Lesung und Gespräch mit Herma Kennel, Ondřej Matějka und Frank Herold kamen bei den 80 Zuhörern in der Tschechischen Botschaft Berlin gut an.
André Werner
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Dr. Karolina Kubas-Grocholová, Kulturattachée der Tschechischen Botschaft, und Ministerialdirigent i.R. Winfried Smaczny, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Kulturforums
Herma Kennel
Herma Kennel, Frank Herold und Ondřej Matějka
Ondřej Matějka
Frank Herold
Der langanhaltende Beifall bei der Verabschiedung des Podiums durch Dr. Karolina Kubas-Grocholová zeigte, dass die Veranstaltung beim Publikum gut ankam.
Am Bücherstand des Deutschen Kulturforums

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Einen interessanten Lese- und Gesprächsabend erlebten ca. 80 Gäste am 19. Mai 2011 im Kinosaal der Tschechischen Botschaft in der Berliner Wilhelmstraße. Auf Einladung des Deutschen Kulturforums und der Tschechischen Botschaft stellte Herma Kennel ihr 2003 erschienenes Buch BergersDorf vor und diskutierte anschließend mit Ondřej Matějka von der tschechischen Bürgerinitiative Antikomplex und Moderator Frank Herold von der berliner zeitung u.a. über Entstehung und Wirkung des Buches.

In ihren Grußworten würdigten Dr. Karolina Kubas-Grocholová, Kulturattachée der Tschechischen Botschaft, und Ministerialdirigent i.R. Winfried Smaczny, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Kulturforums, die Arbeit Herma Kennels, der mit ihrem Buch eine detaillierte und ausgewogene Darstellung der Geschehnisse in der Iglauer Sprachinsel in der Zeit vom Müncher Abkommen 1938 bzw. von der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 bis zur Vertreibung der Deutschen im Frühling/Sommer 1945 gelungen sei. Smaczny wählte für die besondere Herangehensweise der Autorin den Vergleich mit dem echolot-Projekt Walter Kempowskis.

Nach einem kurzen Filmbeitrag über das Buch aus der Sendung lesezeichen des Bayerischen Rundfunks las Herma Kennel einige ausgewählte Passagen. Sie zeigten den Stimmungswandel der Deutschen in der Iglauer Sprachinsel und namentlich im titelgebenden Bergersdorf: vom Jubel über den Einmarsch der deutschen Truppen und Begeisterung gerade bei den jüngeren über die anfänglichen militärischen Erfolge der Wehrmacht, über – zumindest bei einzelnen – wachsendes Misstrauen, erneut nur missbraucht worden zu sein, die Trauer über die steigende Zahl gefallener Brüder, Söhne und Nachbarn und das Klammern an Durchhalteparolen – bis schließlich zur furchtbaren Rache durch marodierende Banden der tschechischen »Revolutionären Garden«.

Der Umstand, dass SS-General Gottlob Berger, nicht zuletzt wegen der zufälligen Namensgleichheit, v.a. aber, weil es ein herausragendes Musterdorf war und weil sich eine überdurchschnittliche Zahl Bergersdorfer Männer zum Dienst in der SS und Waffen-SS verpflichtet hatten, dieses Dorf zu »seinem« machen und mit dem 1943 – einmalig in der Geschichte des Dritten Reiches verliehenen – Titel »SS-Dorf« in besonderer Weise ehren wollte, trug auf fatale Weise zum Schicksal der deutschen Einwohner bei.

In der anschließenden Diskussion betonte Ondřej Matějka von der Bürgerinitiative Antikomplex, die sich seit über zehn Jahren für eine neue Beschäftigung mit dem deutschen Kulturerbe in ihrer tschechischen Heimat einsetzt, am Beispiel des Buches BergersDorf zeige sich eindrucksvoll »die Macht des Wortes«. Denn das Buch, das bereits 2003 auf deutsch erschienen ist (eine tschechische Übersetzung wird in Kürze herausgegeben), regte 2006 den tschechischen Journalisten ► Miroslav Mareš in Iglau/Jihlava an, sich auf die Suche nach den beschriebenen Massengräbern zu begeben. Er und weitere Kollegen wurden fündig und seitdem ermittelt die tschechische Polizei, »in absolut korrekter Art und Weise«, so der Eindruck Kennels und Matějkas.

Dass sich die tschechische Gesellschaft mit der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels ihrer Geschichte schwer tue, wollte Matějka so pauschal nicht gelten lassen. Ganz wichtig sei es seiner Meinung nach zu verstehen, dass es entscheidend sei, dass sich die Leute in den betroffenen Gebieten und Ortschaften mit dem Thema auseinandersetzen. »Wenn sich dann herausstellt, dass bisher hoch angesehene Dorfbewohner Mörder waren, dann tut das den Leuten vor Ort natürlich mehr weh, als den Intellektuellen in den Prag. Das ist dann nicht abstrakt, sondern sehr persönlich. Und das braucht dann auch Zeit.«

Deshalb will er es auch nicht überbewerten, dass ein zwischenzeitlich mehrmals errichtetes Holzkreuz zum Gedenken an die Opfer ebenso oft heimlich wieder abgerissen wurde: »Am Ende, und wenn es mehrere Jahre dauert, wird es dort ein Kreuz oder eine Gedenktafel geben. So ist es in Aussig/Ústí nad Labem gewesen und auch in Postelberg/Postoloprty, dem Ort des größten Massakers an der deutschen Zivilbevölkerung. Wichtig ist aber, dass es dort von den Leuten selbst so entschieden wird.«

Auf die Frage Frank Herolds, die ihn wie wahrscheinlich viele Anwesende aus der Nachkriegsgeneration beschäftige, was der »Schreckensbegriff ›SS-Dorf‹« in ihr ausgelöst habe, sagte Herma Kennel, dass sie von diesem Titel zu Beginn ihrer Recherche nichts geahnt habe: »Ich habe bei null angefangen, ich wusste nichts über die Iglauer Sprachinsel in der damaligen Zeit.« Im Gespräch mit Zeitzeugen sei irgendwann fast beiläufig dieser Begriff erwähnt worden. Recherchen u.a. in damaligen Ausgaben des mährischen grenzboten, der deutschsprachigen Zeitung für die Iglauer Sprachinsel, bestätigten diesen Umstand. »Hätte ich von Anfang an gewusst, dass es sich um ein SS-Dorf handelt, hätte ich wahrscheinlich die Finger von der Sache gelassen.«

Einige der Bergersdorfer, die das im Buch Geschilderte noch bewusst erlebt haben, leben heute betagt v. a. in Österreich und Deutschland. Ob es bei denen, die Herma Kennel befragen konnte, so etwas wie eine Schuldwahrnehmung für die Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes im Protektorat Böhmen und Mähren gäbe, wollte Moderator Herold wissen. Herma Kennel: »Die meisten sehen sich ausschließlich in der Opferrolle. Es ist nur eine Minderheit, die sieht, was der Nationalsozialismus angerichtet hat.«

Zahlreiche Zuhörer – unter ihnen auch einige in der Iglauer Sprachinsel Geborene – beteiligten sich an der abschließenden Gesprächsrunde mit interessanten Fragen und Anmerkungen; anschließend suchten viele bei einem Glas Wein noch das Gespräch mit den Protagonisten des Abends oder besuchten den Büchertisch des Kulturforums.

alle Fotos auf dieser Seite, sofern nicht anders angegeben: © 2011 • Petr Kačírek, Tschechisches Zentrum Berlin

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Herma Kennel: BergersDorf
Buchvorstellung | Die Autorin Herma Kennel im Gespräch mit Ondřej Matějka von Antikomplex, es moderiert Frank Herold von der Berliner Zeitung • Wir bitten um Anmeldung bis zum 16.05.2011