Die Schauspielerin Ursula Karusseit sprach im Filmmuseum Potsdam mit dem Zeithistoriker Michael Schwartz über den Umgang der DDR mit den Vertriebenen
Tanja Krombach
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Ursula Karusseit im Gespräch mit Frank Herold (links) und Michael Schwartz
Zahlreich und diskutierfreudig: Das Publikum im ausverkauften Saal des Filmmuseum Potsdam alle Fotos auf dieser Seite: © 2011 Deutsches Kulturforum östliches Europa • A. Werner

Die Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa fand am 15. September 2011 statt im Rahmen der Reihe Potsdamer Gespräche. Mythen der Moderne in Brandenburg, organisiert vom Forum Neuer Mark und unterstützt von Kulturland Brandenburg. In diesem Jahr sollte anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Filmstudios Babelsberg das Medium Kino einbezogen werden. Thematisch geht es bei der Reihe um Mythen der Moderne, wozu auch der Mythos von den in der DDR nicht wahrnehmbar vorhandenen Vertriebenen gehört.

Im überfüllten Kinosaal des Filmmuseums befragte der Journalist Frank Herold eine der wichtigsten Schauspielerinnen der DDR zu ihrer Biografie als Flüchtlingskind aus Westpreußen. Ursula Karusseit konnte nicht nur aus eigener Anschauung über ihre Nachkriegserlebnisse in der Sowjetischen Besatzungszone erzählen. Sie war im Anschluss an das Gespräch auch in der Hauptrolle des dritten Teils der DDR-Fernsehreihe wege übers land von 1968 zu sehen.

Ungeschönt werden hier Szenen der Flucht deutscher Frauen und Kinder vor der herannahenden Ostfront gezeigt, das Elend, die Kälte, der Tod. Der Film habe ihn seinerzeit als Westdeutschen überrascht, sagte Professor Michael Schwartz, der seit langem zum Umgang der DDR mit der Flüchtlingsthematik forscht. Vor zwanzig Jahren hätte es in der Wissenschaft noch geheißen, dass das Thema in der DDR ein Tabu gewesen sei. Heute werden die Verarbeitung von Flucht und Heimatverlust in Kultur und Politik der DDR stärker wahrgenommen und untersucht.

Michael Schwartz bezeichnete wege übers land als zugleich verlogen und wahrhaftig. Verlogen in der Auswahl der Darstellung: Die aus dem Gebiet jenseits der Oder fliehende Protagonistin Gertrud Habersaat ist nicht in Pommern, Schlesien oder Ostpreußen geboren, sondern hat von den Nationalsozialisten einen enteigneten polnischen Bauernhof erhalten. Flucht und Vertreibung erscheinen so als gerechter Ausgleich für einen unrechtmäßig angeeigneten Besitz. Deutsche, die aus dem östlichen Europa stammen, kommen nicht vor.

Wahrhaftig sei der Film aber in der Darstellung des Menschlichen und Zwischenmenschlichen in den großen Ereignissen der Zeit, wiedergegeben von den besten Schauspielern, die die DDR seinerzeit aufzubieten hatte, neben Ursula Karusseit Manfred Krug, Armin Mueller-Stahl oder Angelica Domröse. Bei ihrer Darstellung der Flucht habe sie die Erzählungen ihrer Mutter verarbeitet, sagte Ursula Karusseit. Jene habe aber genau wie ihr Vater ein recht pragmatisches Heimatverständnis gehabt. Westpreußen sei nicht nachgetrauert worden, die Eltern waren jung und wollten für die Familie in der DDR eine neue Existenz aufbauen.

Aus dem Publikum wurde dazu bemerkt, dass es nach dem Krieg die Älteren waren, die ihrer Heimat nachtrauerten, die Jüngeren dies aber nicht hören wollten, zumal es von staatlicher Seite nicht gewünscht war, Heimatvereine oder ähnliche Zusammenschlüsse zu gründen. Ein anderer Besucher verwies auf die Vermerke in den Unterlagen der Stasi, die Vertriebene und Flüchtlinge als solche registrierte, überwachte und auch schikanierte.

Der dritte Teil von wege übers land zeigte Gertrud Habersaats Weg vom Flüchtling bis zur Neubäuerin, das Elend, die Enteignung der Großbauern, die Umverteilung an arme Familien, Mägde und Knechte. Den staatlichen Zwang verbrämt der Film mit Humor, Großbauern und Gräfin erscheinen als zugleich verbrecherisch und lächerlich, ihre Enteignung als gerechte Strafe für ihre Mitschuld an den Gräueltaten der Nazis. So ist der Film einerseits erstaunlich, weil er keine Phase der deutschen Geschichte, auch nicht die Flucht aus dem Osten, verschweigt. Andererseits wird die DDR-Propaganda in allen Szenen deutlich, was die großartigen schauspielerischen Leistungen in ihrer Differenziertheit jedoch nicht mindert.

Links

Mythos DDR ohne Vertriebene
Gespräch mit Ursula Karusseit und Michael Schwartz, es moderiert Frank Herold • Film: Wege übers Land (3. Teil)

Erinnern unerwünscht. Vertriebene in der DDR
Veranstaltungsreihe mit Filmen, Vorträgen und Podiumsgesprächen