Gleich zu Anfang sei vermerkt, dass die Abenteuer dieser Studienfahrt mit der Anreise begannen. Die Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands (Mannheim, Münster, München, Hamburg, Berlin etc.) brauchten für eine Fahrt teilweise über zwölf Stunden – trotzdem waren wir gegen 18.30 Uhr vollzählig. An diesem ersten Spätnachmittag in Český Tĕšín führte uns Dorothee Ahlers, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Geschichtsbausteine Bayern – Böhmen an der Universität Passau tätig ist und in ihrer Master-Arbeit über das Thema Teschener Schlesien arbeitete, von unserem Hotel »Piast« aus entlang verschiedener »Zeichen der Teilung« durch die Stadt. Unser Hotel hieß ursprünglich Hotel »Polonia«, das Gebäude wurde im Dezember 1931 eröffnet und beherbergte neben dem Hotel- und Restaurationsbetrieb mehrere polnische Institutionen und Vereine. Es ist also eines der zahlreichen Gebäude, die jetzt die Straße gegenüber dem Bahnhof in Český Tĕšín säumen und erst nach der Teilung der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg entstanden.
Die Teilung der Stadt empfand Teilnehmerin Eva Loy aus Berlin so:
Nach verschiedenen Erfahrungen in geteilten Städten waren vier Tage in Cieszyn und Český Tĕšín für mich eine weitere Gelegenheit, über getrennte Lebenswelten in einem ursprünglich zusammengehörigen Raum nachzudenken. Die Teilung der Stadt Teschen im Jahr 1919/20 infolge der Grenzziehung zwischen Polen und der Tschechoslowakei legte den Fluss Olsa als neuen Anfangs - bzw. Endpunkt zweier Nationen fest. Damit zerfiel Teschen, das sich zu beiden Seiten des kleinen Gewässers erstreckte, in einen polnischen (Cieszyn) und einen tschechoslowakischen (Český Tĕšín) Teil.
Viele Fragen begleiteten mich, während wir gemeinsam durch die Stadt spazierten. Was ist es wohl für ein Gefühl, plötzlich nur eingeschränkt zum gewohnten Bahnhof oder Krankenhaus fahren zu können, weil sich die Gebäude auf der anderen Seite des Flusses befinden? Die Olsa, einst womöglich Ort der sozialen Verbindung und sicher eine positiv bewertete optische Verschönerung der Stadt Teschen, stand auf einmal für die Zerstörung etablierter sozialer Netzwerke. Wie schnell werden aufoktroyierte Absurditäten zur Gewohnheit?
Am Fluss Olsa treffen zwei westslawische Sprachen aufeinander, die mir aufgrund solider Russischkenntnisse nicht völlig unverständlich blieben. Obwohl ich kaum Polnisch und kein Tschechisch beherrsche, fiel mir der offensichtlich sehr unterschiedliche Klang der verwandten Mundarten sofort auf. Wie oft überqueren wohl heute, angesichts der offenen Grenze, Tschechen die Brücke nach Polen und umgekehrt? Und wie kommunizieren die Passanten in diesem Fall miteinander?
An einem Ort wie Český Tĕšín/Cieszyn kann man etwas über Grenzen lernen – über innere und äußere Schranken, die Kommunikation neu strukturieren und Kontakte zum Einbrechen bringen sowie neu entwickeln. Im Laufe der Zeit ist auf beiden Seiten ein eigenes Stadtzentrum entstanden.
