Marek Zybura
1

Übersetzung: Herbert Ulrich

Dieses Problem ist gewiß nicht in den – manchmal von der Publizistik überschätzten – Differenzen bei der Beurteilung von Persönlichkeiten, Ereignissen oder Phasen aus der Geschichte des Nachbarlandes begründet. Wir bilden verschiedene Nationen, und Unterschiede zwischen uns wird es auch weiterhin geben. Man kann sich um eine Annäherung der gegenseitigen Standpunkte bemühen, man muß diese einander auch erklären, aber die Optionen der anderen Seite dürfen (im rühmlichen Namen des »Dialogs« oder der »Versöhnung«) nicht unkritisch übernommen werden, wie dies in Polen gegenwärtig manchmal der Fall ist, zum Beispiel aus Anlaß der Diskussionen über die Aussiedlung der Deutschen nach dem Kriege. Auch eine Schwierigkeit eher trivialer Natur in der gegenseitigen Kommunikation – nämlich was die Kenntnis der Sprache des Partners betrifft – hat heute bereits an Bedeutung verloren. Übrigens waren die polnischen Historiker diesbezüglich immer ihren deutschen Kollegen voraus, bei denen die Kenntnis der polnischen Sprache (und demzufolge auch der polnischen historischen Literatur) lange Zeit eigentlich nur auf diejenigen Historiker beschränkt war, die ihre Sozialisation im Vorkriegspolen erlebt hatten. An dieser Stelle sei lediglich an eine führende Persönlichkeit aus diesem Kreis erinnert, und zwar den aus Posen stammenden deutschen Historiker Gotthold Rhode. Heute ist die Zweisprachigkeit (in diesem konkreten Fall sogar die Dreisprachigkeit mit dem Tschechischen) geradezu zur Norm geworden, was z.B. in der gemeinsamen Schlesien-Forschung sehr gut sichtbar wird. Ein Blick auf die unter der Leitung von N. Conrads (1994) oder mehr noch auf die von J. Bahlcke (1996) herausgegebenen Synthesen Schlesiens liefert dafür die Bestätigung.

Das prinzipielle Problem der Kommunikation zwischen polnischen und deutschen Historikern würde ich in dem unterschiedlichen methodologischen Bewußtsein in den Historiographien unserer Länder erblicken, was (grob vereinfacht) ein Erbe aus der Zeit des Kalten Krieges und der Teilung Europas in zwei einander konträre Blöcke nach 1945 darstellt. Während die westdeutschen Historiker die ganze Zeit über die sich aus den entsprechenden Debatten in den angelsächsischen Ländern und in Frankreich ergebenden Impulse und methodologischen Innovationen aufnahmen und adaptierten, dominierte in Polen eine marxistische Geschichtstheorie. Auf den von dieser deklarierten »einzig richtigen« Charakter reagierten die politisch nonkonformistischen Historiker mit einer generellen Theorieskepsis und einer Hinwendung zur bloßen Ereignisgeschichte, ohne jeglichen Ehrgeiz, das historische Geschehen theoretisch zu reflektieren, und ohne den Versuch, diese Ereignisse in mannigfaltig konstruierte theoretische Zusammenhänge einzuordnen. Der methodologische Hiatus zwischen unseren Historiographien wird noch zusätzlich vertieft durch die kümmerliche Kenntnis der englischen und der französischen Sprache bei den nach dem Krieg geborenen und ausgebildeten polnischen Historikern (Ausnahmen bestätigen hierbei nur die Regel), wodurch sie von der Möglichkeit einer Rezeption der neuesten methodologischen Tendenzen gleich an der Wurzel abgeschnitten sind.

Die Notwendigkeit deutscher Sprachkenntnisse resultierte aus der Tatsache, daß nach 1945 ein Drittel des Territoriums unseres Landes Gebiete bildeten, deren Geschichte in den letzten Jahrhunderten eben in Deutsch geschrieben und archiviert wurde. Nun könnte man meinen, die französischen und angloamerikanischen Quellen hätte man auch aus zweiter Hand nutzen können, über das Deutsche. Das ist aber nur zum Teil richtig, denn auch in Deutschland verlief der Prozeß der Aneignung des westlichen theoretischen Denkens (besonders was die Übersetzungen betrifft) manchmal verspätet und unsystematisch. Wie auch immer, ein Bewußtsein der Konsequenzen des culturallinguistic turn für die Methodologie der Historiographie besteht in Polen erst seit einigen Jahren, und das heißt: im Vergleich mit Deutschland um eine ganze (oder gar mehrere) Generationen verspätet. Dadurch entstehen natürlich bestimmte Kommunikationsschwierigkeiten.

