs zur tschechischen Ratspräsidentenschaft, den die Masaryk-Universität Brno ausgerufen hatte

Die beiden nächsten Panels des zweiten Konferenztags beschäftigten sich mit Details der europäischen Ratspräsidentenschaft, die 2007 bei Deutschland lag und 2009 an die Tschechische Republik übergeben wird. Zunächst ging man der Frage nach, ob die Integrationskrise während der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 überwunden worden sei. Durch den Lissabonner Vertrag, der sich jetzt in der Ratifizierungsphase befindet, wurde in dieser Zeit ein Instrument zur Stärkung der Demokratie geschaffen. Nun können die Nationen eine Subsidiaritätsrüge erteilen, so dass der Vorwurf »Das haben die in Brüssel entschieden!« demnächst obsolet sein dürfte. Dies ist vor allem für die postkommunistischen Länder von Bedeutung, die nach Jahrzehnten der Fremdbestimmung nicht erneut von außen regiert werden wollen. »Brüssel ist nicht Moskau«, trat die SPD-Fraktionsvizevorsitzende Angelica Schwall-Düren einem verbreiteten Vorurteil entgegen.
Die Frage, wie die tschechische Ratspräsidentschaft 2009 genutzt werden soll, wurde in einer innovativen Form bearbeitet: Tschechische Politologiestudenten präsentierten die Siegerbeiträge eines Wettbewerbs, der von der Masaryk-Universität Brno ausgerufen worden war. Sie empfahlen, die Ziele nicht zu breit anzulegen und Themen anzugehen, die in den neuen Mitgliedstaaten virulenter sind als in den alten. Der Kampf gegen die Korruption und die Lösung von Umweltproblemen wurden hier als Beispiele genannt. Durch ihre größere Nähe zu den USA könne die Ratspräsidentenschaft der Tschechischen Republik überdies Anlass einer Annäherung zwischen den USA und der EU sein.

Die Heilige Messe in der St. Jakobskirche wurde vom Brünner Generalvikar Jiří Mikulášek zweisprachig zelebriert.

Das nächste Panel trug den Titel Europäische Realitäten – wie setzen sich die Länder Mittel-Osteuropas mit dem Zusammenwachsen Europas auseinander?. Von neuer Relevanz ist in diesem Zusammenhang der alte Streit um die Definition Mitteleuropas, stellte der Pariser Politologe Jacques Rupnik fest. Er äußerte die These, die EU habe die neutralisierende Rolle Österreich-Ungarns während der Habsburgermonarchie übernommen: Ihre Aufgabe sei es, auftretende innereuropäische Konflikte, wie etwa den zwischen Ungarn und der Slowakei, zu dämpfen und zu moderieren.

Am Büchertisch der Ackermann-Gemeinde wurde mit der neuesten Ausgabe von zmizelé sudety/das verschwundene sudetenland auch eine Publikation der Gruppe Antikomplex angeboten.

Der österreichische Vize-Bundeskanzler a.D., Erhard Busek, widmete sich in seinem Diskussionsbeitrag eher den praktischen Fragen des Zusammenwachsens: Ohne entsprechende Infrastruktur würde es nicht gelingen, die räumliche Nähe produktiv zu nutzen. So hätten auch viele Gäste der Konferenz bei ihrer teils langwierigen Anreise zu spüren bekommen, dass es bislang noch keine Autobahnverbindung zwischen Brno und Wien gibt.

Ein gefüllter Saal und eine rege Medienbeteiligung: Die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Stiftung können auf eine erfolgreiche Veranstaltung zurückblicken.

Mit einer eigens für die Tagungsmitglieder zweisprachig zelebrierten Heiligen Messe in der St. Jakobskirche und mit einem anschließenden Empfang im Besední dům klang der zweite Konferenztag aus.

Das letzte Panel der Tagung war unter dem Titel Die Lokomotiven Europas? dem Beitrag der Regionen zur europäischen Integration gewidmet. »Die heutige Außenpolitik beginnt auf den Schulbänken«, hob der tschechische Bildungsminister Ondřej Liška in seinem streitbaren Einführungsstatement hervor. Er kritisierte, dass die deutsch-tschechische Historikerkommission zwar im Schulministerium tätig ist, es aber dennoch bislang keine neuen Lehrbücher zur deutsch-tschechischen Geschichte gibt. Positives Gegenbeispiel sei das Wirken der tschechischen Bürgerinitiative antikomplex. In ihrem Ausstellungs- und Buchprojekt Zmizelé sudety/Das verschwundene Sudetenland haben die Initiatoren mit der Gegenüberstellung alter und neuer Fotos von einst deutsch besiedelten Orten einen einfachen, aber wirkungsvollen Weg gefunden, Diskussionen zur deutsch-tschechischen Vergangenheit in Gang zu setzen. Für ihr Wirken hat die Gruppe Antikomplex 2005 den Georg Dehio-Kulturpreis des Deutsches Kulturforums östliches Europa erhalten; der Ausstellungskatalog ist Ende 2007 in einer stark erweiterten Neuauflage erschienen.

Einig war sich das Podium während der anschließenden Diskussion in der Feststellung, dass ohne intensive persönliche Kontakte keine europaweite Verständigung möglich ist. Der deutsch-tschechische Schüleraustausch, deutsch-tschechische Spracherziehung der Kinder im bayrischen Grenzgebiet und die Schaffung grenzüberschreitender Verkehrswege sind daher Beispiele für ganz konkrete regionale Projekte, die der »großen« Europapolitik Impulse geben können. So ließ sich trotz aller Detailkritik am Ende der Konferenz ein positives Fazit ziehen: Europa kann zusammenwachsen – und zwar von unten.

www.ackermann-gemeinde.de
Die Ackermann-Gemeinde im Internet

www.antikomplex.cz
Die Internetseiten der Bürgerinitiative antikomplex