Teil II | Stuttgart, 27. bis 31. August 2012
Zweck und Hauptziel des Projekts war es, junge Menschen in Odessa auf die Geschichte ihrer erst Anfang des 19. Jahrhunderts gegründeten Stadt aufmerksam zu machen und sie anzuregen, sich mit den multinationalen Traditionen ihrer Heimat zu beschäftigen.
Konkret stand die Geschichte der deutschen Minderheit in Odessa, und die Spuren, die diese Bevölkerungsgruppe im kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Leben der Stadt spielten, im Zentrum. Recherchen in Archiven und Bibliotheken sowie im urbanen Terrain, aber auch Besuche in Museen und Gespräche mit Historikern und sonstigen Kennern der Thematik sollten zeigen, wie präsent die historischen Spuren der deutschen Bewohner der Stadt sind, wenn man nur den Blick darauf richtet.
Zur Eröffnung des Projekts, das vom Deutschen Kulturforum östliches Europa (Potsdam) und dem Bayerischen Haus Odessa in Kooperation mit dem Haus der Heimat in Stuttgart durchgeführt wurde, trafen sich am 30. und 31. März 2012 zwölf Studierende aus Odessa im Bayerischen Haus zum einem intensiven Einführungsworkshop. Einleitend führten Liana Kryshevska vom Bayerischen Haus und Klaus Harer vom Kulturforum in die Thematik ein. Die Studierenden stellten in Kurzreferaten ihre Projekte vor, in denen sie im Laufe der nächsten Wochen und Monate unterschiedliche Fragen der Kultur und Geschichte der deutschen Bewohner Odessas erforschen werden.
In ihrem Vortrag stellte Dr. Nelli Iwanowa-Georgiewskaja, Philosophie-Dozentin der Metschnikow-Universität grundsätzliche Fragen der Hermeneutik und Deutung historischer Materialien zur Diskussion.
Die Philosophin und Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Inna Golubowitsch erläuterte die Methoden der »Oral History« und ihre Bedeutung für die Identitätsbildung nationaler Minderheiten (am Beispiel der Deutschen aus/in Odessa).
Es schloss sich ein sehr spannender Bericht der Germanistin Dr. Olga Korolkowa an, die in den 1990er Jahren im Keller einer großen Odessaer Bibliothek große Bestände deutscher Bücher und Zeitschriften entdeckte. Zum Teil konnten diese Bestände vor dem Verfall bewahrt werden und fanden Aufnahme in der Bibliothek des Odessaer Literaturmuseums. Dr. Korolkowa erläuterte an einigen Beispielen, welche Informationen historische Buchbestände über die Besitzer und Leser, aber auch über die Wege des Buchhandels bieten können.
Der erste Workshop-Tag wurde durch praktische Übungen abgeschlossen. Die Teilnehmer gingen vom Bayerischen Haus in das Staatsarchiv des Odessaer Gebietes (GAOO), das in dem schönen, aber sehr baufälligen Gebäude der ehemaligen Brodskaja-Synagoge untergebracht ist. Vizedirektorin Dr. Lilja Belousowa führte die Teilnehmer durch das Gebäude und berichtete über die Geschichte des Gebäudes und des 1925 gegründeten Archivs, das u.a. bedeutende Aktenbestände zur Geschichte der Deutschen Bevölkerung Südrusslands aufbewahrt.
In praktischen Übungen führte sie die Teilnehmer in die Arbeit mit Archivdokumenten ein: Die Recherche in Katalogen und Findbüchern, das Ausfüllen von Bestellscheinen, schließlich das Blättern in Akten, Schriftstücken und Bauplänen zeigte den Studenten, wie sie für ihre Forschungsprojekte die notwendigen Quellen finden können. Die sehr anschauliche Einführung führte den Teilnehmern gleichzeitig vor Augen, welche Schätze das Archiv in der Brodskaja-Synagoge beherbergt.
Am nächsten Morgen traf man sich im Hof der Evangelisch-lutherischen St. Pauls-Kirche, von wo aus ein Erkundungsgang durch das »deutsche« Odessa mit der Historikerin Dr. Elvira Plesskaja-Sebold startete. Frau Plessakaja-Sebold, Autorin u.a. der einschlägigen russischsprachigen Monografie Die Odessaer Deutschen, gab auf einer zweistündigen Spazierroute durch das Stadtzentrum einen anschaulichen Überblick über die Kultur- und Sozialgeschichte der Odessaer Deutschen.
Der Weg führte von den Häusern der ersten in Odessa niedergelassenen Handwerker bis zum Deutschen Konsulat der 1930er Jahre und dem Gebäude der reformierten Kirche, das in den 1930er Jahren das Deutsche proletarische Theater beherbergte.
Die Exkursion endete im Odessaer historisch-heimatkundlichen Museum und der Gawanaja-Straße. Hier begrüßte die Direktorin Dr. Vera Solodowa die Teilnehmer und führte mit ihrem Vortrag »Vom archäologischen Fund zum Museumsexponat« in relevante museologische Fragen der Geschichte der Deutschen in Odessa ein. Ein Rundgang durch das Museum und durch dessen Filiale, die ethnografische Abteilung auf der Langéron-Straße schloss sich an.
Den Abschluss bildete im Vortragssaal des Museums der Beitrag von Dr. Viktor Lewtschenko, der resümierend über die »Rezeption des Deutschen im kulturellen Areal von Odessa« sprach.