Das Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland zur Präsentation der Sonderbriefmarke »100. Geburtstag Joseph Schmidt« am 24. März 2004 im Jüdischen Gemeindezentrum Berlin
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Dr. h.c. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Am 4. März 2004 wäre Joseph Schmidt 100 Jahre alt geworden. Ein Alter, das normalerweise nur wenige Menschen erreichen. Joseph Schmidt hingegen wurde nur 38 Jahre alt, als er 1942 an Herzversagen in einem Internierungslager in der Schweiz starb.

Geboren in Davideny nahe Czernowitz, fiel der Junge schon bald durch seine grandiose Stimme auf und wurde zum Kantor – zum Vorbeter in der Synagoge – ausgebildet. Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ging er dann nach Berlin; zunächst zur Bühne und dann zum Film. Der Durchbruch kam 1933 mit dem Film »Ein Lied geht um die Welt«. 1933 aber kamen in Deutschland die Nazis an die Macht. Der junge jüdische Tenor ging nach Wien und drehte 1934 und 1936 zwei Filme, die wir bis heute kennen, nicht zuletzt wegen ihrer Lieder: »Ein Stern fällt vom Himmel« und »Heut' ist der schönste Tag in meinem Leben.«

Die Annexion Österreichs vertrieb Joseph Schmidt zunächst nach Frankreich. Von dort flüchtete er in die Schweiz. In einem Schweizer Internierungslager starb er 1942 an Herzversagen, gerade 38 Jahre alt. Der einst gefeierte Tenor und Filmstar war völlig verarmt. Als man seinen Nachlass 1947 sichten wollte, fand man einen einzigen Koffer mit wenig Bekleidung, einem Siegelring und einer goldenen Uhr, die ihm seine PlattenfIrma in besseren Zeiten als Anerkennung geschenkt hatte.

Joseph Schrnidt – ein kurzes, zuweilen glanzvolles Leben und ein Tod in Einsamkeit, in Angst und auf der Flucht. Ein Schicksal, das so oder ähnlich zigtausende von Juden in der Nazizeit erlitten haben. Auch meine Eltern sind aus Deutschland geflüchtet, ich habe – getrennt von meiner Mutter – als kleiner Junge durch die Hilfe braver belgischer Bauern überlebt, die mich als Verwandten ausgegeben haben. Meine Mutter hat mit falscher Idenität überlebt. Meine Schwester wurde irn Alter von elf Jahren in Brüssel verhaftet und kurz darauf in Auschwitz ermordet. Mein Vater, ebenfalls bei einer Razzia in Brüssel verhaftet, überlebte schlimmste Todeslager der Nazis und führte nach 1945 seine kleine Familie wieder zusammen.

Die meisten Juden jedoch sind nicht wieder gekommen, nicht aus den Todeslagern der Nazis und nicht aus der Emigration. Nur sehr wenige Überlebende der Lager sind nach ihrer Befreiung in Deutschland geblieben, die meisten wollten auch Jahre danach nicht bleiben. Sie saßen sinnbildlich auf gepackten Koffern. Erst in den letzten wenigen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts konsolidierte sich eine kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland, weniger als 30000 Menschen, die meisten von ihnen im Rentenalter.

Dass wir heute die drittgrößte jüdische Gemeinschaft in Westeuropa mit mehr als 100.000 Menschen sind, verdanken wir der Zuwanderung von Juden aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Seit Beginn der neunziger Jahre hat sich die jüdische Gemeinschaft mehr als verdreifacht. Viele Gemeinden sind neu oder wieder gegründet worden. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zeichnet heute ein reiches religiöses und kulturelles Leben aus, ein Zustand, von dem wir bis 1989 nicht zu träumen wagten.

Ich freue mich sehr, dass der große weltberühmte Tenor Joseph Schrnidt nun mit einer Sonderbriefmarke geehrt wird. Gilt sie doch nicht allein dem Glanz, den er verkörpert hat, sondern auch und vor allem dem Juden, der heimatlos durch Europa getrieben wurde, ehe sein kurzes Leben endete. So wird auch durch ihn die Erinnerung wach gehalten an das Elend der europäischen Juden und sie mahnt uns, nicht zu vergessen aber auch nie wieder zuzulassen, dass einem Volk ein solches Leid angetan wird.

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