Ein aufmerksamer Blick auf die architektonischen Besonderheiten verdeutlicht, dass die Stadt ursprünglich zusammengehörte. Die heutige Stadt Český Tĕšín war die Neustadt und besitzt nun einen eigenen, etwas kulissenhaft wirkenden Marktplatz. Die eigentliche Altstadt, inklusive eines weiteren zentralen Platzes mit Rathaus, befindet sich heute in der polnischen Stadt Cieszyn. Auf den Spuren der Geschichte sieht man bei einem Spaziergang durch die beiden Städte, wie sich alte Strukturen an neue Gegebenheiten anpassten. Heute kann der Bürger Cieszyns problemlos nach Český Tĕšín gelangen. Der EU-Beitritt beider Länder im Jahr 2004 hat eine Öffnung eingeleitet, die vielen Menschen im westlichen Europa eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Über die Brücke von Cieszyn nach Český Tĕšín laufend, wird man einmal mehr daran erinnert, dass die vier Grundfreiheiten für EU-Bürger eine großartige Errungenschaft sind.
Der Teschener »Pott«
Am nächsten Morgen fuhren wir mit der während des Industriebooms so wichtigen Kaschau-Oderberger-Bahn, die die Kohle aus dem Industrierevier um Ostrava nach Kaschau/Kosice transportierte, wo sie mit ukrainischem Erz zu Stahl verarbeitet wurde. Aber auch für den heimischen Eisenbahnantrieb war die Kohle vor Ort vonnöten. Bei der beeindruckenden Führung von Architekt Miloš Matěj durch die Grube Michal in Ostrava erfuhren wir nicht nur, dass diese Grube zu ihrer Zeit schon eine der modernsten in Europa war. Seit ihrem Umbau im Jahr 1915 bedurfte sie keiner entscheidenden Neuerung mehr, und obwohl bis 1993 in Betrieb, mutet ihr Erhaltungszustand fast dinosauerierhaft an - Herr Matěj berichtete, dass nach langen Beratungen mit Architekten und Denkmalpflegern, die sich mit anderen Industriedenkmälern beschäftigen, beschlossen wurde, die Grube Michal in ihrem bis zuletzt funktionstüchtigen Zustand zu bewahren, nicht zu renovieren. Das hält: mit jeder Menge Bienenwachs oder komplizierten Stützen unter den Hallen, die einen Einbruch von Gebäudeteilen in die ausghöhlte Landschaft verhindern.
Im 19./20. kamen viele polnische Arbeiter aus dem Teschen benachbarten Galizien hierher, sie wohnten in Arbeiterwohnheimen und passten sich einerseits der neuen Umgebung an, indem sie ihre Bräuche vernachlässigten, veränderten andererseits aber auch die Sozialstruktur der Gegend.
Konfessionenreichtum
Denn, wie wir am Nachmittag beim evangelischen Bischof Paweł Anweiler in der Herz-Jesu-Kirche in Cieszyn erfuhren, waren diese galizischen Arbeiter hauptsächlich katholisch, während im Teschener Schlesien ansonsten eher das Evangelische vorherrschte. Die Herz-Jesu-Kirche ist eine so genannte Gnadenkirche, die nach der Altranstädter Konvention von 1707 entstand. Mit dieser Übereinkunft rang der schwedische König Karl XII. Kaiser Josef I. die Gewährung der Glaubensfreiheit für die protestantischen Schlesier ab. Es durften sechs Gnadenkirchen gebaut werden, eine davon in Teschen. Da sie laut den Bestimmungen außerhalb der Stadtmauern errichtet worden war, fiel sie dem verheerenden Stadtbrand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht zum Opfer und ist bis heute mit ihren vielen Emporeneinbauten erhalten. Letztere ermöglichten schließlich ein Fassungsvermögen von über 7000 Gläubigen.
Am nächsten Tag stiefelten wir mit unserem Gepäck über die Olsabrücke in Richtung Cieszyn, um unter der fachkundigen Leitung des Historikers Dr. Janusz Spyra den alten jüdischen Friedhof von Teschen zu erkunden - dazu machte sich Teilnehmer Clemens Günter folgende Gedanken:
Als wir uns am Samstagmorgen auf den Weg zum Jüdischen Friedhof machen, regnet es. Friedhofswetter. Der beschwerliche Aufstieg führt uns auf einen Berg an den Stadtrand Cieszyns. Kein Zufall, denn den jüdischen Bewohnern Teschens war es nicht erlaubt, einen Friedhof im Stadtzentrum zu errichten. So entstand der Gedenkort außerhalb der Stadtmauern. Wer den Friedhof heute betritt, wird sofort von einer eigentümlichen Stimmung ergriffen. Die verfallenen Grabsteine, die leise Ahnung an die Pracht und Größe der einheimischen jüdischen Oberschicht, die bedeutenden historischen Einschnitte: viel erinnert an ähnliche Stätten in Osteuropa. Verwehte Spuren, Erinnerungen an eine vergangene Welt.
Die jüdische Gemeinde ist längst verschwunden, doch das Wissen um die reiche jüdische Geschichte des Ortes wird nun seit einigen Jahren wiederentdeckt. Die Erzählungen des örtlichen Führers zeugen dabei von der tragischen Geschichte dieses Ortes im 20. Jahrhundert. Geschichten, wie man sie wohl in vielen polnischen Städten hören könnte. Die deutschen Besatzer schließen den Friedhof und die sowjetischen Nachfolger beabsichtigen, den Gedenkort in einen Park umzuwandeln. Grabsteine, Mauerwerk und Leichenhalle stehen zwar glücklicherweise noch heute, doch sie verbreiten kein Leben mehr, nur noch melancholische Erinnerungen an ein jahrhundertelanges Zusammenleben unterschiedlicher Konfessionen in Cieszyn.
Als wir wieder hinabsteigen um ins örtliche Museum zu gehen, erkennt man, dass nicht jede historische Episode wieder mit Leben gefüllt werden kann. Und der feste Vorsatz, einen solchen Ort diesmal nicht nur unter dem üblichen schwermütigen Blick zu betrachten, ist aufs Neue gescheitert.
Eine Sonderausstellung im Museum des Teschener Schlesien
Mit seinem Song »Těšínská« spielte sich der berühmte tschechische Liedermacher Jaromír Nohavica in unsere Ohren und Herzen - der Song begleitete die kleine Sonderaustellung zu seinem Werk im Muzeum Śląska Cieszyńskiego. Die langjährige Mitarbeiterin Irena French begleitete uns durch die Dauerausstellung, die neben Kuriositäten des Gründers der Sammlung, Fürst Larisch, bis zu zahlreichen Dokumenten über die Zeit der Teilung und danach wunderbare Stücke enthält: z. B. Tanzheftchen in winzigen Umhängeschatullen für den Ball oder Tabakmarken, bei Bedarf einzulösen in entsprechenden Geschäften.
Unser Bus nach Bielsko-Biała fuhr pünktlich - auf der knapp einstündigen Fahrt hatten wir dank der Vorbereitung der Teilenehmerinnen Anna Flack, Katharina Tauschke und Julia Große Zeit, uns mit dem Ort vertraut zu machen:
Wie der Name bereits vermuten lässt, entstand Bielsko-Biała aus der Verbindung zweier Städte im Jahr 1951. Bielitz wurde 1312 das erste Mal urkundlich erwähnt, Biała 1494 bzw. 1564. Der Text, mit dem wir uns für die Studienreise beschäftigt haben, handelt von der deutschen Sprachinsel in Bielitz-Biala, deren Anfänge in der Zeit zwischen 1260 und 1300 liegen. Der Text stammt von dem gebürtigen Bielitzer Ingenieur Gerhard Wurbs, dessen von ihm so bezeichnete „Chronik“ aus der Rückschau geschrieben ist (2. Auflage 1982), subjektiven Charakter hat und auch eine der damaligen Zeit verhaftete Wortwahl aufweist (Gerhard Wurbs, Die deutsche Sprachinsel Bielitz-Biala).
Die Zeit von Anfang bis Mitte des 19. Jahrhundert war von vielen Veränderungen geprägt. Es gab plötzlich eine Eisenbahnverbindung, wodurch der Faktor »Zeit« maßgeblich verändert wurde. Viele Vereine entstanden. Durch die Industrialisierung schnellte das Wirtschaftswachstum in die Höhe. Das jedoch hatte zur Folge, dass viele Menschen Angst hatten, ihre Arbeitskraft könnte durch Maschinen ersetzt werden. Es gab daraufhin verschiedene Aufstände und sogar einen Börsenkrach, welcher dem Wirtschaftsboom ein vorläufiges Ende bereitete. Dieser ereignete sich allerdings erst in der Zwischenkriegszeit.
Zuvor hatte Ende des Ersten Weltkrieges auch das Ende der Habsburger Monarchie eingeläutet. Neue Staaten entstanden, so auch Polen und die Tschechoslowakei. Beide Länder erhoben Anspruch auf das Teschener Schlesien, was Ausgangspunkt für den künftigen Konflikt darstellte. Die zahlreiche deutsche Bevölkerung (Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in Bielitz 15 Prozent Juden, 15 Prozent Polen und mehrheitlich Deutsche) hatte dabei kein Mitspracherecht. Die Auseinandersetzung kulminierte in dem einwöchigen polnisch-tschechoslowakischen Grenzkrieg im Januar 1919: Polen besetzte das Olsagebiet, woraufhin die Tschechoslowaken bis nach Wisła vordrangen. Die Alliierten griffen ein und verwalteten das umstrittene Gebiet bis 1920. Am 28.7.1920 beschlossen sie die Teilung Teschens entlang der Olsa. Der industrialisierte Westteil mit dem Olsaland, dem Bahnhof und dem Wasserwerk ging an die Tschechoslowakei, der östliche, agrarisch geprägte Teil mit dem historischen Marktplatz wurde Polen zugeteilt. Eine von der Bevölkerung geforderte Volksabstimmung, die wohl aufgrund der großen polnischen Minderheit auf tschechoslowakischer Seite zugunsten Polens ausgefallen wäre, wurde nicht durchgeführt.
In der Zwischenkriegszeit entwickelten sich Bielitz und Biala zu den größten und qualitativ hochwertigen Textilstädten. Mit der friedlichen Koexistenz war es jedoch vorbei, Polen leitete eine schrittweise Assimilierung der alteingesessenen deutschen Bevölkerung ein. Die polnischen Zentralisationsbestrebungen griffen insofern in die Religion ein, als dass die Sprachinsel 1925 an das Bistum Kattowitz angegliedert wurde. Darüber hinaus wurde das gut entwickelte deutsche Schulsystem schrittweise in ein polnisches umgewandelt. Zahlreiche deutsche Schulen wurden auch ganz geschlossen. 1936 wurde die deutsche Evangelische Lehrerbildungsanstalt geschlossen. Bis 1930 war die Bielitzer Stadtverwaltung noch deutsch, dann wurde der ursprünglich frei gewählte Gemeinderat von Bielitz aufgelöst und zu drei Vierteln von einem Polen ernannt.
Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht verständlicher, dass die Bewohner der Sprachinsel den Einmarsch der Wehrmacht in Bielitz begrüßten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen vertrieben und all ihr Besitz beschlagnahmt. Diese Vertriebenen bzw. Ausgesiedelten schlossen sich 1952 in der BRD in dem Verein Bielitz-Biala e.V. zusammen. Es gibt nach wie vor eine Heimatgruppe und Zweigstellen in Lippstadt, Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Alzen, die Ferialverbindung »Franken« sowie den Österreichischen Heimatbund Beskidenland. Auf seiner Internetseite (http://www.bielitz-biala.de) verweist der Verein darauf, dass eine verbliebene deutsche Minderheit in Bielsko-Biała die „Deutsche Gesellschaftlich-Kulturelle Vereinigung Beskidenland“ unterhält, deren Mitglieder sich wöchentlich treffen und regelmäßig Sprachunterricht erhalten.
Begrüßt wurden wir in Bielitz auf sehr erfrischende Art von der Kunsthistorikerin Ewa Chojecka, die sich bereit erklärt hatte, uns durch ihre Geburtsstadt zu führen. Mit ihrem herausragenden Werk hatte Frau Chojecka zum ersten Mal auch das industrielle Erbe und die Architektur in das kunsthistorische Erbe Oberschlesiens einbezogen und diese Region mit all ihren verschiedenen Einflüssen erfasst. Sie zeigte uns das Stadtmuseum, in den Mauern der alten Festung eingerichtet und vor weitreichenden, spektakulären Umbauten stehend. Das einzige Martin-Luther-Denkmal im heutigen Polen steht vor der evangelischen Kirche in Bielitz. Man scheint sich dieser Besonderheit schon damals bewusst gewesen zu sein, denn statt eine kämpferische Gestik an den Tag zu legen, hält Luther hier schützend seine Hand über die Bibel.
Auf dem Weg in die Beskiden
In die abgelegene Hütte, die letzte auf dem Hügel, der sich vor uns auftat, kamen wir die letzten Kilometer nur zu Fuß - und als wir nach einem verregneten Abend am Lagerfeuer in der Hütte, bei hervorragendem Essen und Gesang, am nächsten Morgen in der Sonne frühstücken konnten, hätten wir gern dazu unsere Literaturgruppe gehört, doch wir mussten uns zu unserer letzten Verabredung sputen - Monika Skrzypkowska aus dieser Gruppe kommt deshalb hier zu Wort:
Das Teschener Schlesien ist aufgrund seiner malerischer Lage, der spannenden Geschichte, der konfessionellen Vielfältigkeit sowie der Bewohner unterschiedlicher Nationen eine Quelle zahlreicher Themen und Motive für Dichter und Liedermacher. Zwei von ihnen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Jan Kubisz war ein 1848 in Końska bei Trzyniec geborener Dichter und Lehrer. Er verfasste zahlreiche Gedichte, von denen zwei bis heute sich großer Beliebtheit erfreuen. »Ojcowski dom« (»Väterliches Haus«) und »Nad Olzą« (»An der Olsa«) wurden vertont und entwickelten sich zu Liedern, die bei besonderen Anlässen gesungen werden. Nad Olzą hat sogar den Rang einer inoffiziellen Hymne der Region Teschener Schlesien. In beiden Liedern wird die Stellung der polnischen Bevölkerung thematisiert, die hier angesiedelt war: ihre Assimilation sowie den Verlust ihrer Identität. Jan Kubisz starb 1929 in seinem Geburtsort. In Cieszyn sind nach dem protestantischen Dichter eine Straße und eine Schule benannt; für ihn wurde auch ein Denkmal errichtet.
Jaromir Nohavica wurde 1953 in Ostrava, Tschechien, geboren. Gitarre, Flöte und Violine erlernte er autodidaktisch. Zuerst widmete er sich dem verfassen von Texten; später betätigte er sich als Komponist. Seine Texte und Musik sind eng mit Poesie und Literatur verbunden. Nohavicas großer Vorteil ist sein reicher Wortschatz. Seine verbalen Ausdrucksmittel begeistern durch Schlagkraft, Übersichtlichkeit, Reime, geschliffene Pointen und der Neigung zu Romantik, Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit (Tschechisches Musiklexikon von Personen und Persönlichkeiten, zitiert nach http://www.nohavica.cz/_de/jn/bio/bio.htm).
Nohavica kritisiert in seinen Liedern die Gesellschaft, behandelt soziale, politische und historische Themenbereiche. Er schreibt über Hoffnung und Vergänglichkeit sowie Sport und für Kinder. In den Jahren 1978 bis 1999 lebte Jaromir Nahovica in Český Těšin. Diese Zeit hat ihn wahrscheinlich so stark inspiriert, dass er als Folge 1996 ein der Stadt Český Těšin gewidmetes Lied veröffentlichte: Těšinská. Darin singt er über das Miteinander der diversen in Teschen bzw. Schlesien beheimateten Kulturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Stadt noch nicht geteilt war.
Der Kongress der Polen in Tschechien
Zum Abschluss unserer Reise besuchten wir den Sitz der polnischen Minderheit in Český Těšin. Im Gegensatz zur polnischen Seite, wo nur wenige Tschechen lebten, gab es nach der Teilung des Teschener Schlesien auf der tschechischen Seite eine bedeutende polnische Minderheit, die hier, im Gegensatz zu anderen Gegenden in Tschechien, in viel größerer Zahl konzentriert lebt. Józef Szymeczek, der Vorsitzende des Kongresses der Polen in Teschien, seine Mitstreiter und sogar zwei Schüler des polnischen Liceums auf tschechischer Seite standen uns Rede und Antwort; hierzu noch einmal unsere Teilnehmerin Eva Loy:
Trotz der heute offenen Grenze scheint der Menschenfluss – sei er wirtschaftlich, sozial oder kulturell bedingt – zwischen den beiden Städten nur gering zu sein. Wir trafen Schüler des polnischen Gymnasiums im tschechischen Teil, die uns viele Aspekte ihrer Lebenswelt mitteilten. Ich war überrascht, als sie ihre mangelnden Kontakte in Cieszyn beklagten. Für die Polen auf der anderen Seite der Olsa seien sie tschechisiert. Ich war von ihrem hervorragenden Deutsch sehr beeindruckt. Im Privaten sprechen sie jedoch ihre ganz eigene Sprache, po naszemu („auf unsere Art“), ein linguistisches Überbleibsel der Region, das deutsche, tschechische und polnische Elemente verbindet.
Grenzen, wenn auch zunächst politisch initiiert und architektonisch umgesetzt, sind ein gedankliches Konstrukt. In Cieszyn und Český Tĕšín existieren sie noch in den Köpfen. Abgesehen von ein paar Jahren Unterbrechung zwischen 1938 und 1945, als Teschen für kurze Zeit wieder vereint war, blieb die Stadt ab 1919 zwar geteilt. Doch zuvor existierte sie bereits seit Jahrhunderten als zusammengehöriger multiethnischer Raum, dem Zentrum des Herzogtums Teschen, in dem neben Polen und Tschechen auch Deutsche und Juden lebten.
Die historische Tiefe der Stadt als Einheit einerseits und die Brutalität ihrer Teilung andererseits haben eine Situation geschaffen, die Abgrenzung und Offenheit im ständigen Wechsel erlebbar macht. Der Wiederaufbau des „Café Avions“ als „Café Noiva“ steht symbolisch für grenzübergreifende Kulturprojekte, die es bereits in den 1960er und 1970er Jahren gab. Im frühen 20. Jahrhundert war das Avion ein intellektueller Treffpunkt für Juden, Deutsche, Tschechen und Polen und ist heute an der Olsa im polnischen Teil unmittelbar an der Brücke zu finden. Derartig positive Initiativen im Sinne einer Öffnung, die nicht nur politischer Natur ist, sondern auch innerlich empfunden wird, erheben Cieszyn und Český Tĕšín aus meiner Sicht zu einem Ort der Hoffnung.
Nationale, regionale und europäische Identitäten schließen sich keinesfalls gegenseitig aus. Wie in Cieszyn und Český Tĕšín deutlich wird, erschaffen und bekräftigen sie sich vielmehr gegenseitig.
Wer noch mehr lesen will: Unsere Teilnehmerin Anna Flack hat für das online-Magazin polen_pl einen Bericht über die Studienreise verfasst: http://www.polen-pl.eu/teschener-schlesien-wo-polnische-auch-deutsche-tschechische-und-juedische-geschichte-ist/