An dieser Stelle muß ich zur dritten Frage übergehen. Wenn wir uns erinnern, daß Jerzy Topolski bei uns die Diskussion zum Thema der »Herausforderungen des linguistic turn an die Geschichte der Historiographie« (1988) mitinitiiert hat, dann muß festgestellt werden, daß man sich vom Generationswechsel in Polen von denjenigen Historikern am meisten versprechen kann, deren »Werkstatt« sich in den neunziger Jahren herausbildete und heranreifte, sowie von ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen. Denn diese (hier seien nur M. Middell, F. Hadler und E. Fuchs genannt) unternahmen unlängst den Versuch – anknüpfend an die Überlegungen von M. Foucault und J.-F. Lyotard, die Theorie großer historischer Narrationsformen (historische Meistererzählungen, New Grand Narratives in History), die als »Beschreibung der Entstehung und des Schwindens in der Gesellschaft dominierender Muster der Vergangenheitsinterpretation« verstanden werden, auf die Beschreibung der Geschichte Ostmitteleuropas anzuwenden. Nach den ersten tschechischen und ungarischen Studien, die bereits entstanden sind, ist nun auch die Zeit für polnische Arbeiten im Rahmen dieser Zusammenheit gekommen, welche allerdings gepflegt werden muß.

Um auf die zweite Frage zurückzukommen: Es gibt immer noch keine entsprechend erarbeiteten Grundlegungen einer Methodologie der Geschichte der Historiographie. Und weil die polnische und die deutsche Historiographie seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf eine in Europa wohl einzigartige Weise miteinander verbunden war (das Jahr 1945 bildet dann selbstverständlich eine Zäsur), eröffnet sich hier ein neues, vielversprechendes Forschungsgebiet für eine dieser Problematik gewidmete Komparatistik. Für die polnische Seite könnten die modellhaften und von der Ideologiekritik ausgehenden Vorschläge von Ernst Schulin auf dem Gebiet der Systematisierung der Untersuchungen zur Geschichte der Historiographie diesbezüglich eine inspirierende Rolle spielen.

Die Gelegenheit nutzend, erlaube ich mir eine die gestellten Fragen etwas überschreitende Reflexion. Kein Problem bilden die Unterschiede in der Beurteilung der gegenseitigen Geschichte der Kommunikation zwischen den polnischen und den deutschen Historikern, aber problematisch sind zweifellos die Disproportionen in der Kenntnis der Geschichte des Nachbarvolkes in unseren Ländern, die dann auch auf die Kommunikation zwischen beiden Gesellschaften nicht ohne Einfluß bleiben. Die Kenntnis der Geschichte Deutschlands und der gegenseitigen Beziehungen mit diesem Land ist in Polen sicher viel stärker verbreitet als die Kenntnis der Geschichte Polens und der deutsch-polnischen Beziehungen in Deutschland. Dafür gibt es bekanntlich historische Gründe. Seit den Teilungen bedeutet Polen für die Deutschen sozusagen einen »Gewissensbiß«, der durch den Zweiten Weltkrieg dann noch verstärkt wurde. Auf diese Vorwürfe reagierte man in Deutschland mit einer Ausblendung Polens aus dem historischen Gesichtsfeld. Polen wurde sozusagen verdrängt. Allenfalls überließ man den Vertriebenverbänden die Beschäftigung mit diesem Land, was zur Folge hatte, dass in der deutschen Gesellschaft das Bild Polens in den Medien lange Zeit von ihnen kontrolliert wurde. Hat sich in dieser Hinsicht nach 1989 etwas verändert? Nicht viel. »Polen gehört nicht zu den Hauptthemen des Geschichtsunterrichts« (in Deutschland), musste Dieter Bingen vor ein paar Monaten in einem Interview zugeben. Selbstverständlich stellt das in erster Linie eine Herausforderung für die deutschen Historiker dar, besonders für die Verfasser der Lehrbücher für den Geschichtsunterricht. Aber warum nur für sie? In Polen werden Synthesen zur deutschen Geschichte von deutschen Autoren veröffentlicht – könnten da nicht auch in Deutschland Arbeiten zur Geschichte Polens erscheinen, die von polnischen Autoren für deutsche Leser geschrieben wurden? Dabei versucht uns Norman Davies zu helfen, dessen »Geschichte Polens« im Jahr 2000 im Münchener Beck-Verlag erschienen ist, aber die Tatsache, dass Bronisław Geremek das Vorwort zu diesem Buch geschrieben hat, ist immer noch zu wenig.