Die Namen Bukowina und Czernowitz rufen heute die Erinnerung an eine untergegangene Welt im südöstlichen Europa wach – eine Welt, die durch unterschiedlichste Kulturen geprägt war, die auf engem Raum zu einem toleranten, friedlichen und produktiven Miteinander zusammenfanden. Seit Jahrhunderten siedelten hier Ukrainer, Rumänen, Juden, Deutsche, Polen, Ungarn, Huzulen, Lipowaner, Slowaken, Tschechen, Armenier und Roma. Die jüdische Bevölkerungsgruppe begriff sich als Teil der deutschen Kulturnation: Paul Celan, Moses Rosenkranz oder Rose Ausländer – sämtlich aus Czernowitz gebürtig – gehören zu den führenden Repräsentanten der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts nicht nur der Bukowina, sondern des gesamten deutschen Sprachraums. Das multiethnische, plurikulturelle Czernowitz ist ein Opfer der Kriegsereignisse eben dieses Jahrhunderts geworden. Das heute ukrainische Tscherniwzy verwaltet nur mehr die Erinnerung an eine Vergangenheit, die man in ihrer Vielfalt und Toleranz so gern wieder aufleben lassen möchte.
Joseph Schmidts kurzes Leben ist eng mit dem einzigartigen Zauber, aber auch mit der tiefen Tragik der Welt von Czernowitz verknüpft. 1904 in Davideny bei Czernowitz als Kind jüdischer Eltern in einem deutschsprachigen Umfeld geboren, partizipierte er aktiv am jüdischen Gemeindeleben der Stadt und begann seine musikalische Laufbahn als Tempelsänger der dortigen Israelitischen Kultusgemeinde, trat jedoch auch schon bald in seiner Heimatstadt als Interpret von Opernarien Rossinis, Verdis, Puccinis und Bizets auf. Seine akademische Gesangsausbildung erhielt er 1925/26 in Deutschland; 1929 hatte er in Berlin seine ersten großen Auftritte im Rundfunk und auf der Bühne; im selben Jahr kam es auch zu den ersten Schallplattenaufnahmen. Der Klang seiner außergewöhnlichen Stimme begeisterte ein Millionenpublikum; der Aufstieg des Publikumslieblings schien unaufhaltsam. Es sollte jedoch wie bei so vielen jüdischen Künstlern anders kommen. Am 9. Mai 1933 fand im Berliner UFA-Palast die Premiere des Films Ein Lied geht um die Welt statt (der alsbald verboten wurde), am 10. Mai wurde auf dem Opernplatz die Reihe der öffentlichen Bücherverbrennungen eröffnet – ein Symbol der neuen Kulturpolitik. Joseph Schmidt, der fortan auch im Rundfunk nicht mehr auftreten durfte, emigrierte noch 1933 nach Österreich, von wo aus er eine Weltkarriere startete mit triumphalen Auftritten in England, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Amerika. 1938 verließ er Österreich und floh – immer die deutschen Truppen im Rücken – über Belgien und Frankreich in die Schweiz, die den illegal Eingewanderten in strenge Internierungshaft nahm, an deren Folgen er am 16. November 1942 starb.
Als Joseph Schmidt starb, hatte auch das langsame Sterben des alten Czernowitz schon begonnen. Die Stadt, die Schmidt 1939 zum letzten Mal besucht hatte, war gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt im Juni 1940 von der Roten Armee besetzt worden. In der Folgezeit kam es – mit je nach Kriegsverlauf wechselnden Akteuren – zu Aussiedlungen, Vertreibungen, Deportationen und Ermordungen der dortigen (vor allem der jüdischen) Bevölkerung. Als Czernowitz schließlich 1947 an die Ukrainische SSR angegliedert wurde, war es nur mehr eine Provinzstadt wie viele andere – ohne das spezifische kulturelle Flair der ehemaligen k.u.k. Metropole, der »buntschichtige[n] Stadt, in der sich das germanische mit dem slawischen, lateinischen und jüdischen Kulturgut durchdrang« (Rose Ausländer), das eine Karriere wie die des Sängers aus Davideny erst ermöglicht hatte. Die Erinnerung an Joseph Schmidt, den Czernowitzer Tempel- und Opernsänger, ist so immer auch eine Erinnerung an eine untergegangene Kulturlandschaft im Südosten unseres Kontinents, die in ihrer Prägung so etwas wie ein europäisches Paradigma darstellt.
Ich danke allen, die sich für diese Veranstaltung engagiert haben. Mit diesem Dank verbindet sich auch der Wunsch nach Fortsetzung Ihrer erfolgreichen Tätigkeit.
Dr. Christina Weiss
Staatsministerin beim Bundeskanzler
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien